Juden in Deutschland nach Hamas-Angriff Unter Feinden
Seit dem Hamas-Massaker vor einem Jahr wird die Solidarität mit Israel und den jüdischen Gemeinden bekundet. Doch der Hass auf Juden hat zugenommen - mal offen, mal als vermeintliche Israelkritik.
"Man schaut immer über die Schulter, man schaut sich immer an, wo jemand ist, dem ich vertraue." So beschreibt Hanna Veiler ihr Studentenleben. Sie ist Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion Deutschland.
Sie und viele andere Juden und Jüdinnen sind damit aufgewachsen, dass Ereignisse in Israel auch ihr Leben hier in Deutschland beeinflusst haben. Vor den Synagogen und vor den jüdischen Schulen standen Polizisten - mal waren es mehr, mal waren es ein paar weniger. Das gehörte zum Alltag dazu.
"Tsunami des offenen, radikalen Antisemitismus"
Seit dem 7.Oktober 2023 aber erleben sie und ihre jüdischen Kommilitonen einen "Tsunami des offenen, des radikalen Antisemitismus", wie sie es nennt. An vielen Universitäten bestimmen pro-palästinensische Studenten den Diskurs, an manchen Orten überschreien sie einfach alle anderen. Unter dem Deckmantel der Israelkritik hat der offene Antisemitismus dort längst übernommen.
"Jüdische Studierende trauen sich teilweise nicht, über den Campus zu laufen, man geht nur noch zu universitären Veranstaltungen, wenn man es wirklich muss", erzählt Veiler. Einige Veranstaltungen jüdischer Studenten wurden wegen Sicherheitsbedenken abgesagt oder finden unter Protesten und Polizeischutz statt.
Unsichtbar jüdisch
Auch an der Synagoge der Kahal-Adass-Jisroel-Gemeinde in der Berliner Brunnenstraße wurde der Schutz verstärkt. Im Oktober 2023 warf ein Unbekannter Molotowcocktails auf das Gemeindehaus. Verletzt wurde damals niemand. Doch die Angst blieb.
Die Sicherheitsvorkehrungen wurden massiv verstärkt, das Sommerfest fand in diesem Jahr erstmals nicht einfach im Park statt. Viele jüdische Familien bemühen sich, nicht aufzufallen.
Sie haben die Mesusa, die kleine Schriftkapsel mit dem Schma Israel, von ihren Wohnungstüren entfernt, verstecken den Davidstern, tragen in der Öffentlichkeit keine Kippa mehr. Sie nehmen Umwege in Kauf, wenn sie aus der Synagoge nach Hause gehen, bestellen nicht beim Lieferservice, wenn sie jüdische Namen haben.
"Nach dem 7. Oktober 2023 mussten wir in diesem Jahr erleben, wie Antisemitismus sprunghaft angestiegen ist. Und zwar Antisemitismus von radikal muslimischer Seite, aber auch rechtsextremer Antisemitismus, linksextremer Antisemitismus", sagt Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden.
Das Klima für Juden sei kühl geworden, sagt Schuster: "Es gibt Juden, die sich ernsthaft die Frage stellen, wie lange es noch möglich sein kann, gefahrlos als Jude in Deutschland zu leben."
Die Zahl der antisemitischen Straftaten steigt. 370 Verfahren wegen antisemitischer Taten wurden im ersten Halbjahr dieses Jahres allein von der Berliner Staatsanwalt registriert. Dazu kommen noch mehr als 1.500 Taten mit Nahost-Bezug, wie es heißt. Auch darunter finden sich antisemitische Straftaten.
Pro-palästinensische Demonstrationen in Berlin
Auf pro-palästinensischen Demonstrationen wird immer wieder das Existenzrecht Israels geleugnet und der Terrorangriff der Hamas als Widerstand gegen "Besatzer" bezeichnet. Oft hört man dort, man sei nur gegen die Zionisten, gegen die israelischen Besatzer, auf der anderen Seite werden Hamas und Hisbollah glorifiziert, die beide klar antijüdische Terrororganisationen sind.
In Berlin finden fast täglich pro-palästinensische Demonstrationen und Kundgebungen statt. Dort wird immer wieder offen zu Gewalt aufgerufen. Die Teilnehmer kommen aus einem breiten Spektrum: arabisch-stämmige Menschen, Palästinenser, die seit Jahrzehnten hier leben, Islamisten, aber auch linke und linksextreme Gruppierungen aus der antikolonialistischen, kommunistischen und sozialistischen Szene.
Eine pro-palästinensische Demonstration in Berlin wird von Polizisten begleitet.
Hass gegen Politiker, Clubs, Kneipen
Als der Iran Tel Aviv bombardierte, brach auf einer dieser Demonstrationen Jubel aus, so wie auch schon Teile der Szene am Abend des 7. Oktober auf der Sonnenallee mehr als 1000 Tote feierten und Süßigkeiten verteilt wurden.
Der Hass trifft nicht nur Juden und Israelis. Es trifft auch die, die sich gegen Antisemitismus engagieren oder sich für Israel oder Juden aussprechen. Es trifft Politiker, wie Berlins Kultursenator Joe Chialo.
Und es trifft linke Clubs, die sich gegen Antisemitismus positionieren oder die Neuköllner Kneipe "Bajszel". Die Gegend, in der die Kulturschänke liegt, ist mit roten Dreiecken übersät, die auch die Hamas zum Markieren ihrer Feinde verwendet.
An den Fassaden stehen pro-palästinensische Parolen oder auch Sympathiebekundungen für Terroristen. Das "Bajszel" wurde in den vergangenen Wochen fast täglich so markiert. Vor wenigen Tagen brannte vor dem Laden ein Mülleimer, die Türschlösser waren verklebt.
Einige Gäste bleiben weg - aus Angst
Für Alexander Renner, einen der Betreiber, ist das nicht überraschend. "Wir machen viele Veranstaltungen zu Antisemitismus“, sagt er. "Nach dem 7. Oktober reicht das offenbar, um ins Visier zu geraten." Sie wollen sich nicht einschüchtern lassen und weitermachen. Doch einige Gäste seien weggeblieben, aus Angst.
Mehr zu diesem Thema sehen Sie auch in der Doku "Wie der Nahostkrieg Deutschland spaltet".