Kritik an Ampel-Politik Wirtschaft nervt die "inflationäre Gipfelei"
Mehr handeln, weniger streiten - vor den zwei konkurrierenden Gipfeln der Ampelkoalition haben führende Wirtschaftsvertreter ihren Frust über die Politik deutlich gemacht - und klare Forderungen formuliert.
Mit Blick auf die zwei Wirtschaftsgipfel - der eine nachmittags mit Kanzler Scholz im Kanzleramt, der andere vormittags mit Finanzminister Lindner bei der FDP-Fraktion - haben mehrere Verbände die Ampelkoalition zu schnellem Handeln aufgefordert. Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Krise, laut Prognosen wird 2024 das zweite Rezessionsjahr in Folge. "Die Wirtschaftsdaten mahnen zur Eile", sagte Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, der Nachrichtenagentur dpa. "Ein gemeinsamer, schlüssiger und abgestimmter Regierungsplan ist nötig - keine zersplitterte Partei- oder Wahlkampftaktik."
In den aktuellen Gesprächen werde es darum gehen müssen, die Notwendigkeit eines von der Regierung in Gänze getragenen wirtschaftspolitischen Konzeptes zu betonen. Der Handwerkspräsident nimmt am Vormittag an einem Treffen von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner und FDP-Fraktionschef Christian Dürr mit Wirtschaftsvertretern teil - die nicht zu einem Industriegipfel mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Nachmittag eingeladen wurden.
DIHK: Konjunkturelle Lage weiter verschlechtert
"Wir haben es nicht nur mit einer konjunkturellen, sondern einer hartnäckigen strukturellen Krise am Standort Deutschland zu tun", erklärte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben. In der Industrie sei die Lage "am schlechtesten". 19 Prozent der Betriebe bewerteten ihre Lage dort als gut, 35 als schlecht. Eine solche Lage habe es zuletzt "während der schweren Krise" in den Jahren 2002 und 2003 gegeben. Wansleben sprach daher von einem deutlichen "Alarmsignal".
"Jetzt helfen keine allgemeinen Diskussionen, sondern nur konkrete Maßnahmen: Erstens den Bundeshaushalt beschließen, zweitens Planungsbeschleunigung endlich voranbringen, drittens die Wachstumsinitiative konkret umsetzen", forderte der DIHK-Chef.
Maschinenbauverband: Stimmungsaufheller nötig
Am Industriegipfel mit Scholz nimmt unter anderem der Maschinenbauverband VDMA teil. Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann sagte der dpa: "Auf dem Gipfel sollten neben konjunkturellen Aspekten auch die strukturellen Herausforderungen zur Sprache kommen, die Investitionen und Innovationen in Deutschland und Europa aktuell behindern." Er sprach auch die Bereiche Steuer, Bürokratieabbau und Fachkräftemangel an. Dort ließen sich viele Impulse ohne großen finanziellen Aufwand setzen, erklärte Brodtmann. "Wenn die Bundesregierung all das in einem Paket bündelt, wäre es ein wichtiges Signal, dass man die Probleme der Wirtschaft ernst nimmt - und es wäre ein echter Stimmungsaufheller."
Die Vorsitzende der Gewerkschaft IG Metall, Christiane Benner, bezeichnete die Situation der Industrie und ihrer Beschäftigten als dringend. "Es muss endlich gehandelt werden, dafür ist der Industriearbeitsgipfel genau richtig." Die IG Metall erwarte sich konkrete Maßnahmen. Gestern war bekannt geworden, dass VW massiv einsparen und Jobs abbauen will. Auch VW-Vorstandschef Oliver Blume ist bei dem Treffen im Kanzleramt dabei.
Arbeitgeberverband: "Die Koalition hat bislang nichts geliefert"
Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, erwartet von den Wirtschaftsgipfeln keine konkreten Verbesserungen für die Unternehmen in Deutschland. "Also mir fehlt der Glaube, dass diese Koalition noch was zustande bringt", sagte Wolf im Deutschlandfunk. Die Koalition sei mit anspruchsvollen Zielen angetreten, habe jedoch bislang nichts geliefert. Einzig bei der FDP sieht Wolf gute Ansätze und Ideen. Jedoch dränge die Zeit.
"Wir sind in einer schwierigen Lage in der Wirtschaft und immer nur weiter so, also das bringt überhaupt nichts", sagte er. Von der Politik forderte Wolf etwa geringere Unternehmenssteuern und Energiepreise. Zudem könnten etwa die Entbürokratisierung und Sozialversicherungsbeiträge angegangen werden. Dies sei nach vergangenen Gipfeln nicht geschehen.
