Zwischenbilanz zu E-Scootern Gefährlich, nervig, nicht umweltfreundlich
Sie sollten die Mobilität in Städten revolutionieren und klimafreundlicher machen. Doch nach drei Monaten mit E-Scootern auf deutschen Straßen ist die Bilanz in jeder Hinsicht ernüchternd.
Mit dem Smartphone den Code scannen, mit einem Fuß kurz anschieben, Gas geben und los geht's. Einen E-Scooter zu mieten, ist denkbar einfach. Ist die App des entsprechenden Anbieters erst auf dem Handy installiert, dauert es vom Entsperren bis zum Losfahren kaum 30 Sekunden. Wer es eilig hat auf dem Weg zu einem Termin, kann so wertvolle Zeit sparen.
Doch so verheißungsvoll es klang, wie Verkehrsminister Andreas Scheuer die E-Roller vor der Einführung anpries - als "echte Alternative zum Auto zusammen mit dem ÖPNV", als "ideal für die letzte Meile von der U-/S-Bahn oder Bushaltestelle" - von der anfänglichen Euphorie ist drei Monate nach ihrer Zulassung nicht mehr viel übrig.
In wenigen Sekunden kann die Fahrt losgehen.
Mehrere zehntausend Fahrzeuge
Stattdessen Probleme, wo man hinschaut. Mehrere Zehntausend Fahrzeuge sind es mittlerweile auf deutschen Straßen, allein 9000 nur in Berlin. Eine offizielle bundesweite Statistik über Unfälle oder Ordnungswidrigkeiten in Zusammenhang mit E-Scootern gibt es zwar noch nicht. Die Zahlen aus einzelnen Städten sind allerdings besorgniserregend: In München wurden in den vergangenen drei Monaten 47 Verkehrsunfälle mit E-Scootern gezählt, drei davon mit Schwerverletzten, 27 mit Leichtverletzten.
In Köln registrierte die Polizei im gleichen Zeitraum sogar 60 Verkehrsunfälle mit 64 Verletzten, 15 davon schwer. Todesopfer gibt es in Deutschland bislang nicht, in Spanien, Schweden, Frankreich und anderen Ländern aber schon.
Häufig werden die Scooter für Spaßfahrten genutzt - zu zweit auf einem Roller ist übrigens nicht erlaubt.
Besonders bedenklich ist laut Polizei, dass bei vielen E-Scooter-Fahrten Alkohol im Spiel ist. Die Fahrzeuge werden bislang vor allem für Freizeit- und Spaßfahrten verwendet, wie erste Auswertungen ergeben haben. Gerne am Wochenende oder auch nachts von der Kneipe nach Hause. Beinahe 1000 Anzeigen wegen Fahrens mit Alkohol erstattete die Münchner Polizei bislang. In Köln spielte bei knapp einem Drittel der Unfälle Alkohol eine Rolle. Und auch abseits der Unfallermittlungen stellte die Polizei Köln fest, dass "viele Nutzer die E-Scooter alkoholisiert fahren".
Mehr Verletzte
Warnungen kommen auch von Ärzten und Notaufnahmen: Chefarzt Christian Kühne von der Hamburger Innenstadtklinik St. Georg sagte kürzlich: "In den vergangenen beiden Monaten haben wir in unserer Klinik mehr Verletzte durch E-Scooter-Unfälle behandelt als Verletzungen durch Fahrradunfälle." Erschwerend kommt hinzu, dass kaum ein Nutzer einen Helm trägt. Auch der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, sprach in einem Zeitungsinterview von "deutlich mehr Verletzten": "Aus unfallchirurgischer Sicht sind E-Tretroller eine Katastrophe."
Helme - wie hier bei einem Sicherheitstraining - sind bei E-Scooterfahrern nicht üblich.
Wer schon einmal einen E-Scooter benutzt hat, kann erahnen, warum Gassen Recht haben könnte. Das Fahrgefühl ist viel wackeliger als bei einem Fahrrad; bei den kleinen Rädern und dem geringeren Radabstand kein Wunder. Der Bremsweg beträgt mehrere Meter, das Rücklicht liegt sehr tief unten, nur knapp über der Straße, und ist somit nur schwer zu sehen. Hinzu kommt: Das Fahrzeug ist nur beherrschbar, wenn beide Hände am Lenker sind. Das heißt, Handzeichen geben, ist nicht möglich. Nachfolgende Autos müssen also erraten, ob ein E-Roller-Fahrer abbiegen möchte. Der TÜV-Verband forderte deshalb bereits eine Blinkerpflicht.
Halb so hohe Emissionen wie beim Auto
Neben den Sicherheitsbedenken ist auch die Ökobilanz der Fahrzeuge ernüchternd. Eigentlich sollten sie die autoverstopften Städte entlasten und so zu geringeren CO2-Emissionen beitragen. Tatsächlich wären E-Scooter nach Einschätzung des Umweltbundesamts aber nur dann "umweltfreundlich", wenn sie eine Fahrt mit dem Auto ersetzen. Das tun sie aber nur in den seltensten Fällen, wie erste Umfragen zeigen. Stattdessen werden sie momentan vor allem als Alternative zum Fahrrad, zum Fußweg oder zum ÖPNV genutzt.
Gut für die Ökobilanz sind E-Scooter nur, wenn sie Autofahrten ersetzen.
Eine Studie der University of North Carolina kommt zu dem Ergebnis, dass die CO2-Emissionen pro Kilometer bei Leih-E-Scootern halb so hoch sind wie bei einem Mittelklassewagen - und damit deutlich höher als bei einem normalen Fahrrad, Elektrofahrrad oder gar bei einem Diesel-Bus mit hoher Auslastung. In der Studie werden die Emissionen des gesamten Produktions- und Betriebsprozesses vom Abbau der Rohstoffe über die Herstellung bis hin zum Transport, zur Wartung und Lebensdauer der verglichenen Fahrzeuge mit einbezogen. Bei den Leih-E-Rollern ist die Bilanz auch deshalb so schlecht, weil sie ja in der Nacht in der Regel von Transportern zum Aufladen eingesammelt und später neu in den Straßen verteilt werden.
Neue Regeln beim Abstellen
Immerhin beim viel beklagten Chaos in den Städten durch wild abgestellte oder herumliegende E-Roller gibt es erste Verbesserungen. In Berlin gibt es Parkverbotszonen für E-Scooter beispielsweise rund ums Brandenburger Tor oder das Holocaust-Mahnmal, in München gilt das Gleiche für den Englischen Garten, in Dresden für den historischen Altmarkt. Die Software der Anbieter soll dafür sorgen, dass ein Abstellen in diesen Bereichen gar nicht mehr möglich ist. Außerdem sollen die Fahrzeuge nicht mehr kreuz und quer auf Gehwegen parken dürfen. Die Mieter der Fahrzeuge sollen per App dazu aufgefordert werden, mit einem Foto zu beweisen, dass sie ihren Roller ordnungsgemäß abgestellt haben. Defekte und falsch abgestellte Roller sollen von den Anbietern eingesammelt werden.
Das Verkehrsministerium will vorerst keine Zwischenbilanz ziehen. Die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung werde von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) über einen Zeitraum von drei Jahren wissenschaftlich begleitet und evaluiert, heißt es. Einen ersten Zwischenbericht zur Verkehrssicherheit will das Ministerium erst bis Ende 2020 vorlegen.