Preispolitik der Autokonzerne Neuwagen kosten schon fast zehn Monatsgehälter
Chinesische Hersteller wollen mit preisgünstigen E-Autos den Markt aufrollen. Die etablierten Hersteller aus Deutschland machen es ihnen leicht: Denn ihre Autos sind fast unbezahlbar geworden.
An seinen ersten Neuwagen kann sich Gerald Freiberg noch gut erinnern. 2002, kurz nach Einführung des Euro, holt er sich einen VW Passat 1,9 TDI. Der Bauingenieur aus Nordhausen in Thüringen ist dienstlich viel unterwegs, er braucht ein bequemes Mittelklasse-Auto. Er finanziert es über vier Jahre, für 295 Euro monatliche Rate. Es ist der günstigste Neuwagen, den er je bekommen hat. Seitdem kennt der Preis nur eine Richtung: nach oben.
Fünf weitere Neuwagen hat er sich danach gekauft, einen Toyota Corolla, zwei Skoda Octavia, danach zwei Opel Grandland. Alles vergleichbare Fahrzeuge ohne großen Schnickschnack. "Ein paar Extras wie Sitzheizung habe ich mitgenommen", sagt der 63-Jährige. "Ansonsten habe ich immer nach dem wirtschaftlichsten Angebot gesucht."
"Wir brauchen vernünftige Preise"
Die Raten steigen mit jedem Neuwagen, erst langsam, dann immer schneller. Ab 2006 zahlt er 310 Euro pro Monat für sein Auto, ab 2010 sind es 330 Euro, ab 2014 dann 360 Euro und ab 2018 schon 400 Euro. Seit 2022 muss er 500 Euro monatlich für sein Auto bezahlen. Jetzt steigt er aus: Noch einen Neuwagen will er sich nicht kaufen. "Wenn man rechnet, wie lange man arbeiten muss, um sich ein neues Auto leisten zu können, und wie das damals war - das ist schon ein Riesen-Unterschied."
Das bestätigt eine aktuelle Statistik des Auto-Marktforschungsunternehmens DAT. 1974 kostete ein Neuwagen im Schnitt 5320 Euro. Das Durchschnittseinkommen lag bei 13.928 Euro im Jahr. Für einen Neuwagen musste ein Käufer also im Schnitt 4,6 Monate arbeiten. 20 Jahre später waren es schon 7,4 Monate pro Neuwagen. Bis 2019 blieb diese Zahl stabil, dann aber schnellte sie nach oben. Heute muss ein Käufer sein gesamtes Einkommen aus 9,6 Monaten Erwerbstätigkeit aufwenden, um ein neues Auto zu kaufen. Bei teureren E-Autos sind es sogar 11,4 Monate. Grund sind stagnierende Einkommen, aber auch hohe Gewinnmargen der Hersteller.
Die Folge: Kaufzurückhaltung. 2019 wurden in Deutschland noch 3,6 Millionen Pkw neu zugelassen. Dieses Jahr werden 2,7 Millionen prognostiziert, ein Minus von 25 Prozent. Das spüren auch die Händler. Helmut Peter führt ein Autohaus mit mehreren Filialen in Thüringen und Sachsen-Anhalt. "Wir brauchen vernünftige Preise, die sich die Kunden leisten können", fordert er. "Dann würde sich das alles wieder vernünftig einrenken."
Deutsche Autos in China viel günstiger
Die Absatz-Krise trifft alle Hersteller. Bei VW drohen Entlassungen und Werksschließungen. BMW und Mercedes-Benz haben Gewinnwarnungen herausgegeben. "Die Lage ist ernst", sagt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management. "Wenn man jetzt nicht strategisch handelt, wird es in den nächsten drei bis fünf Jahren eine sehr kritische Gesamtlage für die deutsche Automobilindustrie geben."
Vor allem auf dem chinesischen Markt läuft es schlecht für VW & Co. Jahrelang haben die deutschen Autokonzerne hier üppige Gewinne gemacht. Die sind jetzt dramatisch eingebrochen. Die Kunden bevorzugen E-Autos einheimischer Hersteller, die bei gleicher Qualität deutlich preiswerter sind, nicht nur aufgrund von staatlichen Subventionen. "Es gibt einen scharfen Wettbewerb, wie in einer Marktwirtschaft. Dadurch sind die Preise dramatisch gesunken. Nur deshalb sind die chinesischen Hersteller jetzt in dieser Führungsposition", sagt China-Kenner Anders Hove vom Oxford Institute for Energy Studies.
