US-Wahl 2024

Wähler füllen ihre Wahlzettel in einem Wahllokal in den USA aus.

Harris gegen Trump Was Umfragen vor der US-Wahl aussagen - und was nicht

Stand: 29.10.2024 04:54 Uhr

Eine Woche vor der US-Präsidentschaftswahl liegen die beiden Kandidaten in Umfragen fast gleichauf. Warum das eher für die Republikaner eine gute Nachricht ist und vor welchen Herausforderungen Meinungsforscher stehen.

In einem ist sich die große Mehrzahl der US-Amerikaner eine Woche vor der Wahl einig: Das Land ist auf dem falschen Gleis, "on the wrong track". Die Frage, ob die USA sich in die richtige oder falsche Richtung bewegen, ist ein Klassiker der amerikanischen Meinungsforschung. Mitte Oktober sahen in der Befragung des Instituts Ipsos 63 Prozent das Land auf dem falschen Weg.

Völlig uneinig sind sich die Befragten hingegen, welche Kandidatin oder welcher Kandidat gewählt werden sollte, um die Lage zu verändern. Eine gewaltige Umfrageindustrie spuckt täglich Ergebnisse aus, die zwar grob betrachtet im gleichen Korridor liegen: Mehr oder weniger kommen Kamala Harris und Donald Trump immer auf etwas mehr oder weniger als die Hälfte der Stimmen. Aber die Tücken liegen im Detail. Im fast identischen Befragungszeitraum sieht das Wall Street Journal Trump mit 49 zu 46 Prozent vorn, beim Fernsehsender ABC führt Harris 49 zu 47.

Auch mit ein bis zwei Punkten Rückstand Präsident

Aus dem Gesamtbild der Umfragen ergeben sich derzeit zwei Erkenntnisse. Erstens: Harris und Trump liegen in nationalen Umfragen beinahe gleich auf - was für Trump eine gute Nachricht ist und für Harris eine weniger gute.

Denn im amerikanischen Wahlsystem haben die Stimmen aus den ländlichen, dünn besiedelten, republikanisch geprägten Bundesstaaten wie Wyoming mehr Gewicht als die aus großen demokratisch geprägten Staaten wie New York oder Kalifornien. Bei einem bundesweiten Gleichstand an Wählerstimmen würde Trump deshalb Präsident, auch mit einem Rückstand von ein bis zwei Punkten könnte ihm das gelingen.

Harris hingegen braucht einen deutlichen Vorsprung, um auch im Gremium der Wahlleute die Mehrheit zu haben und Präsidentin zu werden. Die zweite Erkenntnis ist, dass sich in den vergangenen zwei Wochen ein Trend zu Gunsten von Trump herausgebildet hat.

Schwankungsbreite von mehreren Prozentpunkten

Aber Vorsicht! Wie bei uns in Deutschland ist auch in den USA der Irrtum weit verbreitet, man könne mit Umfragen das Wahlergebnis vorhersagen. Das kann schon bei einem einfachen Wahlsystem wie unserem nicht funktionieren, weil Umfragen immer nur eine Messung zu einem bestimmten Moment sind und eine Schwankungsbreite von zwei bis drei Prozentpunkten nach unten und oben haben.

Im komplizierten US-Wahlsystem addieren sich diese möglichen Abweichungen. CNN will ausgerechnet haben, dass die Umfragen in den vergangenen 50 Jahren durchschnittlich 3,4 Punkte vom Ergebnis abgewichen seien. Besonders in Erinnerung sind dabei die beiden letzten Wahlen.

Der Wunsch vom ganzen Bild in Zeiten der Filterblasen

Weil sich die einzelnen Umfrageergebnisse so unterscheiden, sind in den USA einige Demoskopen, Blogs und Medien dazu übergegangen, aus der Vielzahl der Umfragen Durchschnittswerte zu bilden. Bei diesem Vorgehen werden Umfragen je nach Institut qualitativ eingestuft und unterschiedlich gewichtet. Deshalb ist Durchschnitt auch nicht gleich Durchschnitt. So führte am Montagabend auf der ABC-Website Fivethirtyeight.com Harris mit 1,4 Punkten, während bei realclearpolling.com Trump einen hauchdünnen Vorsprung von 0,1 Punkten hatte.

Viel hilft nicht immer viel. Drei Umfragen können genauso aufschlussreich sein wie 30. Aber weil die US-Präsidentschaftswahl immer eine Grundsatzentscheidung mit weltweiter Bedeutung ist, was die Wahl von Trump 2016 genauso wie seine Niederlage 2020 mit Nachdruck gezeigt hat, klammert sich die Öffentlichkeit an Zahlen, die die vermeintliche Wahrheit zeigen und Orientierung bieten.

In einer Zeit von Filterblasen und Narrativen versprechen sich viele von Umfragen das ganze Bild, wobei Meinungsforscher nie müde werden zu betonen, dass sie dieses nicht liefern können und auch nie werden - egal wie sehr es sich alle wünschen.

