Jahrestag des Hamas-Massakers Bundespräsident warnt vor Verurteilung Israels
Auch in Deutschland fanden am Jahrestag der Hamas-Attacke auf Israel viele Gedenkveranstaltungen statt. Bundespräsident Steinmeier warnte davor, Israel leichtfertig zu verurteilen - und sieht Deutschland in einer Zerreißprobe.
Ein Jahr nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sieht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Deutschland in einer Zerreißprobe.
"Seit dem 7. Oktober erleben wir auch an deutschen Schulen und Universitäten, in Kultureinrichtungen, auf den Straßen und in den Medien, wie uns dieser Krieg im Nahen Osten zu zerreißen droht", sagte Steinmeier bei einer interreligiösen Feier in der Gedächtniskirche in Berlin.
Antisemitismus "niemals dulden"
"Trauer, Wut, Ohnmacht, Angst um Angehörige und Freunde auf beiden Seiten, solche Gefühle treiben auch in unserem Land viele Menschen um", fügte er hinzu. Die Bedrohung von Juden oder die Forderung von Demonstranten nach einem Nahen Osten ohne Israel: Das sei Antisemitismus. "Das dürfen und das werden wir niemals dulden", erklärte Steinmeier.
Steinmeier versicherte Israel die Solidarität Deutschlands. Er betonte, es gehöre zur deutschen Verantwortung, an der Seite Israels zu stehen, wenn die Heimstatt der Jüdinnen und Juden angegriffen werde.
"Nötig ist politische Perspektive"
Doch sagte er auch: "Dieser Krieg hat schon jetzt zu viele Menschen getötet, zu viel Leid gebracht: für Israelis und für Palästinenser, und jetzt auch für die Menschen im Libanon." Auch die Menschen in Gaza erlebten seit einem Jahr unermessliches Leid, Flucht, Hunger und Krankheiten.
"Die Fragen werden lauter, drängender, auch die öffentliche Debatte - weniger darüber, ob Israel ein Recht zur Selbstverteidigung hat, sondern darüber, wo die Grenzen jeden Rechts auf Selbstverteidigung liegen", erklärte der Bundespräsident. Eine Wirklichkeit, in der Israelis und Palästinenser friedlich nebeneinander leben könnten, werde nicht allein mit militärischen Mitteln gelingen. Nötig sei eine politische Perspektive. Zugleich warnte Steinmeier vor einfachen Antworten und einer leichtfertigen Verurteilung Israels.
Gedenken begann in Berlin um 5.29 Uhr
Das Gedenken in Deutschland begann schon am sehr frühen Montagmorgen. Am Brandenburger Tor in Berlin und Dutzenden anderen Orten weltweit verlasen Aktivisten um 5.29 Uhr - dem Beginn des Angriffs auf Israel am 7. Oktober 2023 - die Namen von 1.170 Ermordeten und 255 Entführten. In vielen Bundesländern erinnerten Politiker an den Überfall und seine Folgen, so etwa in Berlin und Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern.
Um die Gedenkveranstaltungen und die Demonstrationen in der Hauptstadt zu sichern, waren nach Angaben der Polizei etwa 2.300 Sicherheitskräfte im Einsatz. Neben proisraelischen Veranstaltungen fanden auch etliche propalästinensische Kundgebungen statt. Bei einer propalästinensischen Demonstration in Berlin-Kreuzberg kam es zu Flaschenwürfen auf Polizisten und israelfeindlichen Parolen, wie die Polizei auf der Plattform X mitteilte. Es habe eine Reihe von vorläufigen Festnahmen gegeben.
In dem Zusammenhang hätten Teilnehmer der Kundgebung Einsatzkräfte bedrängt, nach ihnen geschlagen und getreten. An der Kundgebung mit dem Titel "Solidarität mit Palästina" beteiligten sich nach Polizeischätzung bis zu 550 Menschen. Auch die schwedische Aktivistin Greta Thunberg war dabei. In Frankfurt am Main kamen laut Polizei 1.300 Menschen zu einer propalästinensischen Demonstration, die Veranstalter sprachen von mehr als 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.