Scharfe Kritik an der Wirtschaftspolitik der Ampel kommt vom Mittelstandverband BVMW. "Die deutsche Wirtschaft hat genug von Ankündigungsweltmeisterei und politischem Show-Catchen", sagte BVMW-Bundesgeschäftsführer Christoph Ahlhaus den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. "Was diese inflationäre Gipfelei im Herbst der Ampel-Legislatur bringen soll, kann man keinem Mittelständler, der ums Überleben kämpft, mehr erklären."
Einzelhändler: Konsumflaute hält an
Die deutschen Einzelhändler schlagen ebenfalls Alarm und fordern vor allem verbesserte Standortbedingungen. Noch zu Jahresbeginn habe die Bundesregierung den privaten Konsum als konjunkturelle Stütze herausgestellt, heißt es in einem Schreiben des Handelsverbands Deutschland (HDE) an Scholz, das der Nachrichtenagentur Reuters vorlag. "Heute müssen wir feststellen, dass der private Konsum auch in den letzten Monaten des Jahres als gesamtwirtschaftlicher Wachstumstreiber ausfallen wird."
"Unternehmen, Standorte, Innenstädte und Arbeitsplätze sind unter Druck und brauchen gesicherte Rahmenbedingungen", heißt es in dem HDE-Schreiben. "Wir erwarten von der Politik nicht zahlreiche Gipfel, sondern eine verantwortliche und zielgerichtete Umsetzung der strukturellen Maßnahmen", wird darin mit Blick auf das Doppeltreffen der Ampel-Spitzen mit Wirtschaftsverbänden betont. Die entscheidenden Themen und Lösungsvorschläge lägen längst auf dem Tisch. Sie müssten nun dringend umgesetzt werden, um die strukturellen Probleme anzugehen.
"Desaströses" Bild der Koalition
Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke blickt eher pessimistisch auf die Zukunft der Ampel. Derzeit gebe die Koalition ein "desaströses" Bild ab, sagte er im Interview auf tagesschau24. Die beiden Wirtschaftsgipfel zeigten, dass die Koalitionspartner gegeneinander arbeiten. Mit Blick auf die derzeitige Konjunktur oder auch die Wahl in den USA sei aber eine starke handlungsfähige Regierung gefragt.
Alle Beteiligten sollten sich zusammentun und gemeinsam Lösungen erarbeiten, statt "auf eigene Rechnung" zu arbeiten. Derzeit sei die Regierung nicht handlungsfähig und das sei sehr problematisch für die Wirtschaft. Wenn sich das nicht ändere, so Luckes Einschätzung, sei ein Ende der Koalition nach möglicherweise die bessere Option.
IWF kritisiert Ampel-Kommunikation
Die Streitigkeiten innerhalb der Bundesregierung bei wirtschaftspolitischen Fragen stoßen auch beim Internationalen Währungsfonds (IWF) auf deutliche Kritik. Es wäre "schon viel gewonnen, wenn die Politik klar kommunizieren würde, wie ihre Strategie mittel- und langfristig aussieht", sagte IWF-Europa-Chef Alfred Kammer der Süddeutschen Zeitung. Das gelte insbesondere für den klimagerechten Umbau des Landes. "Unternehmen werden nur investieren, wenn sie wissen, was in den nächsten zehn bis 15 Jahren passieren soll."
Deutschland brauche sowohl Strukturreformen, wie sie Finanzminister Lindner fordert, als auch mehr Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, für die sich unter anderem Wirtschaftsminister Robert Habeck starkmacht, sagte Kammer weiter. "Ohne funktionierende Infrastruktur kann es keine produktive Wirtschaft geben."
Um mehr Geld mobilisieren zu können, sei auch eine Überarbeitung der geltenden Kreditregeln sinnvoll: "Wir als IWF haben ja schon vor einiger Zeit vorgerechnet: Die Schuldenbremse kann gelockert werden - und die Staatsschuldenquote sinkt trotzdem weiter." Die FDP von Finanzminister Lindner lehnt jedes Lockern der Schuldenbremse kategorisch ab.
Der IWF hatte erst vor einer Woche seine Konjunkturerwartungen für Deutschland gesenkt - statt 0,2 Prozent Wachstum geht er nun von Nullwachstum aus. Für das kommende Jahr wurde die Prognose noch deutlicher gesenkt, und zwar von 1,3 auf 0,8 Prozent Wachstum.