Besuch in Berlin Selenskyj hofft auf Sinneswandel bei Scholz
In Berlin wird der ukrainische Präsident Selenskyj zu einem Treffen mit Kanzler Scholz und Bundespräsident Steinmeier erwartet. Im Fokus dürfte dabei die Forderung nach einem Ja zu weitreichenden Angriffen stehen.
Zum zweiten Mal innerhalb von fünf Wochen wird der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj heute nach Deutschland reisen. Am Nachmittag soll er in Berlin zu einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammenkommen.
Berlin ist Station Nummer vier von Selenskyjs Europa-Reise - nach London, Paris und Rom. Eigentlich hätte er Samstag an einem weiteren Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe auf dem US-Stützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz teilnehmen sollen. Doch nach der Absage des Deutschland-Besuchs von US-Präsident Joe Biden wegen des Hurrikans "Milton" wurde auch dieses Gipfeltreffen vorerst verschoben.
Die Forderungen des ukrainischen Regierungschefs sind bei all den Beratungen dieselben: mehr militärische Unterstützung im Kampf gegen russischen Angriffskrieg und die Zustimmung der westlichen Partner, weitreichende Waffen auch für Angriffe über das ukrainisch-russische Grenzgebiet hinaus nutzen zu können.
Doch gerade bei letzterem Punkt hat sich Scholz stets zurückhaltend gezeigt. Bisher genehmigt die Bundesregierung, ähnlich wie die USA und andere Staaten, Angriffe mit aus Deutschland gelieferten Waffen lediglich auf Ziele innerhalb des an die ostukrainische Region Charkiw angrenzenden russischen Gebiets.
Mehrere Parteien drängen auf umfassendere Unterstützung
Doch aus mehreren Parteien - auch aus den Reihen der Ampel - mehren sich die Stimmen, denen das nicht ausreicht. "Wir müssen deutlich mehr Luftverteidigung, Munition und weitreichende Waffen an die Ukraine liefern", drängte Anton Hofreiter von den Grünen im Gespräch mit der Rheinischen Post. Und er mahnte: "Reichweitenbeschränkungen gelieferter Waffen tragen nicht zur Deeskalation bei, sondern ermöglichen weitere russische Angriffe."
Auch die FDP-Politikerin Agnes Strack-Zimmermann geht die Unterstützung für die Ukraine nicht weit genug. "Die Ukraine ist im Begriff zu ertrinken, und nach wie vor werfen wir ihr nur Rettungsringe zu, um sie vor dem Ertrinken zu retten", sagte sie und richtete ihre Kritik auch direkt an Scholz: "Warum ist dieser Bundeskanzler nicht dazu bereit, seinen Teil dazu beizutragen, die Ukraine aus dem Wasser zu ziehen?"
Der CDU-Verteidigungsexperte Johann Wadephul drängte hingegen auf ein ebenfalls seit Längerem umstrittenes Thema - die Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern an die Ukraine. Sein Nein zu eben jenen Lieferungen hatte Scholz in der Vergangenheit mit eben jenen Bedenken begründet, dass die Marschflugkörper mit einer Reichweite von bis zu 500 Kilometern für weitreichende Angriffe auf russisches Staatsgebiet genutzt werden könnten.
Rutte und Starmer zurückhaltend bei weitreichenden Angriffen
Seine Forderung nach weitreichenden Angriffen hatte Selenskyj am Donnerstag mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte und dem britischen Premierminister Keir Starmer in London diskutiert. Doch einen Durchbruch erzielte Selenskyj offenbar nicht. Zwar sicherten ihm sowohl Rutte als auch Starmer weiterhin anhaltende und umfassende Unterstützung zu, beim Punkt weitreichende Angriffe blieben beide jedoch zurückhaltend.
Rutte betonte zwar, dass die Ukraine "rechtlich gesehen berechtigt ist, ihre Waffen einzusetzen, wenn sie auf Ziele in Russland zielen können, sofern diese Ziele eine Bedrohung für die Ukraine darstellen". Die Entscheidung, solche Angriffe zu genehmigen, liege aber auch "bei jedem Verbündeten einzeln". Und Starmer äußerte recht knapp, dass sich an der Position der britischen Regierung nichts geändert habe.
Italien plant Wiederaufbau-Konferenz
Ein weiterer zentraler Punkt in den Beratungen mit den EU-Staatschef ist Selenskyjs sogenannter Siegesplan. Den hatte er Ende September bei seinem Besuch in den USA schon Präsident Joe Biden vorgestellt. Doch viel ist über den "Siegesplan" bisher nicht öffentlich geworden - lediglich, dass Selenskyj sich auch offen für künftige Verhandlungen mit russischer Beteiligung zeigt.
Auch der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni habe er seien "Siegesplan in allen Einzelheiten" vorgestellt, sagte Selenskyj am Donnerstagabend, nachdem er von London aus zunächst nach Frankreich zu einem Treffen mit Präsident Emmanuel Macron und anschließend nach Rom weitergereist war. Doch auch hier - keine weiteren Details zum Inhalt des Plans. Er sei jedoch der Weg hin zu einem "gerechten Frieden", betonte Selenskyj. Was aus Sicht der Ukraine den vollständigen Abzug aller russischen Truppen von ukrainischem Staatsgebiet bedeutet, eine Forderung die Russland bislang vehement ablehnt.
Meloni kündigte an, im kommenden Jahr eine Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine auszurichten. Diese solle am 10. und 11. Juli 2025 in Rom stattfinden. "Die Ukraine ist nicht allein, und wir werden ihr zur Seite stehen, solange es nötig ist", sagte Meloni nach den Beratungen. Italiens Unterstützung solle die Ukraine in die "bestmögliche Lage versetzen, einen Verhandlungstisch für den Frieden zu schaffen, einen Frieden, (...) der keine Kapitulation sein kann".