Friedrich Merz beim EVP-Kongress in Valencia.
Europamagazin

Europas Erwartungen an Merz Neue deutsche Führungsrolle?

Stand: 03.05.2025 10:51 Uhr

Was wird sich mit dem neuen deutschem Bundeskanzler in der EU ändern? Die europäischen Erwartungen an Friedrich Merz jedenfalls sind hoch. Und die Zeiten der Ankündigungen in wenigen Tagen vorbei.

Die Prognose ist nicht allzu kühn und beschert Friedrich Merz nach wenigen Sekunden den ersten Applaus: "Ich bin sehr gerne hier - hoffentlich zum letzten Mal als Oppositionsführer aus Deutschland." Wer würde daran noch zweifeln - erst recht hier?

Merz steht am Rednerpult in einer Messehalle im spanischen Valencia. Die europäischen Christdemokraten (EVP), zu denen auch CDU und CSU gehören, hatten in dieser Woche zum Parteikongress geladen. In der Halle ist zu spüren, wie groß die Freude darüber ist, dass einer von ihnen in wenigen Tagen deutscher Bundeskanzler wird, Regierungschef des größten EU-Landes.

Die Partei feiert sich und ihren Sieger. Aber was wird sich mit Friedrich Merz in der Europäischen Union ändern? Was sind die Erwartungen an Deutschland? Die EVP ist mittlerweile in 13 EU-Staaten an der Macht. Merz trifft hier beim Kongress also auf viele EVP-Männer, die bereits Regierungschefs sind, mit denen er also bald zusammenarbeiten wird.

Erwartung, dass Deutschland schnell liefert

Im Interview mit dem ARD-Europamagazin legen viele von ihnen die Erwartungslatte hoch. Österreichs Bundeskanzler Christian Stocker sagt: "Wir haben Krieg auf unserem Kontinent, und ein starkes Deutschland ist hier für Europa wichtig."

Sein griechischer Amtskollege Kyriakos Mitsotakis findet, die neue Bundesregierung solle im eigenen Land mehr investieren, schließlich sei die deutsche Wirtschaft ein starker Treiber des europäischen Wachstums: "Wir sind alle davon betroffen, wenn es Deutschland wirtschaftlich nicht gut geht." Kroatiens Ministerpräsident Andrej Plenkovic meint: "Alle erwarten, dass Deutschland sehr bald wieder als vollwertiger Spieler am Tisch sitzt." 

Dass Parteifreunde ihrem zukünftigen deutschen Kollegen viel zutrauen, ist nicht überraschend. Doch man kann daraus auch die Erwartung herauslesen, dass Merz schnell liefert. Und nicht nur die eigenen Leute schauen auf ihn. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas, eine Liberale, betont, Deutschlands Führungsrolle sei für die Gestaltung eines dauerhaft stabilen Europas unerlässlich.

Harmonie pur ist nicht zu erwarten

Friedrich Merz hat die Signale längst vernommen. In Valencia betont er für seine Regierung: "Wir werden und wir müssen eine Menge zusätzliche Energie darin investieren, Europa voranzubringen."

Es wirkt, als wolle er für seine Positionen kraftvoll auftreten, wie eine Szene beim Kongress zeigt: Beim Thema Bürokratieabbau kommt der wohl nächste Bundeskanzler so richtig in Fahrt. Er lese jetzt, dass PKW nicht mehr alle zwei Jahre, sondern jedes Jahr zum TÜV sollen. "Haben wir den Verstand verloren?" In genau diesem Moment blendet die Regie die Frau ein, aus deren Behörde dieser Vorschlag stammt: EU-Kommissionspräsidentin und CDU-Kollegin Ursula von der Leyen. Harmonie pur ist also nicht zu erwarten.

Doch abgesehen davon fordert Merz - ebenso wie von der Leyen - eine neue Balance zwischen Klimaschutz und dem Erhalt von Industriearbeitsplätzen. Das ist der Punkt, bei dem viele andere Parteien in der EU befürchten, der Klimaschutz könne immer weiter aus dem Blickfeld geraten.

