EVP und Rechtsaußenparteien Bröckelt die Brandmauer im EU-Parlament?
Kuscheln Europas Christdemokraten mit den Fraktionen des rechten Randes? Das werfen Kritiker der EVP von Manfred Weber vor und befürchten weitreichende Folgen für die Arbeit im EU-Parlament.
Diese Plenumswoche im Europäischen Parlament in Straßburg könnte nachwirken: Am Mittwoch haben die Abgeordneten ihren Standpunkt für die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten über den EU-Haushalt fürs kommende Jahr festgelegt. Dabei stimmten sie auch über eine Absichtserklärung ab, die erläutern soll, wofür die Gelder verwendet werden. Die christdemokratische EVP-Fraktion, in der die Europaabgeordneten von CDU und CSU sitzen, votierte erstmals für den Änderungsantrag eines AfD-Parlamentariers.
Darin wird "eine angemessene Finanzierung physischer Barrieren an den Außengrenzen der Union" verlangt. Dieser Antrag und ein weiterer, der Abschiebelager befürwortet, bekamen mit den Stimmen der EVP eine Mehrheit, obwohl die begleitende Resolution zum Budget insgesamt am Ende durchfiel. Der verantwortliche AfD-Abgeordnete Alexander Jungbluth spricht von einem "historischen Tag" und einem "riesigen Erfolg".
Gilt die Absprache noch?
Inhaltlich verlangt sein Antrag wenig Neues - er entspricht im Wesentlichen den Forderungen des jüngsten EU-Gipfels. Bemerkenswert ist, dass die Christdemokraten gemeinsam mit den Rechtsaußen-Fraktionen stimmten. Die Grünen sprechen von einem Dammbruch und werfen den Unionsparteien vor, trotz aller Skrupel in Deutschland gemeinsame Sache mit der Europa-AfD zu machen.
Auch die europäischen Sozialdemokraten sind sauer. Nach ihrer Lesart verletzen die Christdemokraten die jahrzehntelang geltende Übereinkunft der pro-europäischen Fraktionen im EU-Parlament, Rechtspopulisten und Rechtsextreme bei der Gesetzgebung und anderen wichtigen Abstimmungen außen vor zu lassen. Diese klare Abgrenzung wird als Damm, Brandmauer oder Cordon sanitaire bezeichnet, die jetzt nach Ansicht von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen aufgrund des EVP-Stimmverhaltens löchrig werden.
Nicht das erste Mal
Und zwar seit längerem: Vor einem Monat stimmte die EVP mit den Fraktionen vom rechten Rand für eine Resolution zugunsten des oppositionellen Präsidentschaftskandidaten in Venezuela. Dafür machten sich die Christdemokraten einen Entwurf der rechtsextremen "Patrioten für Europa" zu eigen, in der Rassemblement National, FPÖ und Fidesz vertreten sind. Weitere Ja-Stimmen kamen von der rechtspopulistischen EKR - in der die polnische PiS und die Fratelli d’Italia sitzen - sowie vom "Europa souveräner Nationen" um die AfD.
Auch beim Zeitplan für die Anhörungen der designierten EU-Kommissarinnen und Kommissare Anfang kommenden Monats in den zuständigen Ausschüssen des EU-Parlaments zogen Christdemokraten und Rechte an einem Strang. Sie sorgten mit ihrer Mehrheit dafür, dass der umstrittene Kandidat Raffaele Fitto von den Fratelli d’Italia vor der Sozialdemokratin Teresa Ribera drankommt, was ersterem einen Vorteil verschaffen könnte.
Der Unmut von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen rührt auch daher, dass sie im Juli mehrheitlich für eine zweite Amtszeit von Kommissionschefin Ursula von der Leyen stimmten - anders als die Fratelli d’Italia, für deren Kandidaten Fitto sich die EVP nun stark machte.
Neue Mehrheitsverhältnisse
Die Grünen wähnen durch das Verhalten der EVP die Stabilität in Europa gefährdet, weil es drohe, die pro-europäische Mehrheit im EU-Parlament dauerhaft zu spalten. Die Sozialdemokraten sehen die Brandmauer in Gefahr.
EVP-Fraktionschef Manfred Weber hält dagegen: Es gebe weiterhin keine Zusammenarbeit mit Radikalen, die nicht für Europa, die Ukraine und den Rechtsstaat eintreten. Weber argumentiert aus einer Position neugewonnener Stärke: Die EVP stellt 12 der 27 EU-Staats- und Regierungschefs und -chefinnen, mit denen sich der Partei- und Fraktionschef regelmäßig abspricht.
Außerdem ist die christdemokratische Fraktion durch das Ergebnis der Europawahl vom Juni in einer komfortablen Position: Weil sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament geändert haben, ist links von ihr keine Mehrheit mehr möglich, um Beschlüsse gegen die Christdemokraten durchzusetzen.
Gereizte Stimmung vor den Anhörungen
Die spannende Frage ist, wie Fraktionschef Weber diese Macht nutzt, wenn im Parlament die eigentliche inhaltliche Arbeit beginnt und auf welcher Seite er sich dafür die nötigen Mehrheiten sucht - etwa in der Abstimmung über das faktische Aus für den Verbrennungsmotor ab 2035, das die EVP rückgängig machen will.
Die Stimmung in den pro-europäischen Fraktionen ist angespannt und das könnte die anstehenden Anhörungen der Kommissarskandidatinnen und -kandidaten überschatten. Einige von ihnen gelten ohnehin als Wackelkandidaten. Sollten Sozialdemokraten, Grüne und Liberale einen EVP-Anwärter oder den EKR-Mann Fitto ablehnen, könnten die Christdemokraten ihrerseits Kandidaten blockieren. Die politische Dynamik beim "Grillen" der Kandidierenden wird noch unvorhersehbarer.