Schwäche der deutschen Wirtschaft Wiederholt sich der Abstieg?
Schon einmal galt Deutschland als der "kranke Mann Europas". Jetzt kommen Erinnerungen an diese Zeit vor mehr als 20 Jahren wieder hoch. Für die jüngere Generation ist es eine ganz neue Erfahrung.
"Konjunkturprognose nach unten korrigiert"; "Deutschland in der Rezession"; "Beschäftigte zittern um ihren Arbeitsplatz". Wenn bei Berichten über die Lage der deutschen Wirtschaft das Datum fehlen würde, müssten selbst Fachleute rätseln: Ist der Artikel aktuell oder stammt er vom Beginn der 2000er Jahre?
Auf den ersten Blick seien die beiden Phasen ähnlich, sagt der Würzburger Wirtschaftsexperte Peter Bofinger. Der ehemalige Wirtschaftsweise kommt zu einem klaren Befund: "Heute ist die Situation viel dramatischer als damals." Dabei ist Bofinger alles andere als ein Berufspessimist: 2004, in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und Hartz-IV-Debatte, veröffentlichte er ein Buch unter dem Titel "Wir sind besser, als wir glauben". Aktuell wäre der Titel wohl ein anderer, sagt er: "Es ist schlimmer, als wir glauben."
Deutschland im internationalen Vergleich Schlusslicht
Dabei ist es schon schlimm genug, wenn man Siegfried Brandl zuhört. Als Geschäftsführer des Möbelhauses Brandl Home Company in bayerischen Kelheim kann er momentan seine Kunden einzeln mit Handschlag begrüßen. "Die Leute sind total verunsichert und kaufen deshalb nicht", erzählt er und merkt das jeden Tag. Was vor den Toren Regensburg passiert, zeigt sich auch bundesweit im GfK-Konsumklimaindex, der seit Jahren im negativen Bereich verharrt.
Die schlechten Nachrichten, die an die Krise vor mehr als 20 Jahren erinnern, springen einem derzeit geradezu entgegen: Die Bundesregierung korrigierte ihre Prognose nach unten und erwartet einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent für dieses Jahr. Deutschland steckt damit das zweite Jahr in Folge in der Rezession. Für das kommende Jahr ist die Bundesregierung etwas optimistischer und erwartet ein Plus von 1,1 Prozent.
Damit verharrt Deutschland international aber weiterhin im Tabellenkeller: In Rankings wird der Standort Deutschland nach unten durchgereicht. So sagt die OECD für nahezu alle andern Länder der Welt ein kräftiges Wachstum voraus - Indien etwa soll im kommenden Jahr um 6,8 Prozent wachsen, China um 4,5 Prozent, Spanien um 2,2 Prozent. Deutschland bleibt Schlusslicht und rutscht schneller nach unten als in der früheren Krise.
Krise als neue Erfahrung
Johannes Grupp hat sein Unternehmen Plastro Mayer auf der Schwäbischen Alb auch schon Anfang der 2000er Jahre durch die Krise gesteuert. Ganz aktuell wachsen die Sorgen wieder. Zwei Firmen, die langjährige Kunden für seine Produkte waren, haben in der vergangenen Woche plötzlich dicht gemacht. "Wie üblich hatten wir mit denen geplant, jetzt sind sie einfach weg."
Für Tochter und Geschäftsführerin Isabel Grupp ist Krise eine völlig neue Erfahrung. Sie tritt nun auf die Kostenbremse. Zwar sind Entlassungen überhaupt kein Thema. "Wenn aber jemand ausscheidet", erklärt die Juniorchefin, "denken wir jetzt über Zeitarbeitskräfte nach oder besetzten die Stelle nicht nach." Das ist ungewohnt für sie, aber typisch für die deutschen Unternehmen in der Krise.
Massenarbeitslosigkeit droht nicht
So kommt auch der Arbeitsmarkt unter Druck. Zwar ist die Arbeitslosigkeit nur rund halb so hoch wie in der damaligen Krise mit einer Arbeitslosenquote von zehn Prozent und mehr. Doch die Tendenz geht nach oben, vom Tiefstwert 5,0 Prozent im Jahr 2019 auf sechs Prozent im September 2024. Nach wie vor gibt es zwar einen großen Bedarf, beispielsweise im sozialen Bereich. "Doch wer seinen Arbeitsplatz in der Industrie verliert", macht Wirtschaftswissenschaftler Bofinger klar, "der wird dann auf Einkommen verzichten müssen."
In der schlechten Lage gibt es drei Faktoren, die Mut machen können: Die Massenarbeitslosigkeit aus den Nuller-Jahren wird wohl nicht zurückkehren - dem demografischen Wandel sei Dank. Zweitens hat der deutsche Staat wegen der im Vergleich geringen Verschuldung alle Möglichkeiten, um die Situation zu verbessern.
Und drittens besteht wegen der gesunkenen Inflation die Hoffnung, dass die Europäische Zentralbank schon in der kommenden Woche die Zinsen ein weiteres Mal senkt und so die Wirtschaft ankurbelt. Das sind immerhin drei Hoffnungsschimmer in trüben Zeiten - mehr aber auch nicht.