Christina Buckow nimmt im Homeoffice an einer Schaltkonferenz teil.
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Gesundheit und Job Arbeiten trotz und mit chronischer Krankheit

Stand: 26.10.2024 08:37 Uhr

In Deutschland ist man entweder krank und damit arbeitsunfähig - oder man ist gesund und geht arbeiten. Was bedeutet das etwa für chronisch an Rheuma Erkrankte, die gerne arbeiten wollen?

Von Daniela Diehl, SWR und Sophia Volkhardt, SWR

"Ich habe von meinem Rheumatologen in der Klinik nach der Diagnose die direkte Empfehlung bekommen, dass ich in Rente gehen soll. Und er hat mir zwei Jahre damit in den Ohren gelegen", erzählt Christina Buckow. Die Lehrerin an einer sonderpädagogischen Einrichtung leidet an Rheuma, bei ihr ist es systemische Sklerose mit Myositis. Das zeigt sich bei der 39-Jährigen durch Schmerzen und Fatigue, eine krankhafte Erschöpfung. Außerdem ist ihre Herzfunktion eingeschränkt.

Herzrasen und Herzrhythmusstörungen sind für sie Alltag. Auch ihre Lunge funktioniert nicht mehr voll. Beim Treppensteigen hat sie Atemnot, beim Laufen, beim Spazierengehen. Die Myositis, die Muskelentzündung, schränkt sie im Alltag stark ein. "Mir fällt es einfach schwer, ganz viele Dinge im Alltag zu tun. Flaschen öffnen zum Beispiel ist schon ein großes Problem. Oder ins Auto einsteigen. Da helfe ich meistens mit den Händen meinen Beinen nach, weil die gar nicht so hoch kommen von allein."

Ohne Arbeit reicht das Geld nicht

Als sie die Diagnose mit Mitte 30 bekam, war schnell klar: Ihre Karrierepläne sind vorbei. Zusätzlich zu dem großen Schock und der Trauer aufgrund der Diagnose kam große Existenzangst. "Ich habe durchgerechnet, wie viel ich Rente bekommen würde, wie viel ich bekommen würde, wenn ich noch 50 Prozent zusätzlich arbeite. Aber es hat alles einfach nicht gereicht."

Sie hat für sich entschieden: Sie will weiterarbeiten, weiter am Leben teilnehmen. Halt geben ihr ihre Tiere, Katze Lucy und ihr Pflegepferd. Dabei wollten die Ärzte ihr das Reiten eigentlich verbieten. "Reiten ist für mich einfach eine Leidenschaft. Das wollte ich so nicht hinnehmen und habe gesagt: Jetzt probieren wir in der Physio alles, was geht. Die Pferde haben mich auch aus meiner anfänglichen Depression wieder rausgeholt." Inzwischen erlauben die Ärzte das Reiten wieder. Auf Springreiten muss sie allerdings verzichten, dafür fehlt die Kraft.

Ähnlich ist es mit ihrer Arbeit. Es geht - aber eben anders als früher. Vor der Erkrankung war die Sonderpädagogin viel in der Schule. Jetzt braucht sie dazwischen regelmäßige Homeoffice-Tage, um wieder zu Kräften zu kommen. "Der dritte Arbeitstag muss ein Pausentag sein. Das ist dann mein Homeoffice-Tag, wo ich körperlich einfach nicht mehr so aktiv gefordert bin. Sonst liege ich am Tag danach flach."

Christina Buckow streichelt eine Katze, die über den Schreibtisch läuft.

Ihre Katze Lucy gibt Christina Buckow viel Kraft.

Gegenseitige Offenheit ist zentral

Christina Buckow übernimmt bei der Arbeit jetzt mehr organisatorische Tätigkeiten, die wichtig, aber weniger zeitkritisch sind. Ihr Arbeitgeber, die Paulinenpflege Winnenden, war von Anfang an sehr verständnisvoll, riet ihr, einen Gang runterzuschalten.

Aber es brauchte viel Flexibilität und Offenheit - von beiden Seiten, findet ihr direkter Vorgesetzter, Manuel Wacker, Abteilungsleiter Schule beim Jakobsweg der Paulinenpflege Winnenden. "Ich denke, das Zentrale war, dass wir miteinander gesprochen haben. Und dass ich auch im Bilde war, was die Erkrankung so mit sich bringt."

