Nach Eklat im Thüringer Landtag Rufe nach AfD-Verbotsverfahren
Nachdem die AfD im Thüringer Landtag Anträge anderer Parteien blockiert hat, gibt es scharfe Kritik. Erste Stimmen fordern ein Verbotsverfahren. Auch Juristen sagen, die AfD habe die Verfassung gebrochen.
Thüringens geschäftsführender Innenminister Georg Maier hat sich nach der chaotischen ersten Landtagssitzung für ein Verbotsverfahren gegen die AfD ausgesprochen. "Die heutigen Ereignisse im Thüringer Landtag haben gezeigt, dass die AfD aggressiv kämpferisch gegen den Parlamentarismus vorgeht. Ich denke, dass damit die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren gegeben sind", schrieb der SPD-Politiker auf der Plattform X.
"Die für ein Parteiverbot ebenfalls erforderliche Potentialität und der Verstoß gegen Art. 1 GG sind bei der AfD schon länger unstrittig", schrieb Maier weiter. "Meine Gedanken dazu habe ich bereits im Dezember 2023 geäußert. Der heutige Tag zeigt, dass ich nicht ganz falsch lag."
Ex-Ostbeauftragter ebenfalls für Verbotsverfahren
Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Ostbeauftragte Marco Wanderwitz fordert ein AfD-Verbotsverfahren. "Der Auftritt der AfD im Thüringer Landtag folgte ein weiteres Mal dem Drehbuch der Verächtlichmachung der parlamentarischen Demokratie und ihrer Institutionen", sagte Wanderwitz der Tageszeitung taz.
Die AfD tue dies planvoll und wirkmächtig. "Es bedarf dringend eines Verbotsverfahrens beim Bundesverfassungsgericht, wie es das Grundgesetz in Artikel 21 vorsieht", sagte der sächsische Bundestagsabgeordnete.
Nach Artikel 21 Grundgesetz sind Parteien verfassungswidrig, "die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden". Sie können durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden.
Die Hürden dafür sind hoch: Es muss auch wahrscheinlich sein, dass die Demokratie tatsächlich bedroht ist (Potentialität). Der AfD-Landesverband in Thüringen, genau wie der in Sachsen, wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft.
"Keine Partei, die Verantwortung tragen sollte"
Scharfe Kritik kam auch von Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD). Sie sagte, die AfD sei keine Partei, die Verantwortung tragen solle. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern sagte am Rande einer Bundesratssitzung in Berlin: Jeder müsse wissen, dass "das Chaos, was die AfD anrichtet, diese Willkür, wird herrschen in jedem Bereich unseres Lebens, wenn die AfD in Regierungsverantwortung kommt". Die gestrige Sitzung sei "erst der Anfang" gewesen.
Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion in Thüringen, Torben Braga, wies die Vorwürfe zurück. "Wenn sich in der gestrigen Landtagssitzung eine Fraktion so verhalten hat, dass eine aggressive Haltung zur parlamentarischen Demokratie deutlich und eine Beschädigung der Institution des Landtags und der Demokratie bewirkt wurde, dann war es mit Sicherheit nicht die AfD", erklärte er.
AfD-Mann lässt keine Debatte oder Anträge zu
Die konstituierende Landtagssitzung gestern endete nach etlichen Unterbrechungen, Zwischenrufen und verbalen Auseinandersetzungen und mit einem Eklat und einer heftigen Konfrontation zwischen der AfD von Rechtsaußen Björn Höcke und allen anderen Fraktionen im Parlament: CDU, BSW, Linke und SPD. Es gelang dem Parlament nicht einmal, seine Beschlussfähigkeit festzustellen.
Die Abgeordneten der vier Fraktionen lasten das dem Alterspräsidenten von der AfD, Jürgen Treutler, an. Er ließ in der turbulenten Sitzung weder Wortmeldungen, Anträge noch eine Debatte über die von den Fraktionen geforderte Änderung der Geschäftsordnung zu. Die Abgeordneten von CDU, BSW, Linke und SPD sehen damit ihre Rechte unzulässig beschnitten und das Mehrheits- und Demokratieprinzip angegriffen.
AfD mit Vorschlagsrecht - CDU und BSW wollen Verfahren ändern
Inhaltlich ging es bei dem Streit um die Wahl des Landtagspräsidenten. Eigentlich hat die größte Fraktion in der Regel das Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten - in diesem Fall die AfD. Sie wurde mit ihrem Landeschef Björn Höcke bei der Wahl Anfang September erstmals in einem Bundesland stärkste Kraft.
Doch die CDU und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wollten mit einem Antrag zur Geschäftsordnung das Verfahren ändern - und damit verhindern, dass die AfD den ersten Vorschlag für das Amt machen kann. Doch zu einer Abstimmung über den Antrag kam es nicht: Der AfD-Politiker Treutler - der als ältester Abgeordneter die Sitzung leitete - weigerte sich stundenlang, darüber abstimmen zu lassen.
Verfassungsrechtler: AfD "hat Verfassung gebrochen"
Experten, wie der Verfassungsrechtler Michael Brenner von der Universität Jena, sagen, der Rechtsaußen habe nicht nur seine Kompetenzen überschritten, sondern sogar die Abgeordnetenrechte verletzt, die in der Geschäftsordnung des Landtags und der Thüringer Verfassung festgelegt sind. Es kam zu mehreren Unterbrechungen und hitzigen Diskussionen im Erfurter Parlament.
Auch der Verfassungsrechtler Maximilian Steinbeis kritisierte das Verhalten der AfD. Sie habe "ihre Spiele gespielt". Im WDR sagte er, dass Alterspräsident Treutler "die Verfassung gebrochen hat".
Verfassungsgerichtshof angerufen
Die CDU-Fraktion rief den Thüringer Verfassungsgerichtshof an, um feststellen zu lassen, ob es rechtens ist, dass sich die neu gewählten Abgeordneten eine neue Geschäftsordnung geben. CDU-Landeschef Mario Voigt hofft auf eine zügige Entscheidung des Landesverfassungsgerichts. Er sei "hoffnungsfroh", dass das von seiner Partei eingeschaltete Gericht den Weg zur geheimen Wahl eines neuen Landtagspräsidenten am Samstag freimache, sagte Voigt im Deutschlandfunk.