Beschlusspapier für Parteitag FDP will Bürgergeld-Sanktionen drastisch verschärfen
Schärfere Sanktionen beim Bürgergeld und das Aus für die Rente mit 63: In einer Beschlussvorlage für den kommenden Parteitag hat die FDP Forderungen gestellt - ein Papier, das die SPD empört.
Die FDP dringt auf weitere Verschärfungen beim Bürgergeld und will die Rente mit 63 abschaffen. Wie aus einem Beschlusspapier für das Parteipräsidium hervorgeht, sollen Jobverweigerern die Leistungen sofort um 30 Prozent gekürzt werden können. Das Papier liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor. Zuerst hatte die "Bild am Sonntag" berichtet. Die Vorlage soll am Montag im Präsidium der Partei beschlossen und auf dem Parteitag am kommenden Wochenende eingebracht werden.
"Wer seinen Mitwirkungspflichten im Bürgergeld nicht nachkommt und beispielsweise zumutbare Arbeit ohne gewichtigen Grund ablehnt, sollte mit einer sofortigen Leistungskürzung von 30 Prozent rechnen müssen", heißt es in dem Papier. Der Spielraum für verschärfte Sanktionen müsse ausgenutzt werden, "bis hin zu einer vollständigen Streichung von Leistungen". Das Leistungsniveau solle zudem zunächst nicht weiter steigen.
Bei Leistungskürzungen gilt bisher Stufenmodell
Die bisherige Regelung sieht vor, dass das Jobcenter Bürgergeldbeziehern bei der ersten Pflichtverletzung maximal zehn Prozent der Leistungen für einen Monat streichen kann. Danach greift zunächst eine Kürzung um 20 Prozent, ehe die Möglichkeit besteht, die Leistung zeitweise um bis zu 30 Prozent zu kürzen.
Das Bürgergeld war zum 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Ein Kern der Reform sind schwächere Sanktionsmöglichkeiten. Die Bundesregierung wollte mit dem neuen System auf mehr Kooperation mit Betroffenen setzen und weniger auf Druck durch Bestrafung.
Erst kürzlich hatte sie allerdings Verschärfungen beschlossen: Seit März können die Jobcenter Arbeitslosen das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen, wenn diese sich als "Totalverweigerer" herausstellen.
FDP: Rente mit 63 nicht mehr zu leisten
Die FDP zielt aber nicht nur auf Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger. Sie will auch die Rente mit 63 abschaffen. Deutschland könne sich diese aufgrund des Fachkräftemangels nicht mehr leisten.
Stattdessen sprechen sich die Liberalen dafür aus, das Arbeiten im Rentenalter attraktiver zu machen. Dafür könne der Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung nach Erreichen der Regelarbeitsgrenze gestrichen werden.
FDP will staatliche Förderung von Erneuerbaren streichen
Zum Thema Energie heißt es in dem Papier, die Erneuerbaren Energien sollten "endgültig in den Markt" übernommen und deshalb nicht mehr staatlich gefördert werden. Die EEG-Umlage, über die der Ausbau der Erneuerbaren mitfinanziert wird, müsse gesenkt und schrittweise abgeschafft werden.
Die FDP bekräftigte dem Bericht zufolge auch ihre Ablehnung des deutschen und des europäischen Lieferkettengesetzes: Die deutsche Regelung gehöre ausgesetzt, und bei der Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie sollten "alle Spielräume genutzt werden, um unverhältnismäßige und praxisferne Belastungen für die Wirtschaft zu verhindern".
Mützenich: "Hat nichts mit wirtschaftlicher Kompetenz zu tun"
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wies die Pläne aus der FDP klar zurück. "Die Vorschläge der FDP sind ein Überbleibsel aus der Mottenkiste und nicht auf der Höhe der Zeit", sagte Mützenich der Nachrichtenagentur dpa.
"Mit wirtschaftspolitischer Kompetenz hat der Beitrag der FDP nichts zu tun, sondern mit weiteren Belastungen für die arbeitende Bevölkerung. Wir werden nichts machen, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schwächt und den sozialen Gedanken des Grundgesetzes aushebelt."
