Steuerschätzung und Haushalt Neuer Stresstest für die Ampel?
Wie viele Steuern nimmt der Staat im kommenden Jahr ein? Die Frage, mit der sich der Arbeitskreis Steuerschätzung beschäftigt, hat womöglich Auswirkungen auf das weitere Miteinander in der Ampelkoalition.
Es geht um Milliarden, um Prognosen zum Wachstum und zur Lohnentwicklung und um die fiskalischen Folgen von neuen Gesetzen. Steuerschätzer haben viel zu berücksichtigen, wenn sie sich Gedanken über die künftigen Steuereinnahmen machen. Indirekt geht es dabei auch um die Folgen für den Bundeshaushalt für das kommende Jahr.
Erste Haushaltseinigung hielt nicht lange
Anfang Juli stellten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) einen Entwurf für den Haushalt 2025 vor - nach nächtelangen Sitzungen. Scholz sagte: "Schlaf wird überschätzt", Habeck gab zu: "Da waren schon intensive Momente dabei."
Doch die erste Einigung hielt nicht lange. Es folgte ein öffentlicher Streit über die Interpretation von Gutachten, die sich mit der Frage beschäftigen, wie der Bund zusätzliche Schulden aufnehmen kann. Der Kanzler und sein Finanzminister gerieten aneinander. Lindner wehrte sich gegen zu viel Kreativität bei der Frage, wann Ausgaben nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Er habe sich, so Lindner, einmal auf einen Koalitionskompromiss eingelassen, der wackelig war und vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand gehabt habe. "Das passiert mir kein zweites Mal."
Viele ungedeckte Schecks
Im Ergebnis leitete der Finanzminister dem Bundestag einen Haushaltsentwurf zu, an dem noch weitergearbeitet werden muss. Unter anderem enthält dieser nämlich eine "Globale Minderausgabe". Das ist ein Posten, hinter dem die Erwartung steckt, dass sich gar nicht alle geplanten Ausgaben realisieren lassen. Das kommt durchaus vor. Allein: Dass diese Globale Minderausgabe mit zwölf Milliarden Euro ausgewiesen wird, ist nicht nur ungewöhnlich hoch - Sachverständige bezeichnen dieses Volumen in einer Bundestagsanhörung sogar als verfassungswidrig.
Nach Einschätzung der Opposition stecken im Haushalt aber noch mehr ungedeckte Schecks. Union-Fraktionsvize Mathias Middelberg verweist unter anderem auf die "Überbuchung" des Klima- und Transformationsfonds, auf zu hohe Kosten in einzelnen Ministerien (die - analog zur Globalen Minderausgabe - über Minderausgaben im Jahr hereingeholt werden sollen) und auf die ungenügende Ausstattung des Bürgergelds.
"Fünf Milliarden plant man an geringeren Ausgaben für das Bürgergeld, obwohl die Ausgaben für das Bürgergeld bisher jedes Jahr mehr gestiegen sind", so der CDU-Politiker. Unglaubwürdig sei schließlich die Erwartung von sechs Milliarden Steuermehreinnahmen, die mit der Wachstumsinitiative der Ampel begründet werden. Hinter dieser Zahl haben jüngst bereits die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrer gemeinsamen Herbstprognose ein Fragezeichen gemacht.
Flaue Konjunktur könnte mehr Schulden möglich machen
Auch die Bundesregierung hat die Wachstumsprognose für das kommende Jahr nach unten korrigiert. Für den Haushalt ist damit in gewisser Weise aber eine Entlastung verbunden. Denn der Bund darf für den Fall, dass die Wirtschaft schlechter läuft, mehr Schulden machen. Die sogenannte Konjunkturkomponente der Schuldenbremse erlaubt dem Finanzminister ganz konkret, 2025 gut fünf Milliarden mehr Schulden aufzunehmen als bislang geplant - das wären dann rund 55 Milliarden Euro bei einem Haushaltsvolumen von knapp 490 Milliarden Euro.
Ob dies reicht, um die Finanzprobleme der Ampel zu lösen? Der FDP-Haushaltspolitiker Karsten Klein ist skeptisch: Die "Konjunkturkomponente" führe zwar zu einer Erleichterung beim Stopfen der Haushaltslöcher. Dem stünden jedoch höchstwahrscheinlich geringere Steuereinnahmen gegenüber. Denn wenn die Wirtschaft schwächelt, belastet das auch den Fiskus.
Die große Frage ist nun: Welcher Effekt überwiegt? Der Effekt der höheren Schulden oder der Effekt der geringeren Steuereinnahmen? Klein rechnet damit, dass der Effekt bei den Steuereinnahmen größer ausfallen dürfte: "Und das heißt mehr Konsolidierungsdruck."
Mehr Konsolidierungsdruck - das würde bedeuten: Die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP müssen sich noch einmal zusammensetzen, um Milliarden einzusparen oder Umschichtungen im Haushalt vornehmen. Die Steuerschätzung könnte damit erneut zum Stresstest für die Ampel werden.
Viele Belastungen noch nicht eingerechnet
Dabei dürfte die Steuerschätzung nur ein vorläufiges Bild abgeben. Viele Belastungen, die auf den Bundeshaushalt noch zukommen, können in den neuen Zahlen der Steuerschätzer noch gar nicht enthalten sein. Denn sie dürfen in ihrer Prognose nur die Gesetze berücksichtigen, die bereits verabschiedet sind. Mehrere finanzwirksame Gesetze sind aber noch in den parlamentarischen Beratungen.
Das trifft insbesondere für die vorgesehene Korrektur bei der Kalten Progression, also den Umstand, dass Steuern allein durch die Inflation steigen. Darauf will die Ampel-Regierung mit höheren Freibeträgen und einem höheren Kindergeld reagieren. Ein Projekt, das Steuerzahler freut, das aber für Bund, Länder und Gemeinden milliardenschwere Einnahmeverluste zur Folge hat. Dabei geht es bis 2028 um ein Volumen von 85 Milliarden Euro - allein der Bund verzichtet zwischen 2025 und 2028 auf Einnahmen in Höhe von 42 Milliarden.
Das sollte man bei der Vorstellung der Ergebnisse der Steuerschätzung durch Finanzminister Lindner noch im Hinterkopf haben. Und die Haushaltspolitiker müssen die Auswirkungen der anstehenden Gesetze in ihren weiteren Beratungen noch berücksichtigen. Ebenso wie die anstehende Prognose für die Kosten der EEG-Umlage, die den Bund zuletzt deutlich mehr gekostet hat als geplant und von Haushältern als ein weiteres Milliardenrisiko bezeichnet wird. Auch nach der Steuerschätzung bleibt es mit Blick auf den Haushalt 2025 also spannend.