Lindner präsentiert Steuerschätzung Selbstbewusst trotz Wirtschaftsflaute
Finanzminister Lindner hat die Ergebnisse der Steuerschätzung präsentiert. Die neuen Zahlen nutzte er für deutliche Ansagen an die Ampel-Partner. Die Haushaltsberatungen dürften damit nicht leichter werden.
Christian Lindner ist gerade auf internationalem Parkett zugange: In Washington nimmt der Finanzminister an der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds teil. Doch sein Programm mit Gesprächspartnern aus aller Welt muss er am Donnerstag für einen bundespolitischen Termin unterbrechen.
Aus einem Raum im Erdgeschoss des IWF-Hauptgebäudes - die schweren blauen Vorhänge erinnern ein wenig an das Interieur in seinem Berliner Ministerium - stellt Lindner die Zahlen der neuen Steuerschätzung vor. Live übertragen nach Deutschland. Und was der Finanzminister und FDP-Vorsitzende in Washington sagt, kann als Ansage in Richtung der Koalitionspartner SPD und Grüne in Berlin verstanden werden. Die bereits jetzt komplizierten Haushaltsberatungen dürften zum Härtetest für die Ampel-Koalition werden. Auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik bahnt sich weiterer Streit an.
Milliarden weniger für den Bund
Dabei sind die Zahlen, die Lindner präsentiert und die auf Berechnungen des Arbeitskreises Steuerschätzung beruhen, wenig überraschend. Aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche Deutschlands müssen Bund, Länder und Gemeinden in den kommenden Jahren mit deutlich geringeren Einnahmen rechnen als bisher geplant. Das heißt nicht, dass die Steuereinnahmen sinken - sie steigen nur weniger stark an, verglichen mit der Steuerschätzung vom Mai. Für den Bund heißt das zum Beispiel, dass die Einnahmen für den Zeitraum bis zum Jahr 2028 laut neuer Schätzung in der Summe um 12,7 Milliarden Euro niedriger ausfallen als bisher prognostiziert.
Diese Tendenz war im Grundsatz schon bei den Haushaltsberatungen bekannt. Lindners Ministerium hat auch bereits Vorkehrungen getroffen. Sogar ein - aus Sicht des deutschen Fiskus - positiver Effekt ist laut Lindner im Haushaltsentwurf schon berücksichtigt: Die Zahlungen an die EU fallen im kommenden Jahr um 7,4 Milliarden Euro geringer aus als bisher geplant. Das wirkt sich entlastend aus.
Lindner im Angriffsmodus
Lindner könnte die Ergebnisse also mit einer Portion Gelassenheit vortragen. Nach dem Motto: Ja, die Spielräume im Haushalt werden enger, aber es gibt auch Stellschrauben, um den Haushalt trotzdem ins Gleichgewicht zu bringen. Aber der Minister geht bei seiner Präsentation schnell in den Angriffsmodus. Er betont, es gebe keine Spielräume für Verteilungspolitik. Im Gegenteil: Eine wirtschaftspolitische Wende und eine klare Prioritätensetzung im Haushalt seien jetzt noch dringlicher geworden. Da klingt stark der FDP-Vorsitzende durch.
Mit Blick auf das Stopfen von Haushaltslöchern hat Lindner auch klare Erwartungen an die Ampel-Partner. Er spricht sich für eine neue Debatte über Einsparungen beim Bürgergeld aus. Außerdem sollten die Milliarden, die eigentlich für den Bau einer Chipfabrik von Intel bei Magdeburg vorgesehen sind, die aber vorerst nicht gebraucht werden, aus dem Klima- und Transformationsfonds in den Haushalt fließen. Der Vorschlag ist nicht neu, bislang aber hat sich Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen vehement dagegen ausgesprochen - er möchte die Milliarden lieber für andere Projekte nutzen. Schließlich lahmt die deutsche Wirtschaft: Auch der IWF hat seine Konjunkturprognose für Deutschland in dieser Woche erneut gesenkt.
Klares Nein zu staatlichen Subventionen
Die Debatte, wie das Wirtschaftswachstum wieder angekurbelt werden kann, könnte also an Schärfe zunehmen. Lindner nutzt seine Reise, um auch in den USA seine liberale Position immer wieder zu verdeutlichen. Sei es bei Gesprächen mit Studierenden in der Georgetown University in Washington oder im noblen University Club in New York. Dort erklärt Lindner, während an großen runden Tischen Wirtschaftsvertreter und Club-Mitglieder Schokoladenmousse zum Nachtisch löffeln, dass er nichts von immer höheren Ausgaben und Subventionen halte. Es gebe da in Europa und Deutschland zwei Denkschulen: Eine sei sehr stark beeinflusst vom Inflation Reduction Act der USA, also dem milliardenschweren Subventionsprogramm der Biden-Administration. Die andere Denkschule ziele darauf ab, die Rahmenbedingungen für Unternehmen zu verbessern, aber eben nicht mit immer mehr staatlichen Ausgaben und Schulden.
Während Lindner keinen Zweifel aufkommen lässt, in welchem Lager er sich verortet, machen seine Koalitionspartner in Berlin Vorschläge, die ganz anders klingen. Weil sie eben aus Lindners Sicht für die andere Denkschule stehen. So lädt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für kommenden Dienstag zu einem Industriegipfel ein. Und während Lindner in New York ist, sorgt Wirtschaftsminister Habeck mit einem Vorschlag für einen milliardenschweren Deutschlandfonds für Schlagzeilen. Schuldenfinanziert - das ist für Lindner das Problem. Auf dem Rollfeld am Flughafen in New York sagt Lindner dazu gegenüber den mitreisenden Journalisten: Was Habeck fordere, sei "eine fundamental andere Wirtschaftspolitik". Und er setzt noch eins drauf: "Das ist schon ein Hammer."
"Das ist schon ein Hammer"
Auch am Tag darauf, während seiner Pressekonferenz zur Steuerschätzung, macht Lindner deutlich: Er hält nichts davon, staatliche Ausgaben zu erhöhen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Spielräume bei der Schuldenbremse gebe es nicht: "Wir haben das Grundgesetz, wir haben europäische Fiskalregeln - an beides müssen wir uns halten, entweder aus Überzeugung oder aus Rechtstreue."
Dabei spielen die beiden Denkschulen auch bei Lindners Gesprächen beim IWF eine Rolle. Es gibt so manche Länder, die es begrüßen würden, wenn Deutschland mehr für sein Wachstum tun würde - auch mit Schulden. Denn davon würden auch andere Staaten profitieren. Komplett isoliert ist Lindner mit seiner Haltung in Washington aber nicht. Erst Anfang der Woche hat IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas an die Mitglieder des Währungsfonds appelliert, die Schuldendynamik zu beachten. Es brauche dringend fiskalische Puffer, um auf eventuelle neue Krisen reagieren zu können. Was wiederum zeigt: Trotz der räumlichen Distanz: Die Debatten in Washington und Berlin ähneln sich.