"Europa wieder groß machen" Orban fordert radikale Kehrtwende der EU
Bei der Rede von Orban im Europaparlament ist die tiefe Kluft zwischen Ungarn und der EU wieder einmal deutlich geworden. Er forderte grundlegende Änderungen in der Europapolitik und griff Kommissionspräsidentin von der Leyen scharf an.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben sich einen Schlagabtausch im Europaparlament geliefert. Orban forderte eine Kehrtwende in zentralen Bereichen der Europapolitik. "Lassen Sie uns Europa wieder groß machen", sagte er in einer Rede vor dem Parlament in Straßburg.
Er zitierte damit das Motto der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft in diesem Halbjahr. Es ist eine Abwandlung des Slogans "Make America Great Again" von US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump.
"Asylsystem funktioniert einfach nicht"
Orban stellte in seiner Rede zentrale EU-Beschlüsse der vergangenen Jahre in Frage. "Das europäische Asylsystem funktioniert einfach nicht", erklärte er. Asylverfahren sollten künftig in Zentren außerhalb der EU durchgeführt werden, Schutzsuchende dürfe man vorher nicht mehr in die Union zu lassen. "Das ist die einzige Lösung. Alles andere ist eine Illusion."
Der ungarische Ministerpräsident forderte regelmäßige Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Schengenstaaten. Man erlebe eine Migrationskrise wie seit 2015 nicht mehr. Es bestehe das Risiko, dass der eigentlich grenzkontrollfreie Schengen-Raum auseinanderbreche, erklärte Orban. An ihm beteiligen sich derzeit 25 der 27 EU-Mitgliedstaaten sowie Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz.
Orban hatte jüngst bereits angekündigt, dass Ungarn sich - wenn möglich - künftig nicht mehr an der EU-Migrationspolitik beteiligen will. Seiner Regierung ist insbesondere auch die jüngst beschlossene Asylreform ein Dorn im Auge, nach der Mitgliedstaaten künftig zu Solidarität mit besonders stark von Migration betroffenen EU-Staaten verpflichtet werden sollen. Ungarn wurde bereits mehrfach wegen Missachtung der europäischen Asylpolitik von den obersten EU-Gerichten verurteilt.
Breite Kritik an Orban
Während Orbans Rede schwenkten sozialdemokratische Abgeordnete Schilder mit der Aufschrift "Demokraten gegen Autokraten". Das linke Lager stimmte nach seiner Ansprache die antifaschistische Hymne "Bella Ciao" an. Das Rechtsaußen-Lager applaudierte dem Ungarn dagegen im Stehen.
In der folgenden Debatte übten Kommissionspräsidentin von der Leyen und Abgeordnete deutliche Kritik an Orban. Von der Leyen erwiderte in ihrer Rede, jeder verstehe, dass die Migration eine europäische Herausforderung sei, die eine europäische Lösung erfordere. Dafür gebe es das neue Migrations- und Asylpaket, das nun umgesetzt werden müsse.
Zur selbst erklärten "Friedensinitiative" des Ministerpräsidenten im Ukraine-Krieg und seiner Reise zu Kreml-Chef Wladimir Putin sagte von der Leyen, es gebe immer noch einige, die den Angriffskrieg nicht "Putins Lust nach Macht anlasten, sondern dem Freiheitsdurst der Ukraine".
"Hintertür für ausländische Einmischung"
Andere Abgeordnete aus dem demokratischen Lager kritisierten massive Grundrechtsverstöße und Korruption in Ungarn. Deshalb hat die EU derzeit noch mehr als 20 Milliarden Euro an Fördergelder für das Land eingefroren.
Von der Leyen kritisierte die ungarische Regierung auch dafür, Schleuser vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen zu haben, Russen ohne zusätzliche Sicherheitschecks ins Land zu lassen und es der chinesischen Polizei zu erlauben, in Ungarn zu arbeiten. "Das ist keine Verteidigung der Souveränität Europas. Das ist eine Hintertür für ausländische Einmischung", sagte sie. Orban werfe seine Probleme nur seinen Nachbarn über den Zaun.
Mehr Gas aus Russland
Zudem warf sie Ungarn vor, sich nicht an europäische Absprachen zu halten. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine hätten alle Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen, sich unabhängiger von russischer Energie zu machen und Alternativen zu suchen. Insbesondere ein Mitgliedstaat habe jedoch nur nach Alternativen Ausschau gehalten, wie es weiter russische Energie kaufen könne, sagte sie in Anspielung auf Ungarn.
Orban erwiderte, die Abkopplung der EU von russischem Öl und Gas bedrohe das Wachstum in Europa. Ungarn hat seine Gasbezüge aus Russland seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine noch ausgebaut.
In der Klimapolitik forderte Orban, die "Quintessenz" des Green Deal in Frage zu stellen, mit dem die EU bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden will. Zudem bezeichnete er von der Leyen als politische Waffe, die gegen Patrioten eingesetzt werde. Er lehne voll und ganz ab, was von der Leyen gesagt habe.