Containerterminal im Containerhafen des Binnenhafen in Duisburg

Wirtschaft und Bürokratie Wie geht es weiter mit dem Lieferkettengesetz?

Stand: 31.10.2024 11:00 Uhr

Es soll dafür sorgen, dass Unternehmen auch in ihren Zulieferbetrieben im Ausland Menschenrechte beachten. Doch bei der Wirtschaft ist das Lieferkettengesetz äußerst unbeliebt. Laut Entwicklungsministerin Schulze wirkt es.

Von Claudia Buckenmaier, ARD-Hauptstadtstudio

"Das kommt weg. Dieses Jahr noch", verspricht Bundeskanzler Olaf Scholz beim Arbeitgebertag am 22. Oktober. Sind es unbedachte Worte oder hat er sie mit voller Absicht gesprochen? Scholz steht in dem Moment auf einer Bühne neben Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, vor ihm ein Saal voller Vertreter aus der Wirtschaft. Er reagiert auf Dulgers wiederholt deutliche Kritik am Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

Bei dem Gesetz geht es darum, dass Unternehmen auch im Ausland Verantwortung tragen. Sie müssen nachweisen, dass in Zulieferbetrieben Menschenrechte geachtet werden, dass in einem Teil der Lieferkette Produkte nicht mit Hilfe von Kinder- oder Zwangsarbeit hergestellt werden. Auch wie Umweltstandards geachtet werden, muss dokumentiert werden.

Das Gesetz war von Anfang an bei der Wirtschaft, die es umsetzen musste, umstritten. Und so wirft Dulger nun auch Wirtschaftsminister Robert Habeck vor, er habe nichts geliefert, obwohl er eine Überprüfung zugesagt habe. Dulger glaube weitere Versprechen nur, wenn die Tinte trocken sei und bei ihm auf den Lieferscheinen stehe.

Der Kanzler unterbricht, das könne er auch so - aber er dringt damit kaum durch. Beim Arbeitgebertag wirkt die Glaubwürdigkeit der Regierung wieder einmal zutiefst erschüttert.

Beschlossen von der Großen Koalition

Doch was hat der Kanzler auf dieser Bühne eigentlich zugesagt: eine Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes bis das europäische in Kraft tritt? Eine Reform? Und wenn ja, wie soll die aussehen? Die flapsig hingeworfenen Bemerkungen sorgen eher für Verwirrung statt für Klarheit.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit versucht aufzuklären: "Wir haben ja den Fall, dass das deutsche Lieferkettengesetz in seinen Maßnahmen deutlich über die europäische Richtlinie hinausgeht, und es gibt Einigkeit innerhalb der Bundesregierung, im Vorgriff auf die europäische Regelung einzelne Regelungen auszusetzen beziehungsweise nicht mehr weiter zu verfolgen, auf dass die deutschen Unternehmen nicht stärker belastet werden als ihre europäischen Partner." Das solle bis zum Ende des Jahres Wirklichkeit werden.

Das deutsche Lieferkettengesetz ist seit dem 1. Januar 2023 in Kraft. Zuerst galt es für Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten. Seit dem 1. Januar 2024 betrifft es auch Firmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden.

Beschlossen worden war es allerdings noch in der Endphase der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD, im Juni 2021. Schon damals verlief die Konfliktlinie zwischen dem SPD-geführten Arbeitsministerium und dem CSU-geführten Entwicklungsministerium auf der einen Seite und dem CDU-geführten Wirtschaftsministerium auf der anderen. Der Verzicht auf eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen machte den Kompromiss möglich.

Kritik auch von Wirtschaftsminister Habeck

Im Frühjahr dieses Jahres wurde dann die europäische Richtlinie beschlossen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen die Richtlinie bis Mitte 2026 in nationales Recht umsetzen. Kurz gesagt, ist die europäische Regelung in manchen Bereichen lockerer, in manchen strenger - aber sie betrifft vor allem anfangs deutlich weniger Unternehmen als das deutsche Gesetz.

Auf dieser Grundlage haben Kanzler, Wirtschafts- und Finanzminister - also die Spitzen der Ampelkoalition - Anfang Juli zugesagt, dass bei der Umsetzung der Sorgfalts- und Berichtspflichten unverhältnismäßige Belastungen der Unternehmen vermieden werden sollen. Pragmatisch wolle man die europäische Lieferkettensorgfaltspflicht umsetzen, so bürokratiearm wie möglich. Das steht in der von der Koalition Anfang Juli vorgestellten Wachstumsinitiative.

Wirtschaftsminister Habeck will das deutsche Gesetz "entschlacken". Finanzminister Christian Lindner verspricht, dass "zwei Drittel der Unternehmen, die bisher unter dieses Gesetz fallen", zum 1. Januar 2025 nicht mehr darunterfallen sollen.

Es ist nur eine von 49 Maßnahmen, mit denen die Regierung die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen steigern will - aber eine mit viel Aufregerpotenzial. In der Wirtschaft aber auch in der Regierung selbst. Anfang Oktober spricht ausgerechnet der grüne Wirtschaftsminister Habeck beim Unternehmertag des Außenhandelsverbands BGA davon, "nicht nur hier und da Verbesserungen hinzumachen, sondern die Kettensäge anzuwerfen und das ganze Ding wegzubolzen". Man sei "bei guter Intention völlig falsch abgebogen".

