Eine rote Ampel leuchtet vor einem Logo von Volkswagen am Werk Osnabrück.

Stellenabbau und Schließungen Warum Volkswagen in der Krise steckt

Stand: 28.10.2024 18:28 Uhr

Nicht nur für die Autoindustrie ist es ein Schock: Laut VW-Betriebsrat stehen mindestens drei Werke auf der Kippe. Für Beobachter hat sich der Schritt seit Langem angekündigt, denn trotz Gewinnen kämpft der Konzern mit Problemen.

Von Alina Leimbach, ARD-Finanzredaktion

Drei Volkswagen-Werke stehen laut Betriebsrat auf der Kippe, Zehntausende Stellen auch. Für große Teile der deutschen Öffentlichkeit war diese Botschaft ein Schock. Kenner der Branche sind von den Ankündigungen allerdings nicht überrascht: "Das hat sich seit Monaten angekündigt", sagt Helena Wisbert, Direktorin des CAR - Center Automotive Research in Duisburg, gegenüber tagesschau.de. Ein eindeutiges Vorwarnzeichen: Im September hatte der Konzern aus Wolfsburg eine seit rund 30 Jahren geltende Beschäftigungsgarantie auslaufen lassen. 

Dennoch sagt Wisbert: "Das sind sehr harte Einschnitte. So heftige Einsparungen haben wir bisher noch nicht gesehen, sollten sie so kommen." Insgesamt beschäftigt Volkswagen in Deutschland 120.000 Menschen - allein 10.000 Stellenstreichungen können also rund jeden zwölften Arbeitsplatz treffen.

Kämen die Werksschließungen wie angekündigt, würde etwa jede dritte Produktionsstätte dichtmachen - wenn es bei der Zahl bleibt. Nach Angaben des Volkswagen-Konzernbetriebsrats könnten sogar mehr Werke auf der Kippe stehen. "Alle deutschen VW-Werke sind von diesen Plänen betroffen. Keines ist sicher", heißt es in einer entsprechenden Pressemeldung. Insgesamt gibt es hierzulande zehn VW-Produktionsstätten. Volkswagen will weitere Details zu Einsparungen erst am Mittwoch bekannt geben.

Krise trotz Gewinnen

Doch was sind die Gründe für einen so einschneidenden Schritt? Auf dem Papier steht Volkswagen bislang gut da. 2023 verbuchte der Konzern laut Jahresbericht gar einen neuen Rekordumsatz von rund 332,3 Milliarden Euro - das entspricht einem Plus von rund 15,5 Prozent.

Auch beim Gewinn verzeichnete Europas größter Autobauer ein Plus: Das operative Ergebnis der Volkswagen AG wuchs von 2022 auf 2023 auf rund 22,58 Milliarden Euro. Im Gegensatz zum kräftig gewachsenen Umsatz war das aber nur ein eher kleiner Zuwachs von rund zwei Prozent.

Für dieses Jahr musste der Konzern seine Erwartungen nach unten korrigieren, es wird weniger statt mehr Autos ausliefern. Auch die Gewinnprognose ist nach unten korrigiert worden, bleibt aber deutlich im positiven Bereich.

Dem Konzern fehlt es an Wachstumsperspektiven. Gerade auf dem wichtigen Absatzmarkt Asien sinkt die Nachfrage rapide. In China, wo zuletzt immerhin etwa jeder dritte Volkswagen verkauft wurde, laufen günstigere und innovativere inländische E-Autohersteller den Wolfsburgern inzwischen deutlich den Rang ab. Im zweiten Quartal 2024 lieferten die Wolfsburger fast ein Fünftel weniger Autos nach China aus. Der europäische Absatzmarkt alleine kann das nicht ausgleichen. 

Konkurrenzfähige E-Autos für Asien und Co.