Und dass sie miteinander herausgefunden hätten, was möglich sei und was nicht. Natürlich fordere die Schule die Arbeitskraft ein, es gebe ja einen Arbeitsvertrag. "Aber es gibt halt Phasen der Erkrankung, wo es besser läuft und solche, wo es schlechter läuft. Da kann man nicht immer erwarten, dass morgen alles fertig ist", sagt Wacker.

Krankheit nicht immer offensichtlich

Wenn andere zu wenig über die Krankheit wissen, führe das oft zu zusätzlichen Problemen, erklärt Ursula Faubel, Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Rheuma-Liga. Die Liga bietet unter anderem Beratung, Informationsmaterial und Bewegungskurse für Betroffene.

Rheuma verlaufe meist in Schüben. Zwischen akuten Krankheitsphasen, in denen Betroffene massive Schmerzen haben, könnten nahezu beschwerdefreie Zeiten liegen. Für Arbeitskollegen ohne dieses Wissen sei es oft nicht nachvollziehbar, dass Betroffene an einem Tag gesund erscheinen und schon am nächsten arbeitsunfähig sind.

Auch seien Betroffene dank moderner Medikamente glücklicherweise nicht mehr so gezeichnet wie früher. Müdigkeit und Herzrasen seien von außen aber oft nicht direkt erkennbar. Offenheit im Umgang mit der Erkrankung sei daher Voraussetzung für Verständnis und Unterstützungsangebote.

Individuelle Lösungen

Nicht nur mehr Bewusstsein für die Krankheit bei Kollegen und Arbeitgebern wünscht sich Christina Buckow, sondern auch in der Gesetzgebung müsse sich noch viel tun. "Unser Arbeitsrecht ist binär. Das heißt, entweder man ist gesund. Dann ist man arbeitsfähig. Oder man ist krank und damit arbeitsunfähig. Wir sind auf den Willen des Arbeitgebers angewiesen, dass er mit einem eine individuelle Lösung findet. Das Arbeitsrecht lässt einen da allein."

Dabei seien in Deutschland mehr als zwei Millionen Menschen von rheumatischen Erkrankungen unterschiedlichen Schweregrads betroffen, sagt Matthias Schneider vom Universitätsklinikum Düsseldorf. Das seien rund drei Prozent der erwachsenen Bevölkerung. "Betriebe und Gesellschaft können auf dieses wertvolle Potenzial an Arbeitskraft nicht verzichten, die Betroffenen können ihren Beruf in aller Regel weiter ausüben."

Arbeitsrecht schreibt Inklusion vor

Doch das Gesetz kennt keine Teilarbeitsunfähigkeit, erklärt der Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht, Michael Fuhlrott. Er hält das derzeitige System allerdings für ausgewogen. "Es ist immer auch die Frage, was mute ich dem Arbeitgeber zu. Der hat schließlich Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Erbringung der Arbeitsleistung, zumal er das Gehalt auch ungekürzt zahlt."

Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind verpflichtet, wenigstens fünf Prozent der Stellen mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Durch diese Pflicht gebe es schon eine Lösung.

Auch Christina Buckow kennt diese Regelung, beklagt aber: "Die Inklusion gibt es nur auf dem Papier. In der Realität sieht es oft anders aus." Anwalt Fuhlrott bestätig: "Die Firmen müssen Menschen mit Schwerbehinderung nicht tatsächlich einstellen. Sie können stattdessen auch eine Ausgleichszahlung leisten."

Viele Arbeitnehmer schämen sich

Außerdem traue sich ein Teil der Betroffenen nicht, ihrem Arbeitgeber von der Erkrankung zu erzählen und einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen, sagt Ursula Faubel von der Deutschen Rheuma-Liga. Sie hätten Angst vor Repressionen. Arbeitgeber seien aber gesetzlich verpflichtet, Menschen mit einer Schwerbehinderung zu unterstützen, zum Beispiel durch behinderungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsorganisation.

Auch Christina Buckow hat sich anfangs geschämt: für ihre Krankheit und weil sie keine Sonderbehandlungen wollte. Mittlerweile weiß sie, dass es nur so geht. Und ist überzeugt: "Wir leisten auch gute Arbeit und sind in vielen Punkten besonders ausdauernd, weil wir durch unsere Erkrankungen einfach jeden Tag Hürden meistern, die man sich gar nicht vorstellen kann als Mensch, der das Glück hat, nicht krank zu sein."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 08. August 2024 um 22:15 Uhr.