Evakuierungen im Gazastreifen "Wir werden nicht gehen"
Während die Welt auf den Libanon schaut, verschärft sich der Druck im Gazastreifen. Krankenhäuser müssen schließen, die Lebensbedingungen verschlechtern sich und erneut sollen Menschen das Gebiet verlassen. Doch einige bleiben.
Die Sprachnachricht von Hossam Abu Safia kam bereits vorgestern. Er ist Direktor des Kamal Adwan-Krankenhauses im Norden des Gazastreifens. Das Krankenhaus hat ein Jahr Krieg durchgestanden. Nun steht es nach den Worten des Leiters vor dem Aus. Denn das Krankenhaus müsse innerhalb von 24 Stunden evakuiert werden - mit allen Patienten, den Verletzten und dem medizinischen Personal.
Die israelische Armee habe Hossam Abu Safia direkt darüber informiert. "Sie haben mir gedroht, dass, wenn wir morgen nicht evakuiert sind, das Krankenhaus in Gefahr ist. Es scheint eine neue Strategie zu sein, unsere Leute aus dem Norden des Gazastreifens zu vertreiben, indem das gesamte Gesundheitssystem, einschließlich der Krankenhäuser, zerstört wird."
Inzwischen, so ist zu hören, hat das Krankenhaus von Hossam Abu Safieh die Arbeit eingestellt. Schaut man sich die Karten an, auf der die Zonen markiert sind, die evakuiert werden sollen, wird deutlich: Der Norden des Gazastreifens soll geräumt werden. Es gibt Berichte über heftige Kämpfe mit der Hamas. Sie soll in der Gegend, die eigentlich schon von Israel erobert war, wieder Tausende Kämpfer haben.
"Der Plan der Generäle"
Umgesetzt wird nun offenbar das, was in Israel als "der Plan der Generäle" bezeichnet wird. Giora Eiland ist einer dieser Generäle. Er war mal Chef des Nationalen Sicherheitsrats. Jetzt hat er ein Video veröffentlicht, in dem er anhand von Karten und mit martialischer Musik den Plan erklärt.
"Es wäre richtig, der Bevölkerung des Nordens zu sagen: Wir raten euch nicht, den Norden des Gazastreifens zu verlassen. Wir befehlen es euch." Dafür gebe es zwei sichere Korridore, die von der israelischen Armee gesichert werden. Wer den Norden verlasse, werde Essen und Wasser bekommen. Aber in einer Woche werde das gesamte Gebiet des Nordens des Gazastreifens zum militärischen Sperrgebiet erklärt und in dieses militärische Sperrgebiet dürften keine Hilfslieferungen rein. "Die 5.000 Terroristen, die in diesem Gebiet verbleiben, können dann entweder aufgeben oder verhungern", so Giora Eiland.
Armee übernimmt Verantwortung für Versorgung
Den einen geht es um den Kampf gegen die Hamas. Andere, wie der rechtsextreme Minister Bezalel Smotrich, haben längst weiterreichende Pläne für den Norden des Gazastreifens. Er ist auch zuständig für die Zivilverwaltung der Palästinensischen Gebiete und zufrieden, dass die Armee sich jetzt auch in Gaza um die Versorgung der Bevölkerung kümmern soll.
"Ich bin sehr froh, dass der Premierminister endlich angeordnet hat, mit der Übertragung der Verantwortung für die humanitäre Hilfe auf die Armee fortzufahren." Das sei entscheidend. In einem anderen Punkt seien sie sich aber noch nicht einig - in der Frage der Besiedlung. Smotrich vertritt dazu eine klare Position: "Dort, wo es keine jüdischen Siedlungen gibt, wird es schwierig, eine militärische Präsenz über lange Zeit zu halten."
Hilfsorganisationen schlagen Alarm
Neue israelische Siedlungen im Gazastreifen - das ist Smotrichs Traum. Voraussetzung wäre eine systematische Vertreibung der Bevölkerung, wie sie möglicherweise nun im Gange ist. Manche sprechen von ethnischen Säuberungen.
Hilfsorganisationen schlagen Alarm, beispielsweise Sarah Vuylsteke, die für Ärzte ohne Grenzen die Hilfe im Gazastreifen koordiniert. Sie sagte dem ARD-Studio Tel Aviv: "Diese jüngste gewaltsame Vertreibung Tausender Menschen aus dem nördlichen Gazastreifen in den Süden verwandelt den Norden in eine unbelebte Wüste und verschlimmert die Situation im Süden, wo bereits mehr als eine Million Menschen in einem kleinen Teil des Gazastreifens unter katastrophalen Bedingungen leben."
Schon jetzt gebe es kaum noch Zugang zu Wasser, medizinischer Versorgung und Sicherheit. Es sei unvorstellbar, wie noch mehr Menschen auf diesen engen Raum passen sollen. "In den vergangenen zwölf Monaten waren die Menschen endlosen Vertreibungen und anhaltenden Bombardierungen ausgesetzt", betont Sarah Vuylsteke. "Das muss aufhören."
"Wir haben Tierfutter gegessen"
Und die Menschen im Norden? Wir erreichen Naima Ayob. Sie ist 21 und war bis zum Krieg Studentin. Das Haus in Gaza Stadt, in dem ihre Familie lebt, ist noch nicht zerstört. Auch sie schickt eine Sprachnachricht und sagt: Sie und ihre Familie wollen bleiben.
Wir werden nicht in den Süden gehen. Alle, die es hier ein Jahr lang ausgehalten haben, fällt das nicht leicht. Wir haben Tierfutter gegessen und schmutziges Wasser getrunken. Wir haben keine Dusche und lange gelitten. Meine Großeltern können nicht laufen und meine Mutter hat ein Baby bekommen, nachdem sie 20 Jahre gewartet hat. Wir können nicht unter den harten Bedingungen in einem Zelt im Süden leben."
Rund 400.000 Menschen lebten bis jetzt noch im Norden des Gazastreifens nach UN-Angaben. Durch ihre Vertreibung in den Süden dürfte sich die humanitäre Krise nochmals verschärfen.