Beobachter sind sicher: Der Wettbewerbsdruck durch chinesische und andere ausländische Autobauer werde nur noch größer. Und: Volkswagen habe die Transformation hin zur Elektromobilität und innovativeren Digitalsystemen verschlafen.

Das sieht auch Automobilexpertin Wisbert so. Jetzt an dem EU-weiten Verbrenner-Aus zu wackeln, mit der Hoffnung die deutsche Autoindustrie zu retten, hält sie für den falschen Weg: "Die zentralen Märkte sind in Asien. Und für die braucht es konkurrenzfähige E-Autos." Auch DIW-Chef Marcel Fratzscher hatte dies kürzlich betont: "Die Entscheidung gegen den Verbrennungsmotor und für die Batterietechnik ist seit langem gefallen und wurde und wird nicht in Deutschland getroffen, sondern weltweit und insbesondere in den großen Märkten wie China und den USA", so Fratzscher.

"Volkswagen zahlt überdurchschnittliche Gehälter"

Das zweite Problem aus Sicht vieler Experten: zu hohe Kosten. "Volkswagen zahlt überdurchschnittliche Gehälter, dabei ist man anders als die Premiumhersteller wie BMW und Mercedes bereits in den günstigeren Marktsegmenten unterwegs, und das wird noch zunehmen", sagt Wisbert.

Zwar habe Volkswagen neue Arbeitsplätze in den Bereichen Digitalisierung und Elektrifizierung geschaffen. An anderer Stelle wurden aber keine Streichungen vorgenommen. Für sie ist klar: "An Kostensenkungen kommt das Unternehmen nicht vorbei, um konkurrenzfähig zu bleiben." 

In eine ähnliche Richtung stößt auch Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM). "Die Arbeitskosten in Deutschland sind in Vergleich zu anderen Produktionsländern in Europa, etwa in Portugal oder Polen, deutlich höher", sagte er gegenüber tagesschau24. 

Autoexperte: Nicht nur an Arbeitern sparen

Auch er hält Sparmaßnahmen daher für notwendig - allerdings nicht nur an einer Stelle: "Es kann nicht sein, dass nur bei den Werkern gespart wird. Es muss sicherlich auch auf den höheren Rängen bis hin zum Vorstand ein Sparbeitrag geliefert werden." Er denkt etwa an die Dividendenauszahlungen. Die lagen zuletzt für das Geschäftsjahr 2023 bei insgesamt 4,5 Milliarden Euro.

Damit sei es aber nicht getan, betonen sowohl Bratzel als auch Wisbert. Freiwerdende Mittel durch Einsparungen müssten in Innovationen und mehr Flexibilität fließen, damit der Konzern sich für die Zukunft aufstellen kann, finden sie.

Gespräche auf Industriegipfel

Am Dienstag wird Volkswagenchef Oliver Blume am Industriegipfel im Bundeskanzleramt teilnehmen. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich zuvor in die Debatte eingeschaltet. Der SPD-Politiker ließ über einen Sprecher mitteilen: Es gehe jetzt darum, Arbeitsplätze zu erhalten und zu sichern. Sollte das Volkswagen-Management möglicherweise in der Vergangenheit falsche Entscheidungen getroffen haben, dann dürften die jetzt nicht zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen.

VW teilte dem ARD-Hauptstadtstudio mit, man erhoffe sich konstruktive Beratungen und konkrete Maßnahmen, die die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland fördern, sowie Rahmenbedingungen, um den Hochlauf der E-Mobilität zu verbessern.

Das Bundeswirtschaftsministerium verwies auf tagesschau.de-Anfrage auf zwei Maßnahmen, die schon auf den Weg gebracht worden seien: zum einen beschleunigte Abschreibungen für neu angeschaffte Elektrofahrzeuge. Zum anderen werde bei der Dienstwagenregelung die Deckelung für die Nutzung der Elektrofahrzeugbegünstigung von 70.000 Euro auf 95.000 Euro angehoben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 28. Oktober 2024 um 18:00 Uhr.