Schäuble übers Weitermachen "Politik ist eine Leidenschaft"
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble tritt bei der Bundestagswahl wieder an. Im Interview mit tagesschau.de erklärt der CDU-Politiker, warum er auch mit 79 Jahren noch weitermachen will - und was ihn in dieser Legislatur geärgert hat.
tagesschau.de: Herr Schäuble, das war eine Legislaturperiode, wie es sie in der Parlamentsgeschichte noch nicht gegeben hat. Das Parlament musste wegen der Pandemie im völligen Ausnahmezustand arbeiten. Gab es für Sie Momente, wo Sie Sorge um die Funktionsfähigkeit der Demokratie hatten?
Schäuble: Am Anfang, als wir überhaupt nicht wussten, wie sich das entwickelt, habe ich ja überlegt, ob wir nicht die verfassungsmäßigen Voraussetzungen schaffen sollten, notfalls mit einer Art Notparlament arbeiten zu können. Das hatte in den Fraktionen keinen Widerhall gefunden. Dann haben wir gesagt, wir machen es jetzt so, wie wir es schließlich gemacht haben. Ich glaube, wir haben es sehr gut gemacht. Wir haben alle Abstands- und Hygieneregeln eingehalten. Haben genau vermessen, so wie wir es in Deutschland machen, schon perfekt, gründlich. Aber wir haben immer im Plenum in Präsenz getagt. Darauf bin ich auch ein Stück weit stolz. Wir waren von den größeren Parlamenten das erste und lange Zeit auch das einzige, das gesagt hat: Nein, Parlamentsdebatte kann man nicht digital machen. Man kann das bei Ausschussberatungen machen, aber nicht bei parlamentarischen Debatten mit Für und Wider, im Austausch und auch im Streit. Das hat gut funktioniert.
tagesschau.de: Es gab aber auch eine große gesellschaftliche Spaltung, die selbst das Parlament getroffen hat. Der Gipfel war sicherlich die Erstürmung der Reichstagstreppe und die Bilder, die durch radikale Gegner der Corona-Maßnahmen entstanden sind. Als Sie das gesehen haben, was ist in Ihnen vorgegangen?
Schäuble: Ich habe gedacht, dass es eine Schande ist, wenn man das Symbol unserer Demokratie, und das ist ja der Reichstag als Sitz unseres Parlaments, für solche Bilder missbraucht. Wie waren nicht gefährdet, es war keine vergleichbare Situation mit dem Kapitol in Washington. Aber der Missbrauch des Symbols, das hat mich schon ziemlich geärgert.
tagesschau.de: Es gab auch die sogenannten Influencer, die von AfD-Abgeordneten ins Parlament eingeladen wurden und mit laufenden Kameras Abgeordnete bedrängt und im Netz bloßgestellt haben. Das hat es so noch nicht gegeben.
Schäuble: Die haben sich ja selbst bloßgestellt. Da braucht es ein gewisses Maß an Gelassenheit. Aber es muss klar sein, wenn Gelassenheit nicht hilft, werden die Regeln durchgesetzt.
tagesschau.de: Polarisierung findet auch im Plenarsaal statt. Es gab zum Beispiel die Situation, in der die AfD mit Sargsymbolen behauptet hat, das Grundgesetz werde beerdigt. Sie haben das gerügt. Teilen Sie die Beobachtung, dass sich durch die AfD die Atmosphäre im Parlament verhärtet hat?
Schäuble: Ich habe es so nicht empfunden. Ich meine, die anderen Fraktionen haben die AfD relativ wenig beachtet. Dazu hat die AfD selber immer wieder beigetragen. Wir haben im Präsidium peinlich darauf geachtet, dass alle wirklich gleich behandelt werden, was die Regeln im Parlament betrifft. Und im Wesentlichen hat das gut funktioniert. Das ändert nichts daran, dass ich, wenn ich mich mit den Kollegen der AfD unterhalte, sage: Was ich politisch tun kann, damit sie nicht mehr gewählt werden, das tue ich. Aber das ist eine andere Frage.
tagesschau.de: Sie sind jetzt fast ein halbes Jahrhundert in diesem Parlament und werden bald 79 Jahre alt. Trotzdem wollen Sie es noch mal wissen und treten wieder für den Bundestag an. Was treibt Sie an?
Schäuble: Na ja, mich haben viele Jüngere nicht nur aus meinem Wahlkreis, gebeten noch einmal anzutreten. Sie haben gesagt, in dieser Zeit, wo sich vieles so grundlegend verändert und Angela Merkel als Bundeskanzlerin aufhört, was ja schon Einschnitt ist, in dieser Zeit hätten sie mich gerne weiter in der Rolle, die ich jetzt spiele: Ein bisschen distanzierter von der Regierungspolitik, aber wenn es gebraucht wird, auch mal zusammenzuführen, zu mahnen. Deshalb haben sie mich gebeten, nochmals zu kandidieren. Und meine Frau hat herzlich gelacht, weil sie sagt, ich weiß doch, dass du das gern hörst. Weil ich es sehr gerne mache. Und wenn mich dann die Wählerinnen und Wähler am 26.September wählen, dann bin ich bereit, solange mir die Kräfte bleiben, das gerne weiterzumachen. Politik ist eine Leidenschaft.
tagesschau.de: Aber Sie wissen nicht, ob Sie ihr Amt weiterführen können. Im Moment sind die Umfragen für Ihre Partei nicht so toll. Aber einen normalen Abgeordneten Schäuble ohne jegliche Funktion? Können Sie sich das vorstellen?
Schäuble: So habe ich angefangen. Aber jetzt reden Sie nicht mit dem Bundestagspräsidenten, sondern mit dem CDU-Abgeordneten und Kandidaten Wolfgang Schäuble.
tagesschau.de: Dem Politiker.
Schäuble: Ich tue alles, damit wir wieder die Wahl gewinnen und wenn am 26. September das Ergebnis feststeht, so ist es in der Demokratie, werde ich es akzeptieren. Darauf bin ich eingestellt und das ist kein Problem für mich.
tagesschau.de: Das heißt, nach dem 26. September können Sie sich auch vorstellen, nur noch der Wahlkreisabgeordnete für volle vier Jahre zu sein?
Schäuble: Jetzt schauen wir mal. Ich kämpfe für ein bestimmtes Wahlergebnis, das ist völlig klar, mit voller Kraft, aber natürlich auch im Bewusstsein der Zurückhaltung, die mir mein Amt auferlegt. Und wenn am 26. September um 18 Uhr oder um 19 Uhr das Ergebnis feststeht, dann ist es das Ergebnis und das akzeptiert man. Und es wird keine Probleme für mich beinhalten.