Nach Eklat Wie es jetzt im Thüringer Landtag weitergeht
Die konstituierende Sitzung des Landtags in Erfurt verlief chaotisch. Was ist passiert? Wie kam es zu dem Eklat? Und warum muss jetzt das Landesverfassungsgericht entscheiden? Ein Überblick.
Verfassungsbruch, Rechtsbruch, Blockade? Nach einer chaotischen ersten Sitzung des Thüringer Landtags soll der Verfassungsgerichtshof entscheiden, wie es weitergeht. Das Parlament in Erfurt rutscht damit vorübergehend in eine Krise - ohne einen Landtagspräsidenten ist es fast vier Wochen nach der Landtagswahl nicht voll arbeitsfähig.
Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass sich der Landtag innerhalb von 30 Tagen nach der Landtagswahl konstituiert. Was in Erfurt passierte, die Unterbrechung einer Landtagssitzung und die Anrufung des Verfassungsgerichts, gilt unter Staatsrechtlern als "ungewöhnlicher Vorgang".
Was ist im Thüringer Landtag genau passiert?
Der Stoff war juristisch-trocken, doch die Emotionen kochten trotzdem hoch: Bei der Landtagssitzung in Erfurt gab es am Donnerstag Zwischenrufe, Applaus und teils verbales Durcheinander. Nach etlichen Unterbrechungen und einer heftigen Konfrontation zwischen einer starken AfD von Rechtsaußen Björn Höcke und den anderen Fraktionen CDU, BSW, Linke und SPD wurde die Sitzung unterbrochen.
Es gelang dem Parlament nicht einmal, seine Beschlussfähigkeit festzustellen. Die Abgeordneten der vier Fraktionen lasten das dem Alterspräsidenten von der AfD, Jürgen Treutler, an. Er ließ in der turbulenten Sitzung weder Wortmeldungen, Anträge noch eine Debatte über die von den Fraktionen geforderte Änderung der Geschäftsordnung zu.
Treutler zog seine Rede durch, die von vielen Abgeordneten als parteiisch bewertet wurde. Die CDU warf dem AfD-Mann auch vor, seine Kompetenzen als Alterspräsident weit überschritten zu haben. CDU-Chef Mario Voigt sagte: "Das war ein Angriff auf parlamentarische Rechte, auf die Verfassung und auf jeden einzelnen Abgeordneten."
Treutler versuchte, Abgeordneten das Wort zu entziehen, ignorierte Anträge und ging nicht auf mehrfach gestellte Forderungen ein, die Beschlussfähigkeit des Landtags festzustellen. Stattdessen sagte er mehrfach, dass er die Rechtsauffassung der AfD-Fraktion teile und demnach zu handeln gedenke. Der CDU-Abgeordnete Andreas Bühl sagte: "Was Sie hier betreiben, ist Machtergreifung."
Die Abgeordneten von CDU, BSW, Linke und SPD sehen damit ihre Rechte unzulässig beschnitten und das Mehrheits- und Demokratieprinzip angegriffen. Die AfD wiederum wirft den anderen Fraktionen vor, sich nicht an parlamentarische Gepflogenheiten zu halten.
Warum gibt es Kritik an Alterspräsident Treutler?
Alterspräsidenten sollen in der Regeln überparteilich wirken. Genau das tat Treutler aber nicht, so der Vorwurf. Zudem soll die AfD die Personalie bewusst gesetzt haben, um einen solchen Eklat zu provozieren.
Nach "Welt"-Recherchen soll die AfD den gebürtigen Sachsen aufgrund seines Alters als Landtagskandidaten nominiert haben, um - wie nun geschehen - das Amt besetzen zu können. Anfang des Jahres hatte die Partei in dem Wahlkreis nämlich einstimmig einen anderen Kandidaten für den Landtag vorgeschlagen, der im Sommer dann durch Treutler ersetzt wurde. "Sie können sicher sein, dass wir als AfD Thüringen eine sehr weitreichende strategische Planung haben", sagte Landeschef Björn Höcke dazu auf "Welt"-Anfrage.
Was sollen nun die Verfassungsrichter entscheiden?
Den Verfassungsrichtern wurde von der CDU ein Eilantrag vorgelegt, über den sie entscheiden sollen. Nach Angaben aus der CDU-Fraktion werden sich an dem Antrag auch die drei anderen Fraktionen beteiligen. Im Grunde geht es um die Regeln, an die sich Alterspräsident Treutler beim zweiten Anlauf halten muss - dazu gehört beispielsweise, dass er sich an die Tagesordnung hält und einen Änderungsantrag von CDU und BSW nicht ignoriert.
Mit dem Antrag wollen sie erreichen, dass der Personalvorschlag für das Landtagspräsidentenamt von allen Fraktionen kommen kann und nicht nur von der AfD als stärkster Fraktion. Wie die Verfassungsrichter entscheiden, ist offen. Auch der AfD-Alterspräsident konnte Stellung beziehen.
Weil es sich um ein Eilverfahren handelt, beraten die Richter, werden aber ohne mündliche Verhandlung entscheiden, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Der Zeitdruck liege in der Natur der Sache, aber der Landtag könne das Verfassungsgericht nicht zeitlich binden.
Wie kam es zu dem Eklat?
Ausgangspunkt ist ein Streit über die Wahl des Landtagspräsidenten. Die AfD hat als stärkste Fraktion mit ihren 32 von 88 Abgeordneten das Vorschlagsrecht.
Da klar war, dass mit Treutler ein AfD-Abgeordneter als Alterspräsident die Sitzung leitet, gab es im Vorfeld Befürchtungen, der 73-Jährige könnte stur ausschließlich AfD-Kandidaten zur Wahl aufrufen - die dann der Reihe nach bei der Wahl durchfallen würden.
CDU und BSW brachten daher einen Antrag ein, der Verfassungsrecht in die Geschäftsordnung übertragen soll. Damit sollen von Anfang an alle Fraktionen Kandidaten vorschlagen können.
Wie wird das Agieren der AfD eingeschätzt?
Nach Ansicht des Juristen Maximilian Steinbeis hat die AfD als stärkste Fraktion nur das Recht, den Kandidaten für das Amt des Landtagspräsidenten vorzuschlagen, aber nicht das Recht, dass dieser Kandidat - oder diese Kandidatin - dann auch gewählt wird.
"Das ist die freie Entscheidung der Abgeordneten des neuen Thüringer Landtags, wen sie zu ihrem Landtagspräsidenten wählen wollen. Und mehr gesteht die Verfassung der AfD als stärkste Fraktion überhaupt nicht zu", sagte Steinbeis am Donnerstagabend im ZDF-"heute journal". Steinbeis ist Gründer des Verfassungsblogs. Das "Thüringen-Projekt" des Verfassungsblogs beschäftigte sich mit der Frage, was passieren würde, wenn "autoritär-populistische Parteien staatliche Machtmittel in die Hand bekommen".
Wie geht es in Thüringen weiter?
Eine Entscheidung der Verfassungsrichter wird im Laufe des Tages erwartet. Um dem Gericht ausreichend Zeit zu geben, wurde die Sitzung des Landtags bis Samstag, 9.30 Uhr, unterbrochen.
Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa