Wolfgang Schäuble Das Ende einer Ära
Niemand war so lange Bundestagsabgeordneter wie er: Mit dem Tod Wolfgang Schäubles verliert Deutschland einen Vollblutpolitiker. Auch wenn ihm das ganz große Amt verwehrt blieb: Wichtiger Strippenzieher war er bis zuletzt.
51 Jahre lang war Wolfgang Schäuble Bundestagsabgeordneter. Diesen Rekord hat bislang nur er geschafft. 14 Direktmandate hat der CDU-Politiker aus Offenburg gewonnen. Als er im Dezember 2022 im Parlament geehrt wurde, verriet Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, dass sein Start als Abgeordneter gar nicht spektakulär war: "Nach eigener Auskunft waren sie eigentlich ein Verlegenheitskandidat der CDU in ihrem Wahlkreis." Aus dem "Verlegenheitskandidaten" wurde ein Vollblutpolitiker.
Als Bundesfinanzminister galt der gelernte Jurist aus der badischen Provinz bei den Weltwirtschaftsexperten als Sparfuchs: "Nobelpreisträger glauben ja, ich hätte nichts im Kopf außer einer Null", sagte Schäuble dazu scherzhaft. Gemeint ist die Schwarze Null, ein Begriff, den Schäuble als Finanzminister prägte.
"Ich bin nicht bequem, ich bin aber loyal"
Auch sein Englisch hatte Kultstatus: "Am 28. 24 Uhr isch over" lautete seine Ansage in der Griechenland-Krise, "over" war damals nichts und auch die Karriere des Wolfgang Schäuble ging weiter. Auf der Haben-Seite des Zahlenmannes steht eine Liste an Ämtern: Kanzleramtschef, Innenminister, Finanzminister, Fraktionschef, Parteichef, Bundestagspräsident. Jahrzehntelang stand er ganz vorne und gab sich schließlich genügsam: "Ich brauch nix mehr werden, will nix mehr werden."
Was er werden wollte und nicht wurde: Kanzler als Kohl-Nachfolger. Das aber verhinderte Helmut Kohl. Schäuble als Bundespräsident wiederum verhinderte später schließlich Angela Merkel. Schäuble schwieg damals, getreu seines Mottos: "Ich bin nicht pflegeleicht, ich bin nicht bequem, ich bin aber loyal."
Der bewegendste Moment
Als Finanzminister unter Merkel blieben die beiden immer beim Sie. Merkel, die Ostdeutsche - Schäuble, der Architekt der Einheit. Den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung bezeichnete Schäuble schließlich als bewegendsten Moment in seinem politischen Leben.
Neun Tage nach dem Tag der Deutschen Einheit geschah der einschneidendste Moment in Schäubles Leben. Das Attentat am 12. Oktober 1990. Zwei Schüsse eines psychisch kranken Attentäters brachten ihn in den Rollstuhl. Mit der Wiedervereinigung habe das nicht unmittelbar was zu tun, sagte Schäuble. "Aber es fällt halt zeitlich zusammen."
Die Stadt Berlin würdigte ihn als Ehrenbürger, weil er nach der Wiedervereinigung flammend für die Hauptstadt geworben hatte.
Ein Schatten auf der Karriere
Ein Schatten fällt im Jahr 2000 auf seine politische Karriere: die CDU-Spendenaffäre. Schäuble muss seine Ämter als Partei- und Fraktionsvorsitzender niederlegen, seine Nachfolger heißen Merkel und Merz.
Ein Strippenzieher in der Union war er bis zum Schluss. Im Frühjahr 2021 verhindert er in einer nächtlichen Sitzung den Kanzlerkandidaten Markus Söder. Armin Laschet verliert jedoch später die Bundestagswahl. Schäuble wusste schon vorher, was das für ihn heißen würde: "Darauf bin ich eingestellt und das ist kein Problem für mich." Die Oppositionsbank, Reihe 6 war sein letzter Platz im Parlament, einer von 197 Unions-Abgeordneten.
Er wollte immer etwas bewegen, sagte Schäuble. Er war ein Vollblutpolitiker, der kalt und hart sein konnte, manchmal einfühlsam und immer schnell im Kopf - zuletzt mit immer mehr Gelassenheit: "Das ist übrigens der Vorteil, wenn man älter wird. Man gewinnt dann Freiheit." Mit dem Tod von Wolfgang Schäuble geht nun eine Ära zu Ende.
Hinweis: Das Erste sendet heute einen ausführlichen Nachruf auf Wolfgang Schäuble - um 23:45 Uhr, im Anschluss an die tagesthemen.