Das gilt auch für die Sozialdemokraten, immerhin Koalitionspartner in Berlin. Rene Repasi, Vorsitzender der deutschen SPD-Gruppe im Europaparlament, befürchtet eine "Rolle rückwärts": "Hier werden Standards gesenkt, hier wird Arbeitsrecht geschwächt, die Umwelt wird geschwächt, man gibt den Klimaschutz auf." Wenn nötig drohe sozialdemokratischer Widerstand in Berlin.

Bloß kein Streit in Berlin

Stress in Berlin? Schon der Gedanke daran dürfte dem Rest der EU Kopfschmerzen bereiten. War doch die beendete Ampelregierung in Brüssel immer wieder mit uneinheitlichen Positionen aufgetreten. In Brüssel ist das unter dem Begriff "German Vote" leidlich bekannt.

Das soll jetzt besser werden. Das Kanzleramt soll stärker die Koordinierung übernehmen. Deutschland könne dadurch "klarer und verlässlicher" auftreten, sagt Bernd Hüttemann, Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland. Das könne Missverständnisse und Blockaden in Brüssel verhindern. "Wenn Berlin sich früh positioniert, folgen andere. Wenn nicht, entsteht Verwirrung."

Unsichere weltpolitische Lage

Es sind Zeiten, in denen die Europäische Union ihre Rolle in einer unsicheren weltpolitischen Lage sucht. Im Handelsstreit mit US-Präsident Donald Trump ist ein gutes Ende noch nicht in Sicht. Die Ukraine muss sich weiterhin gegen Russland verteidigen. Merz hatte im Wahlkampf eine veränderte deutsche Position und eine schnelle Lieferung des Marschflugkörpers "Taurus" versprochen.

Die EU will die eigene Verteidigungsfähigkeit stärken, doch das kostet viel Geld. Längst gibt es bei Europas Christdemokraten, also Merz' eigener Parteienfamilie, eine konkrete Diskussion über gemeinsame EU-Schulden. Der Parteivorsitzende Manfred Weber sieht das nicht als zwangsläufig ersten Schritt, betont aber auch: "Es gibt aktuell keine Tabus."

Griechenlands Ministerpräsident Mitsotakis wird im ARD-Interview konkret: "Wir müssen anerkennen, dass es Projekte gibt, die gemeinsame europäische Güter darstellen, die vielleicht mit neuen gemeinsamen EU-Schulden finanziert werden müssen." Als Beispiel nennt er EU-weite Verteidigungsinitiativen. Sowohl die Bundesregierungen unter Ex-Kanzlerin Angela Merkel, aber auch unter Noch-Kanzler Olaf Scholz waren beim Thema Gemeinschaftsschulden sehr zurückhaltend.

Europa müsse in neue Technologien und Verteidigungsfähigkeit investieren, sagt auch die Grünen-Vorsitzende Franziska Brantner im Gespräch mit dem ARD-Studio Brüssel: "Dafür braucht es vielleicht auch gemeinsame europäische Schulden. Herr Merz sollte den Mut haben, diesen Schritt auch zu gehen, um unsere Freiheit in Europa zu verteidigen."

In Polen schaut die Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk auf die Grenzkontrollen zu Deutschland, die ja - nicht nur zu diesem Nachbarland - unmittelbar weiter verschärft werden sollen. Den Beziehungen zu Polen und Frankreich will sich die neue Regierung schnell widmen. Zumindest zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron deutet sich bisher ein guter Draht an.

Die europäischen Erwartungen an Friedrich Merz sind hoch. Die Zeiten der Ankündigungen sind in wenigen Tagen vorbei. Dann zählt reale Politik.

Diese und weitere Reportagen sehen Sie im Europamagazin - am Sonntag um 12.45 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 30. April 2025 um 23:07 Uhr.