Bericht des Innenministeriums Viele Schwierigkeiten mit Drittstaatenlösung
Immer wieder geht es mit Blick auf Migration um die Frage, ob Asylverfahren auch in Drittstaaten durchgeführt werden können. Das Bundesinnenministerium resümiert, dass es viele Schwierigkeiten geben würde.
Nach umfangreichen Expertenanhörungen fällt das "vorläufige Fazit" des Bundesinnenministeriums (BMI) verhalten aus: Eine Drittstaatenlösung sei rechtlich "zwar nicht grundsätzlich" ausgeschlossen. "Viele Sachverständige äußerten sich allerdings skeptisch bis kritisch zu den rechtlichen und tatsächlichen Umsetzungsmöglichkeiten", heißt es in dem Bericht, der dem ARD-Hauptstadtstudio exklusiv vorliegt. Es folgt eine Auflistung von Bedenken.
In den vergangenen Monaten ist die Drittstaatenlösung als die Antwort auf die Migrationsfrage schlechthin angepriesen worden. Eine Idee, die seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert wird, in Deutschland aber nie den Weg in die Umsetzung fand. In Großbritannien und Italien laufen entsprechende Versuche - und so brachten die Bundesländer die Idee auch in Deutschland wieder auf die politische Tagesordnung und beauftragten das Bundesinnenministerium mit einer Prüfung.
Vorbilder aus Großbritannien und Italien
Die Drittstaatenlösung firmiert häufig auch unter "Ruanda-Modell". Gemeint ist damit eine Vereinbarung zwischen Großbritannien und Ruanda. Nach dem ursprünglichen Modell sollten Geflüchtete, die schon in Großbritannien angekommen waren, dauerhaft nach Ruanda gebracht werden, um dort Asyl zu beantragen und gegebenenfalls Schutz zu bekommen - nach ruandischem Recht. Nach Großbritannien sollten sie nicht zurückkehren.
Aufmerksamkeit bekam daneben zuletzt ein Abkommen zwischen Italien und Albanien. Die beiden Länder haben vereinbart, Menschen, die auf hoher See aufgegriffen werden, nach Albanien statt nach Italien zu bringen. Die Asylverfahren sollen dann zwar dort, aber nach italienischem Recht und durch italienische Behörden durchgeführt werden. Schutzbedürftige sollen anschließend in Italien aufgenommen werden. Die Umsetzung der Vereinbarung verzögerte sich und wurde nun für August angekündigt.
Ruanda-Modell nicht übertragbar
Im Bericht des Bundesinnenministeiums heißt es nun, mit Blick auf Deutschland sei erkennbar geworden, "dass extraterritoriale Modelle wie das sogenannte britische Ruanda-Modell und das sogenannte Italien-Albanien-Modell unter den gegebenen rechtlichen und praktischen Rahmenbedingungen in dieser Form nicht übertragbar wären". Die rechtlichen Rahmenbedingungen seien wegen des EU-Rechts andere als für Großbritannien.
Und anders als Italien liege Deutschland nicht am Mittelmeer. Wer in Deutschland Schutz suche, habe das nationale Territorium bereits erreicht - so dass das deutsche und europäische Recht für ihn gelte. Das ist anders im Fall von Geflüchteten, die auf hoher See in Richtung Italien aufgegriffen werden.
Unsicherer Effekt, hohe Kosten
Nach den Anhörungen blieb aus Sicht des Ministeriums auch offen, wie durch eine solche Drittstaatenlösung erneute Migration verhindert werden und gleichzeitig haftähnliche Lager vermieden werden können. Zweifel hätten die Sachverständigen auch am Kosten-Nutzen-Verhältnis gehabt. In Italien sind nach Medienberichten für die Umsetzung des Abkommens mit Albanien 675 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre eingeplant, davon 142 Millionen Euro in diesem Jahr. Nach der Vereinbarung trägt Italien alle "direkten und indirekten" Kosten.
Hinzu kämen mögliche immaterielle Kosten, wenn die Wahrnehmung entstünde, Deutschland ziehe sich zulasten anderer, deutlich ärmerer Staaten aus dem globalen Flüchtlingsschutz zurück, so die angehörten Experten. Dem stehe ein "unsicherer Nutzen mit Blick auf eine Reduktion irregulärer Migration nach Deutschland" gegenüber. Mehrere Sachverständige hätten darauf hingewiesen, dass bislang nicht erwiesen sei, ob die Modelle im Gegenzug einen Abschreckungseffekt nach sich zögen.
Weitere Schwierigkeiten
Die Schwierigkeiten, die Deutschland mit Abschiebungen derzeit hat, würden außerdem lediglich verlagert: "Bedenken bestanden bei den verschiedenen Modellen auch im Hinblick auf die Umsetzbarkeit von Rückführungen ausreisepflichtiger Asylbewerber aus den entsprechenden Einrichtungen in Drittländern."
Hinzu komme, dass kooperationsbereite Drittstaaten - "sofern vorhanden" - eine ganze Reihe von Anforderungen erfüllen müssten. Einige Sachverständige wiesen auf mögliche negative Effekte auf die Entwicklungs- und Außenpolitik hin und das Risiko, von anderen Regierungen in der Migrationspolitik abhängig zu sein, heißt es in dem Bericht.
Insgesamt fünf Anhörungen
Für die Prüfung hat man sich im Bundesinnenministerium Zeit genommen. Insgesamt fünf Anhörungen haben seit Ende Februar stattgefunden. Eingeladen waren 23 deutschsprachige Sachverständige und internationale Vertreter mit unterschiedlichem fachlichen Hintergrund - rechtlichem, soziologischem und politikwissenschaftlichem.
Beim Bund-Länder-Treffen am kommenden Donnerstag soll der Sachstandsbericht gemeinsam mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser besprochen werden. Vorsorglich kündigt das BMI in dem Bericht bereits an, die Stellungnahmen der Sachverständigen "vollständig" auswerten zu wollen und außerdem die Umsetzung der Modelle "Italien-Albanien" und des britischen "Ruanda-Modells" eng betrachten zu wollen - davon verspreche man sich weitere Erkenntnisse.
Die Frage, welche Staaten überhaupt für ein wie immer geartetes Drittstaaten-Modell als Verhandlungspartner in Betracht kommen könnten, adressiert der Bericht nicht.