Viktor Orban im EU-Parlament Showdown um Europas Zukunft
Gemeinsame Positionen für die Asylpolitik oder das Verhältnis zu Russland? Fehlanzeige. Bei Reden von Viktor Orban und Ursula von der Leyen im EU-Parlament kollidieren zwei Visionen für Europa.
Da sitzt sie ihm nun wieder gegenüber: Fünf Meter Luftlinie trennen Ursula von der Leyen auf ihrem Platz im Straßburger Europaparlament vom Rednerpult, wo Viktor Orban steht. "Wir werden es niemals akzeptieren, dass Extremisten und Demagogen unsere Art zu leben zerstören", hatte sie noch im Juli gesagt, als sie sich genau hier um eine zweite Amtszeit bewarb.
Das war auf Orban gemünzt, der nun seinerseits beschreibt, wie er sich Europa vorstellt. "Die Europäische Union muss sich ändern", fordert er, und: "Wir sind nicht in der EU wegen dem, was sie ist, sondern wegen dem, was sie werden kann."
Europäische Wettbewerbsfähigkeit
Nur halb voll ist das Parlament an diesem Vormittag, die linke Seite deutlich spärlicher besetzt als die rechte, wo Orbans politische Freunde sitzen. Zwei Punkte hat sich der ungarische Premier dick ins Manuskript geschrieben. Wettbewerbsfähigkeit heißt der eine: Die Produktivität müsse besser und Bürokratie abgebaut werden.
Beim EU-Gipfel im November in Budapest will Orban einen gemeinsamen Beschluss zu mehr Wettbewerbsfähigkeit der EU herbeiführen. Das erste Mal überhaupt Applaus erhält Orban, als er sagt, die von der EU ausgehende grüne Transformation sei nicht die Lösung für die Energieprobleme Europas.
Asyldebatte erhitzt die Gemüter
Lebhaft wird es erst beim zweiten Stichwort, und das lautet: Migration. Das europäische Asylsystem funktioniere nicht mehr, sagt Orban, die Mitgliedsländer mit einer EU-Außengrenze stünden unter einer besonderen Belastung und bräuchten mehr europäische Unterstützung. Unruhe und Zwischenrufe dann, als Orban behauptet, die illegale Migration führe zu Antisemitismus und Homophobie.
Ursula von der Leyen hat die fast eine halbe Stunde dauernde Rede nahezu unbewegt verfolgt, nur gelegentlich mal in den Papieren vor ihr geblättert, mal zum Wasserglas gegriffen. Wie angespannt das Verhältnis ist, lässt sich an der Antwort der Kommissionspräsidentin erkennen. Sie hält Orban eine protektionistische Wirtschaftspolitik vor, Günstlingswirtschaft und mangelnde wirtschaftliche Attraktivität seines Landes.
Kritik an Orbans Russlandpolitik
Vor allem geht sie ihn wegen seiner Nähe zu Putin und der fehlenden Unterstützung für die Ukraine an. Es gebe noch immer Leute, sagt von der Leyen, die die Überfallenen für den Krieg verantwortlich machen und nicht den, der überfallen habe. Mit Blick auf die Einreiseerleichterungen Ungarns für Staatsbürger aus Russland und Belarus fragt die Kommissionschefin: "Wie kann es sein, dass eine ungarische Regierung russische Staatsangehörige in unsere Europäische Union einlädt, ohne zusätzliche Sicherheitsprüfungen?"
Hart geht auch Manfred Weber mit Orban ins Gericht, der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Fraktion. Der gehörten Orbans Fidesz-Leute sogar mal an, jetzt sitzt Orbans innenpolitische Konkurrenz in Webers Fraktion. Die Reisen Orbans nach Kiew, Moskau, Peking und Washington seien nie eine Friedensmission gewesen, ruft Weber Orban zu: "Es war eine große Propagandashow für die Autokraten und jene, die unsere Art zu leben, ablehnen."
"Eine der aufgeladensten Debatten"
Vor dem Plenarsaal im Straßburger Parlamentsgebäude hatten mehrere Abgeordnete gegen Orban protestiert. Im Saal selbst sang ein Dutzend Abgeordnete auf der linken Seite des Plenums nach dem Ende von Orbans Rede die antifaschistische Hymne "Bella Ciao", auf der rechten Seite gab es dagegen stehenden Applaus für Orban.
Die Teilung des Parlaments war ebenso offensichtlich wie hörbar. "Das war eine der aufgeladendsten Debatten, die ich überhaupt je hier erlebt habe", erklärt gegen Ende der langjährige slowakische Kommissar Maros Sefcovic.