Schäuble wird 80 Er will jetzt nichts mehr werden
Kanzleramtschef, Fraktionschef, Parteichef, Minister, Bundestagspräsident: Wolfgang Schäuble war schon so viel. Er wäre wohl auch gern Kanzler oder Bundespräsident geworden. Nun wird er 80.
"Respice finem": Bedenke bei allem was Du tust, das Ende - das ist das Motto von Wolfgang Schäuble. Es war Altkanzlerin Angela Merkel, die das unlängst spöttisch zitierte, als sie in der "Süddeutschen Zeitung" nach dem jetzt einfachen Abgeordneten Schäuble gefragt wurde. Jenem Wolfgang Schäuble, der mit 79 Jahren meinte, damals, im September 2021, erneut für den Bundestag kandidieren zu müssen und dann mit der Wahlniederlage seiner Union auch sein Amt des Bundestagspräsidenten verlor.
"Respice finem" also. Es war nicht freundlich gemeint von Merkel, die Schäuble in den gemeinsamen Tagen stets respektierte, aber selten seine Nähe abseits von Arbeit und Politik suchte. Sie beide siezen sich - bis heute. Aber den Rat und analytischen Weitblick des knorrigen Finanzministers schätzte die Kanzlerin damals offenbar so sehr, dass sie - als Schäuble 2010 wochenlang krankheitsbedingt ausfiel - gleich zwei Rücktrittsangebote des pflichtbewussten Badeners ablehnte.
Rekordhalter im Bundestag
Im Dezember wird Schäuble als Abgeordneter des Wahlkreises Offenburg 50 Jahre im Parlament sitzen. Niemand hat das vor ihm geschafft, nicht einmal August Bebel. Schäuble spricht gern von Pflichtbewusstsein. Davon, dass die Jungen den alten Mann baten, seinen Rat und sein Wissen weiterzugeben. Schäubles Ehefrau Ingeborg hat nach 53 gemeinsamen Jahren längst resigniert. Ihr Mann interessiere sich nun mal am meisten für Politik, sagte sie. Er selbst sagt: "Ich brauche ja nicht mehr. Ich brauche nichts mehr zu werden. Und will auch nichts mehr werden." Schäuble war ja schon so viel: 19 Jahre Minister. Kanzleramtschef, Fraktionschef, Parteichef, Innen- und Finanzminister.
"Ich bin nicht pflegeleicht"
Aber die Brüche in seinem Leben erzählen eben auch von dem, was er nicht wurde, obschon er es vermutlich gern wollte: Bundeskanzler. Helmut Kohl, der stur an Amt und erneuter Kandidatur festhielt, verhinderte Schäuble. Als Johannes Rau als Bundespräsident ging, war es Kanzlerin Merkel, die einen Bundespräsidenten Schäuble verhinderte, auch weil FDP und CSU ihn nicht wirklich wollten. Wunden blieben, aber Schäuble blieb auch. "Ich bin nicht pflegeleicht. Nicht bequem. Ich bin aber loyal", sagte er einmal.
Das gilt im Großen und Ganzen sicher, im Kleingedruckten der Macht aber gab es Halbsätze des Mannes, die zur Hochzeit des Flüchtlingsjahres 2015 durchaus an der Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel kratzten. Wenn ein Schäuble vor einem CDU-Wahlparteitag sagt, Merkel werde sehr wahrscheinlich wiedergewählt, horchte das damalige Lager der Merkelkritiker auf.
Isch over
Als Finanzminister aber war er der Erfinder der Schwarzen Null. Auch so ein Schäublewort, das Kultstatus erreichte. "Nobelpreisträger denken ja, ich habe nichts außer einer Null im Kopf", lästerte Schäuble einst, weil die Wissenschaft den notorischen Sparzwang Schäubles geißelte. Er aber, der gern Recht hat und das alle spüren lässt, hielt Kurs. Er wurde zur Hassfigur eines in der Eurokrise am Rande des Staatsbankrotts balancierenden Griechenlands. "Am 28. Februar 2015 um 24 Uhr isch over" formulierte er einst ein Ultimatum. In badischem Englisch. Griechenland lieferte. "Isch over" aber blieb als Kultausdruck bis heute.
