Erdogan-Besuch in Deutschland Zwischen Angst und Begeisterung bei Deutsch-Türken
Besuche des türkischen Staatspräsidenten waren nie einfach - weder für die Politik noch für die Deutsch-Türken in Deutschland. Jeder hat eine Meinung - nicht jeder traut sich, sie auszusprechen.
Die Kritik am Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist laut. Und sie ist mehrheitlich deutsch. Wie kann der Bundeskanzler, wie kann der Bundespräsident sich mit dem Islamisten, dem Menschenrechtsverletzer, dem Israelhasser treffen? Ausladen müsse man ihn, spätestens nach seinen Äußerungen zum Angriff der Hamas auf Israel, hört und liest man von allen Seiten.
Von den hier lebenden türkischen Staatsangehörigen dagegen hört man eigentlich fast nichts. Das ist nicht neu. Denn die türkische Community ist tief gespalten. Bei den Parlamentswahlen errang Erdogan 67 Prozent der "deutschen" Stimmen. Doch die Mehrheit der hier lebenden Wahlberechtigen sieht ihn trotzdem nicht als ihren Präsidenten.
1,5 der drei Millionen Türkischstämmigen hierzulande dürfen wählen, die Hälfte von ihnen hat es getan. Und manch einer bereut das heute, weil die Versprechungen bisher nicht eingelöst wurden. "Alle Wahlgeschenke sind längst kassiert, die Verteuerung trifft alle, auch seine Anhänger", sagt Professor Hacı-Halil Uslucan vom Zentrum für Türkeistudien.
Mancher, der hier Erdogan verteidigt oder begeistert beschwört, tue das nicht aus Begeisterung für den türkischen Präsidenten. "Die Community weiß ja, dass die Deutschen kritisch sind. Wenn wir schon nicht zu Deutschland gehören, dann wollen wir uns der Türkei zugehörig fühlen."
Ja, nein, egal.
Bei einer Umfrage in Berlin ärgert manche schon die Frage maßlos. Andere Staatschefs würden schließlich auch empfangen, sagt ein Mann in einem Laden. Nur bei "ihrem Präsidenten" gäbe es jedes Mal Theater. Genau deshalb findet er Erdogan toll. Aber eigentlich redet er selten über Politik, denn schon seine Kundinnen und Kunden haben da andere Meinungen. Der Streit wäre programmiert und nicht gut fürs Geschäft.
Insgesamt ist es schwer ins Gespräch zu kommen. Die meisten winken gleich ab. Und die, die etwas sagen, sagen nicht viel. Es sei besser, nicht zu reden, meint ein Dönerverkäufer. "Ich halte allgemein nichts von Erdogan. Also ist es egal, ob er da ist oder nicht", meint eine junge Frau in Berlin-Gesundbrunnen.
"Der kommt nur wegen Geld oder wegen der Wahlen", erzählt ein älterer Mann. Und er sagt noch etwas: Er wisse gar nicht, was er nun sei: "Türke? Berliner? Türkischer Berliner? Berliner Türke?" Geboren ist er in der Türkei. Seine Heimat ist hier. Seine Probleme: Miete, Strompreis, Heizkosten - eben das, was alle, die hier leben, beschäftigt. Beeinflussen können es die Türken hier nicht. Und "ihr" türkischer Präsident auch nicht, egal, ob er nun hier ist oder 2000 Kilometer entfernt.
Und seine Gegner? Die sagen erst recht nichts. Nicht nach der letzten Wahl, denn auf Jahre, so die Sorge, wird für sie sonst in der Türkei kein Platz sein. Es scheint zu gefährlich, der Gegner übermächtig.
Zu Erdogan? Kein Wort.
Auch die Berliner Landespolitiker schweigen. Nur einer von 22 Angefragten erklärt sich zu einem Interview bereit. Hakan Taş saß bis vor zwei Jahren für die Linkspartei im Abgeordnetenhaus. Er versteht die Sorgen seiner Kolleginnen und Kollegen. Viele befürchten, dann nicht ohne Schwierigkeiten in die Türkei fahren zu können, sogar verhaftet zu werden oder sie hätten Angst um Familienangehörige dort, erzählt er.
Taş hat sich positioniert. Schon lange. Bisher sind seine Türkei-Besuche immer gut gegangen. Er ist alevitischer Kurde, und er verurteilt den Besuch aufs Schärfste - nicht erst seit den aktuellen Aussagen zur Hamas. "Es ist merkwürdig, dass der Staatsbesuch stattfindet, zumal Erdogan die Hamas unterstützt."
Zwischen den Stühlen?
Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland ist mit den Aussagen des Staatspräsidenten nicht glücklich, hat selbst den Terrorangriff verurteilt. Angesichts der Lage in der Welt und der deutsch-türkischen Beziehungen sei es aber besser, im Gespräch zu bleiben. Eine diplomatische Antwort. Der Eindruck bleibt, viele fühlen sich zwischen allen Stühlen.
Das Freundschaftsspiel zwischen der deutschen und der türkischen Nationalmannschaft am Samstag ist da deutlich weniger kompliziert. Und jeder sagt offen, für wen sein Herz schlägt.