Die ungarische Minderheit in der Ukraine Politischer Spielball Orbans?
Ungarn stellt sich bisher quer wenn es um den EU-Beitritt der Ukraine geht, begründet dies unter anderem mit einer vermeintlichen Diskriminierung der ungarischen Minderheit im Nachbarland. Wie denkt die darüber?
Tibor Tompa ist in zwei Kulturen zu Hause. Der Unternehmer ist in Kiew aufgewachsen, stammt jedoch aus der Region Transkarpatien im Südwesten der Ukraine an der Grenze zu Ungarn. Er habe, wie er sagt, "ungarisches Blut" und ein "ukrainisches Herz".
Als Vertreter der ungarischen Minderheit im Land stellt Tompa eines klar: Er spreche mit seinem Sohn oder seinen Eltern auf Ungarisch, wann immer er möchte. Es könne also keine Rede davon sein, dass ungarische Ukrainer bei der Ausübung ihrer Sprache und Kultur diskriminiert würden.
Tibor Tompa steht in Kiew vor einem Denkmal des ungarischen Dichters Sandor Petöfi.
Bildungsgesetz von 2017 sorgt für Kritik
Genau dies wirft die Regierung in Budapest der Ukraine vor. Etwa 100.000 ethnische Ungarn leben im Land, zumeist in Transkarpatien. Seit langem hatte Premier Viktor Orban etwa ein ukrainisches Bildungsgesetz von 2017 kritisiert.
Es sah vor, dass der Unterricht bis zur vierten Klasse komplett in einer Minderheitensprache wie Ungarisch stattfinden kann - danach aber vorwiegend auf Ukrainisch. Bisher konnten Schüler in Transkarpatien ihre gesamte Schullaufbahn auf Ungarisch bestreiten.
Orban droht mit Blockade
Orban hat das Thema mit Kiews europäischen Ambitionen verknüpft und droht mit einer Blockade der von der Ukraine gewünschten Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen.
Wenn Kiew dies möchte, so Orban schon vor Monaten in einem Radiointerview, müsse es die Erwartungen der EU erfüllen, "darunter die Erwartungen Ungarns bezüglich unserer Minderheit in Transkarpatien."
Kiew zu Konzessionen bereit
Konkret will Budapest keine signifikante Reduzierung des Unterrichts auf Ungarisch. Aber auch Brüssel verlangt von Kiew weitere Schritte zum Schutz nationaler Minderheiten, etwa mit Blick aufs Abhalten öffentlicher Veranstaltungen sowie die Arbeit von Medien in Minderheitensprachen.
Um genau dies zu berücksichtigen, hat die Ukraine vor kurzem eine Gesetzesnovelle verabschiedet. Sie sieht außerdem weniger strikte Quoten für Unterricht auf Ukrainisch vor, als das Bildungsgesetz von 2017 festgeschrieben hatte - eine Konzession an Budapest. Ob dies reicht, um Orbans drohendes Veto zu verhindern, muss sich noch erweisen.
"Regelrechtes Sprachenghetto"
Tibor Tompa, der ungarisch-ukrainische Unternehmer aus Kiew, kritisiert Orban scharf - sowohl dessen Nähe zu Russland als auch die Politik gegenüber der ungarischen Minderheit in der Ukraine.
So haben ungarisch-ukrainische Familien bislang Geld aus Budapest erhalten, wenn sie ihre Kinder auf rein ungarische Schulen schickten - was wiederum das separate Schulsystem in Transkarpatien verfestigte.
"Viktor Orban und Fidesz haben ein regelrechtes Sprachenghetto im ukrainisch-ungarischen Grenzgebiet errichtet,“ beschreibt Tompa die Sprachnutzung der ungarischen Minderheit drastisch.
Deren größte Herausforderung sei eine oft mangelnde Integration in die ukrainische Gesellschaft. "Wenn sie nur Ungarisch sprechen, werden sie zu billigen Arbeitskräften für Ungarn."
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Vor allem deshalb hält Tompa einen Ausbau des Ukrainisch-Unterrichts in seiner Heimatregion für notwendig. Doch selbst er glaubt, dass sich die meisten ethnischen Ungarn in der Ukraine eher Budapest verbunden fühlen.
Stellvertretend für diese Gruppe hat der ukrainisch-ungarische Politiker Vasyl Brenzovych den Vorwurf eines mangelnden Integrationswillens schon vor Jahren zurückgewiesen:
"Den Ungarn Transkarpatiens wird unterstellt, dass sie Ukrainisch nicht beherrschen und es auch gar nicht lernen wollen. Fakt ist aber, dass es keine vernünftigen Bedingungen für das Erlernen dieser Sprache gibt.“
Eine Kritik, die auch Tompa teilt. Aus seiner Sicht hat es die Ukraine nach der Unabhängigkeit 1991 versäumt, frühzeitig die Ukrainischkenntnisse ihrer ethnischen Minderheiten gezielt zu fördern.
Mit Blick auf den Streit mit Budapest ist er zwiegespalten - er hofft auf ein Ja Orbans zu EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Doch er befürchtet, dass Teile der ungarischen Minderheit in der Ukraine weiterhin faktisch von der Mehrheitsgesellschaft getrennt bleiben.