EU-Ratspräsidentschaft Ungarns Orbans unruhige erste Halbzeit
Eigentlich soll die Ratspräsidenschaft innerhalb der EU vermitteln und Brücken bauen. Doch Ungarn stieß die anderen Mitglieder von Beginn an vor den Kopf. Was treibt Ministerpräsident Orban an?
Viktor Orban ist bekannt dafür, dass er Konflikten nicht aus dem Weg geht. Viel Feind, viel Ehr. Am Mittwoch sollte das EU-Parlament in Straßburg zum Ort für einen großen Schlagabtausch werden. Ungarn hat seit Juli die rotierende Ratspräsidentschaft in der EU inne. Der Ministerpräsident sollte über seine Prioritäten sprechen, darüber wie er sich Europa vorstellt. Dann kam das Hochwasser. Orban entschied, zuhause zu bleiben. Gummistiefel zur Regenjacke statt Lederschuh und Anzug.
Sicher hätten ihn eine Menge kritische Fragen erwartet, hatte er doch in der ersten Hälfte der Präsidentschaft dem Rest der EU ziemlich wuchtig vor den Kopf gestoßen. Eigentlich soll der Vorsitz ein halbes Jahr lang Brückenbauer sein, Kompromisse finden. Stichwort: ehrlicher Makler.
Ungarn will Zusammenarbeit mit Russland ausweiten
Gleich zu Beginn seiner Ratspräsidentschaft spaltete Orban. Er traf den chinesischen Präsidenten Xi Jinping und den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Der Rest der EU schäumte - vor allem, weil er auch zum russischen Präsidenten Wladimir Putin reiste, ohne dies mit den anderen Mitgliedstaaten abzustimmen. Orban nennt es Friedensmission. Er habe "den ersten Schritt zurück in Richtung Dialog unternommen", sagte in Moskau bei der Pressekonferenz mit dem russischen Präsidenten, gegen den die EU wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine zahlreiche Sanktionen verhängte.
Gestern sprach sich Außenminister Peter Szijjarto dafür aus, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland in Bereichen auszuweiten, die nicht von den Sanktionen betroffen sind. Als junger Mann hatte Orban 1989 noch den Abzug von sowjetischen Truppen aus seiner Heimat gefordert. Erkennbar bewirkt haben Orbans Friedensreisen bisher nichts.
Orbans augenscheinliches Ziel: Machterhalt
Schon vor Beginn der Präsidentschaft befand sich Ungarn wegen seiner Asylpolitik im Dauerstreit mit der EU-Kommission. Nachdem das Land eine 200-Millionen-Euro-Strafe nicht bezahlte, soll das Geld jetzt von EU-Zahlungen an Budapest abgezogen werden. Die Strafe war vom Europäischen Gerichtshof wegen Verstößen Ungarns gegen das EU-Asylrecht verhängt worden. Kürzlich hatte Ungarn damit gedroht, Migranten per Bus nach Brüssel zu fahren.
Was treibt Orban an? Für ihn zähle nur eins: Was sichert seine Macht in Ungarn? So beschreibt es der ungarische Journalist Péter Magyari im Gespräch mit dem ARD-Europamagazin. Er arbeitet für die Nachrichtenseite Valasz Online, die er konservativ und unabhängig nennt, kritisch gegenüber Orban, aber auch gegenüber der Opposition. Magyari: "Orban möchte seinem Volk, seinen Wählern das Gefühl vermitteln, dass er Ungarn größer gemacht hat, als es ist." Es sei ein sehr wichtiger Punkt im ungarischen Denken, "dass wir ein größeres, ein bedeutenderes Land verdienen."
Hauptsache, die Botschaft an die eigenen Leute stimmt
Mittlerweile ist schon Halbzeit für Ungarn. Im Brüsseler Alltagsgeschäft ist keine laute Kritik über die Ratspräsidentschaft zu hören. Zoff gab es dagegen um informelle Treffen in Ungarn. Die sind eigentlich eine gute Gelegenheit, den anderen EU-Mitglieder das eigene Land vorzuzeigen. Doch die EU-Kommission schickte aus Protest gegen Orban keine Kommissarinnen oder Kommissare, sondern nur hohe Beamte.
So geschehen auch in der vergangenen Woche beim Treffen der Finanzministerinnen und -minister. Nur sehr wenige EU-Staaten schickten ihre erste Garde. Der Gastgeber präsentiert seine eigene Sicht der Dinge. Jedes EU-Land sei am großen Konferenztisch vertreten gewesen, lässt Finanzminister Mihály Verga bei der Pressekonferenz wissen. Es wirkt wie eine trotzige Erfolgsmeldung: "Es scheint, dass vom neuesten Sanktionsversuch aus Brüssel am Ende die ungarische Präsidentschaft profitiert." Hauptsache, die Botschaft an die eigenen Leute stimmt.
"Sein Ziel ist, Ungarn für immer zu regieren"
Folgt man Viktor Orban in den sozialen Medien, scheint es, als sei er zufrieden mit den jüngsten Entwicklungen in der EU. Die Niederlande wollen aus den gemeinsamen Asylregeln aussteigen. Da dafür wohl die EU-Verträge geändert werden müssen, dürfte das vorerst nicht passieren. Egal. "Endlich eine mutige Regierung", jubelte Orban bei X: "Wo kann Ungarn unterschreiben?" Und dem deutschen Bundeskanzler rief er wegen der verstärkten Grenzkontrollen zu: "Willkommen im Club!". Scholz dürfte das anders sehen.
Dass zwischen Orban und der EU Ruhe einkehrt, glaubt der ungarische Journalist Magyari in Budapest nicht: "Sein Ziel ist, Ungarn für immer zu regieren. Und alles, was ihm in dieser Hinsicht hilft in Bezug auf die Europäische Union, ist wichtig für ihn."
Das EU-Parlament kommt Anfang Oktober wieder in Straßburg zusammen. Es wäre die Gelegenheit für einen neuen Anlauf zum Schlagabtausch.
Über dieses Thema berichtet auch das Europamagazin am Sonntag, 22.09.2024