Sorge bei Nichtregierungsorganisationen

Stoff genug für Kritik aus der eigenen Partei und Teilen der Koalition. Nur die FDP fühlt sich bestätigt. Sie hatte mit ihrem Veto dafür gesorgt, dass Deutschland sich bei der Abstimmung über die EU-Lieferkettenrichtlinie enthalten hat.

Verhindern konnte sie die europäische Regelung dadurch jedoch nicht. Das wird bei aller Diskussion über die Umsetzung oft vergessen: Unabhängig davon, was jetzt mit dem deutschen Gesetz geschieht, muss spätestens Mitte 2026 auch von deutschen Unternehmen die europäische Regelung angewendet werden.

Im Hintergrund wird nun an der Umsetzung der europäischen Richtlinie gearbeitet. Die Federführung hat das Arbeitsministerium. Minister Hubertus Heil lässt wissen, dass an dem Gesetz gearbeitet werde. Es habe Priorität. Wie er gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte, soll das europäische Regelwerk das deutsche Gesetz ablösen. Konkreter wird er nicht. Sobald das Arbeitsministerium den ersten Vorschlag gemacht hat, kommen das Entwicklungsministerium, das Wirtschafts- und das Justizministerium beratend hinzu.

In Nichtregierungsorganisationen wächst die Sorge, dass die in Deutschland geltende Pflicht, zu überprüfen, ob in der Lieferkette gegen Menschenrechte und Umweltschutz verstoßen wird, ausgesetzt werden könnte. Für sie ist das Gesetz eine wichtige Errungenschaft.

Entwicklungsministerin Schulze bekennt sich zum Gesetz

Bei einem Treffen mit Gewerkschaftsvertretern bekannte sich auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze klar zu dem Gesetz. "Das Lieferkettengesetz wirkt. Gewerkschaften in den Produktionsländern sagen mir, dass sie zum ersten Mal Gehör finden in ihren Unternehmen, wenn sie für bessere Arbeitsbedingungen eintreten. Diese Wirksamkeit muss erhalten werden, wenn das deutsche Recht jetzt an die neuen europaweiten Regeln angepasst wird."

Schulze sieht einen Wettbewerbsvorteil für deutsche Unternehmen, die bereits Erfahrungen mit dem Lieferkettengesetz gesammelt haben. "Wer mit dem deutschen Gesetz Erfahrung sammeln konnte im Management fairer und stabiler Lieferketten, ist bereits gut vorbereitet auf die neuen Anforderungen der Europäischen Union."

Die SPD-Politikerin ist überzeugt, dass mithilfe des Lieferkettengesetzes Menschen in Ländern wie zum Beispiel Pakistan gerechtere Arbeitsbedingungen erhalten. Sie hat dort jüngst eine Fabrik besucht, in der Fußbälle für die Bundesliga produziert werden, unter Achtung von Sozial- und Umweltstandards. Deutschland hat in der pakistanischen Hauptstadt gerade ein Büro eröffnet, um lokalen Zulieferbetrieben zu helfen, die vom Lieferkettengesetz vorgeschriebenen Standards zu erfüllen.

Beim Weg zum Ziel ist man sich uneins

Hilfe von Beratern brauchen auch deutsche Betriebe, um die Anforderungen des Lieferkettengesetzes zu erfüllen, so der Verband der Familienunternehmer. Die Pressestelle des Verbandes spricht auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios von "nicht bezifferbaren Millionenbeträgen", die für Berater ausgegeben worden seien, die an der ökologischen und menschenrechtlichen Situation in den Zulieferbetrieben nichts verändert hätten.

Der Verband klagt, dass Hinweise aus der Wirtschaft komplett ignoriert worden seien. Den Unternehmen hätte der doppelte Aufwand erspart werden sollen, sich erst auf ein deutsches Gesetz und dann wenig später auf eine europäische Richtlinie einzustellen. Eine Aussetzung in Deutschland sei das Mindeste, was jetzt geschehen müsse, so der Verband.

Noch ist unklar, in welcher Form das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz überarbeitet wird. Die Befürworter räumen ein, dass es einfacher und unbürokratischer werden sollte, hoffen zugleich aber, dass es im Kern erhalten bleibt. Die Gegner wollen dagegen nicht nur, dass das deutsche Gesetz ausgesetzt wird, sondern dass auch die europäischen Richtlinien erneut auf den Prüfstand kommen. Beide Seiten versichern, dass sie das Ziel, zum Beispiel Kinderarbeit zu verhindern, teilen. Nur beim Weg dorthin sind sie sich uneins.

Der Konflikt verläuft nicht nur zwischen Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen, zwischen Regierung und Wirtschaftsverbänden. Auch in den Parteien und zwischen den Ministerien der Ampelkoalition gibt es unterschiedliche Positionen. Die Zeit drängt, damit der Kanzler sein Versprechen, das er dem Arbeitgeberpräsident gegeben hat, einhalten kann.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 22. Oktober 2024 um 22:58 Uhr.