Auch Generalsekretär Kevin Kühnert lehnt die Vorschläge des Koalitionspartners strikt ab. "Die SPD lässt nicht zu, dass unser Land mit dem Fingerspitzengefühl von Investmentbankern geführt wird. Grundlage der Ampelkoalition ist und bleibt der Koalitionsvertrag", sagte der SPD-Politiker dem "Tagesspiegel". Aus den Reihen des dritten Ampel-Partners, der Grünen, gibt es bislang keine Stellungnahme.
Klingbeil: "FDP irrt gewaltig"
SPD-Chef Lars Klingbeil wertete die FDP-Vorschläge als Angriff auf die wahren Leistungsträger: "Wir lassen nicht zu, dass Politik auf dem Rücken derjenigen gemacht wird, die hart arbeiten und das Land am Laufen halten. Wer 45 Jahre lang in Krankenhäusern, Kitas oder auf dem Bau für unser Land schuftet, hat ein Recht auf eine abschlagsfreie Rente. Das bleibt", sagte der "Bild". Es sei richtig, dass etwas getan werden müsse, um die Wirtschaft anzukurbeln, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. "Dafür tragen wir in der Regierung gemeinsam Verantwortung. Wenn die FDP aber glaubt, dass es der Wirtschaft besser geht, wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter geht, dann irrt sie gewaltig", sagte Klingbeil weiter.
Der Vorsitzende der Linken, Martin Schirdewan, kritisierte das FDP-Papier als "Dokument der sozialen Grausamkeit". Sollten SPD und Grüne die Liberalen "erneut durchkommen lassen, sind sie politisch erledigt". Die Linke hat im Bundestag nur noch Gruppen-, nicht mehr Fraktionsstatus.
FDP will "Leistungsgerechtigkeit"
Der FDP-Vizechef Johannes Vogel mahnte mit Blick auf die Äußerungen Mützenichs, dass die "derzeitige Schwäche des Wirtschaftsstandortes" Deutschland auch den starken Sozialstaat hierzulande gefährde. "Alle Koalitionspartner müssen ein gemeinsames Interesse haben, die Wirtschaftswende hinzubekommen", sagte Vogel der dpa.
Dazu gehöre es, Bürgerinnen und Bürger steuerlich zu entlasten, aber auch "Leistungsgerechtigkeit" beim Bezug von Grundsicherung herzustellen.
Union sieht Ende der Ampel näher gerückt
CSU-Chef Markus Söder nannte das Papier in der "Bild am Sonntag" eine "Scheidungsurkunde für die Ampel". Es sei ein Zeichen dafür, dass die Ampel-Koalition kurz vor dem Aus stehe.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte: "Die FDP muss sich ehrlich machen. Entweder sie steigt aus der Ampel aus oder sie setzt einige notwendige Maßnahmen durch. Da sind einige Punkte drin, die man unter schwarz/gelb schnell umsetzen könnte." Weiter sagte er, das Papier lese sich wie "Lambsdorff 2.0".
Damit spielt er auf ein Konzept von Otto Graf Lambsdorff von 1982 an, der damals FDP-Wirtschaftsminister in der sozialliberalen Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) war. Die wirtschaftspolitische Programmschrift ist bis heute als "Scheidungsbrief" bekannt, weil kurze Zeit später die Koalition zerbrach und Helmut Kohl (CDU) mit einem konstruktiven Misstrauensvotum zum neuen Bundeskanzler gewählt wurde.
Ähnliche Lesarten des Papiers gibt es aber auch innerhalb der Ampel: "Wenn die FDP das ernst meinen würde - also jetzt umzusetzen gedenkt - dann liest sich das Papier wie eine Austrittserklärung aus der Koalition", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete und Sozialexperte Helge Lindh der "Bild".
Überschaubare Zahl Kürzungen wegen "Arbeitsverweigerung"
Von Februar bis Dezember 2023 zählte die Bundesagentur für Arbeit (BA) 15.774 Fälle von Leistungskürzungen infolge von Arbeitsverweigerung - bei insgesamt rund 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfängern. Von diesen galten 3,9 Millionen als erwerbsfähig.
Insgesamt sind Bürgergeld-Bezieher im Jahr 2023 in 222.476 Fällen sanktioniert worden. Der Großteil geht nach Angaben der Arbeitsagentur auf Terminversäumnisse zurück.