2016 und 2020 Trump in Umfragen oft unterschätzt

In der öffentlichen Wahrnehmung ist es mit den Umfragen bei Präsidentschaftswahlen in den USA ein bisschen wie mit dem Murmeltiertag. Dinge scheinen sich ständig zu wiederholen. Vor der Wahl erklären die Demoskopen, wie sie aus den Fehlern beim letzten Mal gelernt haben, was sie jetzt besser und anders machen wollen und warum sie glauben, die Wirklichkeit diesmal besser treffen zu können.

Weil das Ergebnis bei der Wahl selbst dann doch wieder anders aussieht, sind Medien und Öffentlichkeit nachher umso enttäuschter. 2016 und 2020 gab es ähnliche Muster - Trump wurde in den meisten Umfragen deutlich unterschätzt. Offenbar waren seine Anhänger weniger bereit teilzunehmen. 2016 betraf das Studien in den umkämpften Swing States.

In Wisconsin zum Beispiel wies eine Umfrage einen Vorsprung für die Demokraten von 17 Punkten aus, tatsächlich gewann Trump mit einem Vorsprung von 0,8 Punkten. Trumps Erfolg bei den Präsidentschaftswahlen war deshalb so überraschend, weil die Demokraten in wichtigen Staaten klar in Führung zu liegen schienen - dann aber verloren. 2020 gab es auch bei bundesweiten Umfragen große Differenzen zum späteren Ergebnis. Biden gewann mit gut vier Punkten Vorsprung, Umfragen hatten im Schnitt fast doppelt so hohe Abstände gemessen - und lagen damit knapp über der Schwelle der Fehlertoleranz.

Wahlkampfendspurt in den USA

Kerstin Klein, ARD Washington, tagesschau, 28.10.2024 17:00 Uhr

Eine Reihe von Meinungsforschern nutzt deshalb 2024 eine neue Gewichtungsmethode (die bei uns durchaus üblich ist). Bei der sogenannten Recallfrage sollen die Wählerinnen und Wähler angeben, wem sie vor vier Jahren ihre Stimme gegeben haben. Es ist wissenschaftlich belegt, dass es bei dieser Frage immer eine Erinnerungslücke ergibt: Mehr Menschen glauben, den Gewinner gewählt zu haben, als es tatsächlich der Fall war.

Umgekehrt geben bei den aktuellen Umfragen weniger Menschen an, Trump gewählt zu haben, als es dem Ergebnis von damals entspricht. Deshalb werden die Antworten dieser Gruppe dann stärker gewichtet, um für 2024 zu höheren Werten für Trump zu kommen. Das könnte theoretisch funktionieren, es kann aber genauso gut sein, dass Trump mit dieser Methode nun überschätzt wird. Sind die Umfrageergebnisse für Trump in diesem Jahr realistischer oder weiterhin zu niedrig? Oder diesmal zu hoch? Keiner weiß das.

Kleinere Geldbeträge per Post - als Anreiz für Online-Umfragen

Die Umfrageinstitute kämpfen in einem harten Wettbewerb um Aufträge und Reputation. Gleichzeitig steigen auch für sie die Kosten. Und manche gesellschaftlichen Gruppen sind immer schwerer zu erreichen, weil sie sich bei Befragungen nicht äußern wollen.

Während in Deutschland die Politikumfragen für ARD und ZDF, der DeutschlandTREND und das Politbarometer, überwiegend telefonisch durchgeführt werden, sind die Institute in den USA fast vollständig auf sogenannte Online-Panels umgestiegen. Das ist deutlich preisgünstiger, hat aber den Nachteil, dass Menschen je nach Alter, Beruf oder Bildungsgrad sehr unterschiedlich bereit sind, an solchen Umfragen teilzunehmen.

Eine repräsentative Abbildung der Bevölkerung ist so viel schwerer zu erreichen als mit klassischen Telefonumfragen. Einzelne Institute in den USA schicken deshalb bestimmten Haushalten per Briefpost kleinere Dollar-Beträge, um sie auf diesem Wege für die Teilnahme an Online-Umfragen zu gewinnen. Die Reaktionen seien positiv, der Anreiz funktioniere, berichten Meinungsforscher, die so vorgehen.

Grenzen der Statistik

Was auch immer sie sich einfallen lassen, wie sehr sie sich bemühen - der Erwartung, ein Wahlergebnis vorherzusagen, können sie nicht gerecht werden. Dagegen sprechen objektive wissenschaftliche Grenzen der Statistik. Aber auch das veränderte Wahlverhalten macht es schwerer statt leichter.

Nur wenige Wählerinnen und Wähler treffen heute in den USA noch eine Auswahl zwischen zwei Alternativen. Eine viel größere Gruppe ist eigentlich festgelegt, überlegt aber sehr kurzfristig, an der Wahl teilzunehmen oder doch zu Hause zu bleiben. Und dieser Umstand lässt sich mit Umfragen besonders schwer messen, wird für den Wahlausgang aber entscheidend sein: Welcher Kandidat kann einen größeren Teil seiner Anhänger mobilisieren, auch wirklich zur Wahl zu gehen?