Migrationsexperte fordert Drittstaatenlösung "Es bringt nichts, im deutschen Recht Schrauben zu drehen"
Die Ministerpräsidenten haben zum Thema Migration beraten. Nach Auffassung des Migrationsforschers Knaus bringe es nichts, das deutsche Recht zu ändern. Vielmehr müssten Drittstaatenlösungen im Vordergrund stehen.
tagesschau24: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer sagt, man sollte sich klar darüber werden, was wir denn in Deutschland leisten können in Sachen Migration. Was können wir denn leisten?
Gerald Knaus: Ein entscheidender Punkt in dieser Debatte, der oft untergeht, ist, wie historisch außergewöhnlich die letzten beiden oder zweieinhalb Jahre waren. Im Jahr 2022 und 2023 hat Deutschland mehr Menschen Schutz gewährt als in irgendeinem Jahr in der Geschichte der deutschen Demokratie. Seit 1949 gab es nie so viele Schutzbedürftige, die in Deutschland Schutz erhalten haben.
Aber der Hauptgrund für die große Überforderung, die ja in vielen Kommunen spürbar ist, war natürlich der Krieg in der Ukraine, und darauf hat Deutschland nur sehr, sehr begrenzt Einfluss über das Asylrecht. Denn die Leute aus der Ukraine brauchen ja keinen Asylantrag zu stellen. Auch bei den Asylsuchenden ist die Zahl wieder gestiegen, vor allem durch die Menschen, die über die Türkei in die EU kommen, Syrer und Afghanen. Da geht es nicht um Abschiebungen, weil die meisten von ihnen Schutz bekommen.
Das Ende der EU-Türkei-Erklärung, deren Zusammenbruch 2020, hat dazu geführt, dass die Zahl, nachdem sie vier Jahre lang gefallen ist, wieder gestiegen ist. Das sind die zwei Hauptkrisen, die ukrainische Flüchtlingskrise und die syrische Flüchtlingskrise. Sie ergeben eine historisch einmalige Situation in Deutschland.
Gerald Knaus leitet in Berlin die Denkfabrik European Stability Initiative. Der Soziologe und Migrationsforscher berät Regierungen zum Thema Migration und Flucht. Er gilt als einer der Architekten des EU-Türkei-Abkommens
tagesschau24: Der sächsische Ministerpräsident will das Grundrecht auf Asyl einschränken beziehungsweise anpassen, wie er es nennt, und plädiert deshalb für eine Verfassungsänderung. Das nennt er dann Asylfrieden. Ist das der richtige Weg?
Knaus: Das würde überhaupt nichts ändern. Das Asylrecht ist im EU-Recht verankert, da braucht man Vertragsänderungen. Manche Dinge lassen sich nicht einmal über Vertragsänderungen verändern. Das Gebot der Menschenwürde, dass man Menschen nicht in Situationen zurückbringen darf - Beispiel Syrien heute unter Assad - wo gefoltert wird, würden deutsche Gerichte und europäische Gerichte ohnehin weiter verteidigen.
Es bringt nichts im deutschen Recht jetzt Schrauben zu drehen bei der Asylfrage. Denn diejenigen, die nach Deutschland kommen, die man nicht abschieben kann, oder diejenigen, die kommen, die Schutz bekommen, die würden ohnehin hier bleiben.
Wir brauchen Lösungen. Ich verstehe die Dringlichkeit aus dem Appell des Ministerpräsidenten. Gerade jetzt müssen die Parteien der Mitte sich bewegen, auch das verstehe ich. Aber ich glaube, das CDU-Grundsatzprogramm, das gerade erst verabschiedet wurde, hat einen viel besseren Vorschlag, nämlich sichere Drittstaatslösungen zu ermöglichen.
Das hat nach 2016 die Zahl nachhaltig reduziert. Das ist heute aufgrund des EU-Rechts nicht möglich, dazu muss man weder die Verträge ändern, noch die Verfassung, noch irgendeine Konvention, da muss man nur das Recht ändern und Deutschland ist hier der Schlüsselakteur, den Deutschland hat sichere Drittstaaten im letzten Jahr verhindert, die CDU hat es gefordert. Darüber sollten die Ministerpräsidenten heute reden.
tagesschau24: Ein Teil dieser Diskussion um sichere Drittstaaten, die Sie ja schon angesprochen haben, ist ja auch, wie man abgelehnte Asylsuchende künftig künftig konsequent abschieben will. Können Sie da einen klaren Plan bei Bund und Ländern erkennen?
