"Souveränitätsgesetz" EU-Kommission verklagt Ungarn
Ungarns Regierung begründet das Gesetz gegen ausländische Einflussnahme mit dem "Schutz der nationalen Souveränität". Kritiker werten es als Versuch, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Die EU-Kommission kündigte jetzt eine Klage an.
Die EU-Kommission will Ungarn vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen eines Gesetzes gegen ausländische Einflussnahme verklagen. Das sogenannte Souveränitätsgesetz verstoße gegen europäisches Recht, erklärte die Kommission. Sie wirft Ungarn vor, mit einer neu geschaffenen Regierungsbehörde die Meinungsfreiheit und andere Grundrechte einzuschränken. Die Kommission hat nach eigenen Angaben ein beschleunigtes Gerichtsverfahren beantragt.
Die Klage-Ankündigung kommt knapp eine Woche vor einem geplanten Auftritt von Ungarns Premier Viktor Orban im Europaparlament. Er soll den Abgeordneten kommende Woche Mittwoch Rede und Antwort über die Ratspräsidentschaft seines Landes in diesem Halbjahr stehen. Parlamentarier erwarten harte Debatten.
Behörde mit weitgefassten Befugnissen
Neu ist der Konflikt zwischen der Kommission in Brüssel und dem Rechtsnationalisten Orban nicht. Mitte Dezember 2023 hatte die ungarische Nationalversammlung das "Souveränitätsgesetz" verabschiedet. Damit wurde auch ein neues "Amt für Souveränitätsschutz" eingerichtet.
Aufgabe der neu geschaffenen Behörde ist es, "Organisationen ausfindig zu machen und zu untersuchen, die Finanzmittel aus dem Ausland erhalten und darauf abzielen, den Wählerwillen zu beeinflussen". Das Amt hat dabei einen weitgefassten Ermessensspielraum für die Ermittlungen und kann auch in die Arbeit anderer Behörden eingreifen.
Das bereits geltende Verbot der Parteienfinanzierung aus dem Ausland wurde damit auf Vereine und andere Organisationen ausgeweitet. Regierungschef Orban beschuldigte schon länger die EU und US-Organisationen, "Milliarden von Euro" an die Opposition zu verteilen.
Amnesty International und andere Organisationen werfen der ungarischen Regierung vor, "kritische Stimmen zum Schweigen bringen" zu wollen. Nach ihren Angaben sind Journalisten, Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen und Kommunen gleichermaßen im Visier.
Ungarns Premier hält an Kurs fest
Als Reaktion leitete die EU-Kommission im Februar dieses Jahres ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren ein und bat die Regierung in Budapest um eine Stellungnahme. "Die Schaffung einer neuen Behörde mit weitreichenden Befugnissen und einem strengen Überwachungs- und Sanktionsregime birgt die Gefahr, der Demokratie in Ungarn ernsthaften Schaden zuzufügen", sagte eine Kommissionssprecherin damals.
Ungarn hatte zwei Monate Zeit, auf die Vorwürfe zu reagieren. Doch wie die EU-Kommission heute mitteilte, habe die Regierung in Budapest die Rechtslage noch immer nicht entsprechend der Beanstandungen geändert. Nun soll also der Gang vor den Europäischen Gerichtshof wegen Verstoß gegen die EU-Grundrechtecharta folgen.
EU gab 2023 Milliardensummen frei
Es ist nicht das erste Mal, dass die für die Einhaltung von EU-Recht zuständige EU-Kommission gegen das Land wegen Bedenken am Zustand des Rechtsstaats ein Verfahren einleitet. Im Dezember 2023 hatte die Behörde in Brüssel allerdings auch zehn Milliarden Euro an eingefrorenen Geldern für Ungarn freigegeben mit der Begründung, dass der ungarische Regierungschef die dafür nötigen Reformen umgesetzt habe.
Orban regiert Ungarn seit 2010 ununterbrochen und hat seitdem die Pressefreiheit und die Grundrechte nach Einschätzung der EU-Partner immer weiter eingeschränkt.
Mit Informationen von Matthias Reiche, ARD Brüssel