Koffer mit 100.000 D-Mark
1972 - Willy Brandt war Kanzler - kam der Mann, der Anwalt werden wollte, über die Junge Union ins Parlament. Schäuble machte Karriere und galt vielen in der CDU in den 1990er-Jahren als der kommende Star nach Kohl. Ein Politiker, der Überzeugungen hatte, Stimmungen misstraute. Dass er 1994 einen Koffer mit 100.000 D-Mark vom Waffenhändler Karlheinz Schreiber als Parteispende annahm, führte später zu einem weiteren Bruch im Leben des Mannes, der sich selbst meist als am gescheitesten hielt. Merkel folgte auf Schäuble als Parteichef, aber holte ihn 2005 als Innenminister, vier Jahre später dann als Finanzminister in ihr Kabinett.
Die ostdeutsche Kanzlerin und der Mann, der nach eigenen Aussagen als Kanzleramtschef damals die Idee mit dem Einheitsvertrag hatte. Seither gilt auch Schäuble als einer der Architekten für den deutschen Glücksfall. "Das war der bewegendste Moment in meinem politischen Leben", sagt Schäuble später im SWR-Interview. "Die Mauer geht auf. Die Mauer geht auf. Wenn wir noch mal Wiedervereinigung machen, machen wir es wieder so", sagt Schäuble. "Aber nicht in einem Wahljahr."
Wiedervereinigung und Attentat
Neun Tage nach dem 3. Oktober 1990 wurde Schäuble auf einer Wahlveranstaltung in seinem Wahlkreis Offenburg von einem geistig verwirrten Attentäter schwer verletzt. Zwei Schüsse bringen Schäuble in den Rollstuhl. Wiedervereinigung und Attentat sind auf immer zeitlich für Schäuble miteinander verwoben. Den Westdeutschen übrigens warf Schäuble später oft vor, nie bereit gewesen zu sein, auch sich zu ändern. Und für Ostdeutschland verlangt Schäuble auch 32 Jahre nach der Wiedervereinigung mehr Respekt.
Daran aber hat er es persönlich gelegentlich auch fehlen lassen. Eine Pressekonferenz zur Steuerschätzung gab 2011 Einblick, wie unbarmherzig dieser Schäuble nicht nur sich selbst gegenüber, sondern auch anderen sein kann. Er führte seinen damaligen Pressesprecher auf offener Bühne vor, mehrere demütigende Minuten lang. Nur weil der Mann eine Presseerklärung nicht vor Beginn verteilen ließ. Die meisten Journalisten im Saal lachten damals. Einen Tag später schämten sich viele für sie und den Finanzminister, der seinen Auftritt danach bereut haben soll.
Schäuble für Laschet
Für Schlagzeilen sorgte Schäuble dann in einer Berliner Frühlingsnacht des Vorjahres. Der offene Kampf zwischen CSU-Chef Markus Söder und Armin Laschet, dem offiziellen Kanzlerkandidaten, um die Spitzenposition tobte. Wer kann Kanzler? Die Union war tief gespalten. Söder stichelte, Laschet strauchelte. Schäuble aber gab in einer nächtlichen Krisensitzung den Ausschlag. Der Badener wollte den Mann aus Nordrhein-Westfalen. Schäuble hielt Laschet für verbindlicher, vermittelbarer. Söder gab klein bei. Schäuble setzte sich durch und mit Laschet verlor die Union die Wahl. Manche in der Partei munkelten später wütend von Hinterzimmerpolitik alter Schule.
Wolfgang Schäuble, der mit der Wahlniederlage sein geliebtes Amt als Bundestagspräsident verlor, hat seine neue Rolle akzeptiert. Reihe sechs im Plenum des Bundestages. Ein Platz immerhin mit einem Tischchen. Die bisher letzte Rede hielt er als Alterspräsident des Hauses. Schäuble eröffnete die konstituierende Sitzung des 20. Bundestages. "Politische Führung verlangt von uns Abgeordneten den Blick auf die wirklich großen Aufgaben", rief Schäuble damals in den Saal. Dazu gehöre es, bereit zu sein, den Menschen etwas zuzumuten. Dazu verpflichte schließlich das Mandat. An seinem 80. Geburtstag scheint diese Zeit der Zumutungen inmitten eines Krieges in Europa nun gekommen zu sein.