In China sind Autos deutlich günstiger als in Deutschland, egal ob Verbrenner oder E-Auto. Ein Golf 2.0 TSI kostet 23.000 Euro - in Deutschland sind es 35.500 Euro. Einen BMW i4 eDrive40 Gran Coupe bekommt man für 58.200 Euro statt 63.000 Euro in Deutschland. Und ein Tesla Model 3 kostet 31.800 Euro - statt 41.000 Euro bei uns. Durch die Preisschlacht sinken die Margen weltweit. Mercedes-Benz verdiente im vergangenen Jahr im Schnitt 7022 Euro pro verkauftem Auto. Jetzt sind es nur noch 4321 Euro - ein Minus von 39 Prozent. Tesla verlor 38 Prozent, BMW immerhin 10 Prozent. Bei VW lag der Rückgang bei 23, beim chinesischen Autoriesen BYD bei 28 Prozent.
Kampfpreise bei chinesischen E-Autos
Der greift mit seinen E-Autos zu Kampfpreisen weltweit an. Zwar will die EU das ab November mit Strafzöllen verhindern. Sie werden chinesische Autos teurer machen. Doch das Ziel, mehr E-Autos zu verkaufen, wird damit nicht erreicht. Und BYD kann die Strafzölle mittelfristig umgehen: Das Unternehmen plant bereits ein eigenes Werk in Ungarn. Die Chinesen wollen zuerst kleinere Auto-Märkte aufrollen - Märkte, die keine eigene Autoindustrie haben. "Dort spielt der Preis eine große Rolle und die Chinesen können gute Angebote machen", sagt China-Kenner Anders Hove. "Dort ist es am leichtesten, die Traditionshersteller rauszudrängen."
Die haben den Kampf aufgenommen. VW will bis 2028 120 Milliarden Euro in E-Autos investieren. Erklärtes Ziel: bezahlbare Fahrzeuge. In Zwickau (Sachsen) etwa wurde die Fertigung zu 30 Prozent automatisiert. Bisher waren zehn Prozent normal. Statt Menschen bauen nun Roboter Armaturenbretter ein - das spart Kosten. Doch weil sich E-Autos kaum verkaufen, ist die Produktion nicht ausgelastet. Nur zwei statt drei Schichten werden in den Hallen gefahren. Auch hier geht die Angst vor einer Werksschließung um. "Aus Zwickauer Sicht sind wir gut beraten, unseren Job zu machen", sagt Werks-Sprecher Christian Sommer, "und der bedeutet, Fahrzeuge zu bestmöglichen Kosten zu bauen".
BMW hat 1,6 Milliarden Euro in sein Werk in Leipzig investiert. Hier laufen Verbrenner und E-Autos zusammen über das gleiche Band. "Wir haben es geschafft, vier verschiedene Modelle als Benziner, Diesel, Plugin Hybrid und vollelektrisch auf einer Linie zu produzieren", sagt Werksleiterin Petra Peterhänsel. "Das bedeutet Flexibilität. Wir können auf veränderte Marktsituation reagieren."
Hohe Batteriekosten bei E-Autos
Doch ausgerechnet beim teuersten Bauteil eines E-Autos hängen die deutschen Hersteller zurück: der Batterie. Sie macht bis zu 40 Prozent der Herstellungskosten aus. Die Technologie macht hier gerade große Fortschritte. "Insbesondere die chinesischen Batteriezellhersteller schaffen es derzeit, die Batteriekosten deutlich zu reduzieren", sagt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management. "Wir können also in absehbarer Zeit auch mit niedrigeren Fahrzeugkosten bei Elektrofahrzeugen rechnen."
Volkswagen baut eine eigene Batteriefertigung gerade erst auf. Wie andere Hersteller lässt sich der Konzern vom chinesischen Weltmarktführer CATL beliefern. "Der Schwerpunkt muss darauf liegen, selbst Zugang zu moderner, preiswerter Batterietechnologie zu erhalten", sagt Anders Hove vom Oxford Institute for Energy Studies. "Dafür muss man den heimischen Markt ankurbeln und dann ein Industriecluster rund um diese Technologie erschaffen."
Den Markt ankurbeln - das wird nur mit bezahlbaren Autos funktionieren. VW hat einen Elektro-Kleinwagen ID.1 angekündigt, im Preissegment um 20.000 Euro. Den könnte sich auch Gerold Freiberg wieder leisten, selbst wenn er dann längst Rentner ist: Der Produktionsstart ist allerdings erst für 2027 geplant.