Knaus: Wir haben im Grunde genommen zwei Möglichkeiten: Die eine Möglichkeit ist das jetzige System. Menschen kommen irgendwie zu uns. Dann prüfen wir, ob sie Schutz brauchen. Das kann im besten Fall in Wochen geschehen. Meistens dauert es Monate. Die, die keinen Schutz brauchen - das ist in Deutschland übrigens nicht die Mehrheit - könnte man dann abschieben, wenn die Herkunftsstaaten kooperieren. Da gibt es Bemühungen vor allem bei Straftätern, Gefährdern. Es ist vollkommen sinnvoll, sich auf die zu konzentrieren. Aber die Zahlen in allen europäischen Ländern, nicht nur in Deutschland, sind niedrig.
Die zweite Möglichkeit sind Rückführungen ab einem Stichtag, die die zukünftige irreguläre Migration drastisch reduzieren, also wie in der Türkei 2016 mit der Einigung. Ab 2016 ist die Zahl der Menschen. die in die Boote gestiegen sind, innerhalb von kürzester Zeit auf drei Prozent gefallen, weil man sagt: Ab jetzt werden alle, die kommen, in den sicheren Drittstaat auch für die Verfahren gebracht. Und das ist möglich im Flüchtlingsrecht. Aber das EU-Recht verbietet es.
Wenn man das macht, dann kann man mit wenigen Abschiebungen an der EU-Außengrenze, wenn man es gut vorbereitet, eine große Wirkung erzielen, ohne die Menschenrechte oder die Europäische Menschenrechtskonvention zu verletzen.
tagesschau24: Sie waren ja Mitinitiator des Flüchtlingspakts zwischen der EU und der Türkei. 2016 haben diesen Pakt mit ausgehandelt. Würden sie sagen, es braucht auch mehr solche Abkommen mit anderen Nicht-EU-Ländern?
Knaus: Wenn wir uns ansehen, was alles ausprobiert wurde - Änderungen in den EU-Gesetzen, Änderungen in den nationalen Gesetzen, Vervierfachung des Budgets für Frontex - ist es das einzige, was eine nachhaltige starke Wirkung hatte und was man wiederbeleben und ausbauen müsste. Die Einigung mit der Türkei 2016 hat dazu geführt, dass die Zahl der Asylanträge in Deutschland jedes Jahr bis 2020 gesunken ist, und solche Einigungen muss man schließen mit drei, vier Ländern.
Das hat zwei Effekte. Man würde das Schleppermodell zerstören, es würden viel weniger Menschen ertrinken und der zweite Effekt wäre, dass Menschen nicht irregulär, in großer Zahl versuchen, über das Mittelmeer zu kommen. Die, die sich das zutrauen, sind meistens junge Männer, weniger Frauen, wenige Kinder.
Wenn man solche Abkommen hätte und das mit legalen Wegen kombiniert, also Aufnahme von Flüchtlingen wie in Kanada mit Kontingenten, wo man Männer, Frauen und Kinder, die Schutz brauchen, aufnehmen kann, ohne dass sie ihr Leben riskieren, dann hätte man ein humaneres System als das gegenwärtige.
Das hat ja die CDU gefordert, das hat ja auch der Kanzler prüfen wollen, das hat die FDP gefordert, das wird in der SPD diskutiert und letzte Woche hat die von einem grünen Ministerpräsident geführte Regierung in Baden-Württemberg gefordert, sichere Drittstaaten zu verhandeln.
Wird das heute bei dem Treffen der Ministerpräsidenten herauskommen oder nicht, ist für mich letztlich die entscheidende Frage: Ob die deutsche politische Elite verstanden hat, was wirklich etwas bringt und Lösungen vorschlägt, die im nächsten Jahr die Zahlen reduzieren könnten.
Das Gespräch führte Gerrit Derkowski für tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Version redigiert und gekürzt.