Grünen-Vorsitzender Nouripour für AfD-Verbotsverfahren
Nach Ansicht des scheidenden Grünen-Chefs Nouripour ist die "öffentliche Beweislast" für ein AfD-Verbot "erdrückend groß". Nach Zweifeln sei er deshalb für ein Verbotsverfahren. Ex-Bundespräsident Gauck hatte sich zuvor dagegen ausgesprochen.
Grünen-Chef Omid Nouripour hat sich für ein AfD-Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht ausgesprochen. Anfangs sei er skeptisch gewesen, sagte er der Zeitung Welt. Heute stelle er aber fest: "Alleine das, was an öffentlicher Beweislast gegen die AfD vorliegt, ist erdrückend groß", sagte Nouripour. Eine wehrhafte Demokratie könne ihrer eigenen Zersetzung durch Antidemokraten nicht folgenlos zuschauen.
Als Grund für seine anfänglichen Zweifel nannte Nouripour das Verfassungsgerichtsurteil zum NPD-Verbot. Im Jahr 2017 hatte der Zweite Senat in Karlsruhe ein Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) abgelehnt, weil es keine Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele gebe.
Nouripour: Kleiner Teil der Gesellschaft rechtsextrem
Nouripour sagte, er habe kürzlich ein Buch über die Weimarer Republik gelesen und den Versuch des damaligen bayerischen Innenministers, gegen die NSDAP vorzugehen. Er habe viel gegen die Nazis getan und sei "brutal" gescheitert - mit den bekannten Folgen für die Welt und für Deutschland. "Im Thüringer Landtag konnte man doch letzte Woche sehen: Sobald die AfD auch nur ein bisschen Macht in den Händen hält, ist sie wild entschlossen, diese Macht gegen sämtliche demokratische Gepflogenheiten zu missbrauchen", betonte Nouripour.
Im Thüringer Landtag hatten ein Streit und eine teils chaotische erste Sitzung bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Besonders in der Kritik stand das Agieren des AfD-Alterspräsidenten Jürgen Treutler. Der Fall landete vor dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates, der ein Machtwort sprach und Treutler klare Grenzen setzte.
Nur ein kleinerer Teil der Gesellschaft sei rechtsextrem, sagte Nouripour auf eine Frage nach den Unterstützern der AfD. "Aber es gibt natürlich auch einen relevanten Anteil an Leuten, die verärgert, teils enttäuscht sind, die Vertrauen verloren haben." Er betonte: "Wenn die Leute das Gefühl haben, der Staat ist da, um Sicherheit zu gewährleisten und die Infrastruktur voranzubringen, dann ist viel erreicht."
Gauck spricht sich gegen AfD-Verbot aus
Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hatte sich zuvor gegen ein Verbot der in Teilen als rechtsextrem eingestuften Partei gewandt. "Mein Bauchgefühl würde der Partei das Verbot herzlich gönnen. Als Demokrat, der die offene Gesellschaft schätzt, regt es mich total auf, dass wir der Partei über die Parteienfinanzierung auch noch Mittel zuweisen müssen. Aber in der Politik darf man nicht nur fühlen", sagte der 84-Jährige den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Gauck zeigte sich überzeugt, dass man mit einem Verbotsverfahren die Wählerschaft der Partei nicht abschaffen würde: "Vielmehr würden wir noch mehr Wut und noch mehr Radikalität erzeugen - und das wäre politisch schädlich." Nach Ansicht Gaucks würden verunsicherte konservative Bürger, die die AfD wählten, bei einem Verbot der Partei den Staat als Feind erleben.
Wichtige Verfassungsrechtler und Politikwissenschaftler bezweifelten zudem Sinnhaftigkeit und Erfolg einer Klage in Karlsruhe. "Wir sollten deshalb weniger auf staatliche Eingriffe setzen, sondern unsere eigenen Fähigkeiten, die Demokratie zu verteidigen, stärken", sagte Gauck.
Bundestagsabgeordnete planen Initiative
Ein Parteienverbot kann von Bundestag, Bundesrat oder der Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragt werden. Der AfD müsste in dem Verfahren nachgewiesen werden, dass sie aggressiv kämpferisch gegen die Verfassung vorgeht. In den vergangenen Tagen wurde eine geplante fraktionsübergreifende Initiative von Bundestagsabgeordneten für einen Antrag zu einem solchen Verbotsverfahren diskutiert. Diese stieß - unter anderem in SPD und Union - auf Skepsis.
Die AfD wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet, einige Landesverbände sind vom jeweils zuständigen Landesverfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft. Laut Grundgesetz sind Parteien verfassungswidrig, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.