Zwei Angestellte überwachen die Produktion von Duralex-Gläsern in La Chapelle-Saint-Mesmin (Frankreich).
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Frankreich Auf einmal Boss - wie die Belegschaft Duralex rettete

Stand: 12.10.2024 15:16 Uhr

Die Gläser der Firma Duralex kennt wohl jeder Bistro-Besucher in Frankreich. Dennoch geriet das Traditionsunternehmen in massive Probleme. Nun gehört Duralex der Belegschaft. Wie geht sie damit um?

Wie glühende Kugeln tropft heiße Glasmasse in runde Formen der lauten Maschine. Eine automatische Zange hebt die französischen Bistro-Gläser aus den Formen auf ein Förderband.

Die Produktion läuft wieder in der Duralex-Fabrik bei Orléans. Suliman El Moussaoui hält ein Glas ins Licht und prüft, ob die Qualität stimmt. Der Mechaniker und Gewerkschafter liebt seinen Job: "Wir nennen das Feuerball. Das ist ein lebendiges, edles Material. Total formbar, aber was herauskommt ist ein festes Objekt. Man spürt die Arbeit richtig. Das begeistert einen immer wieder."

Seit fast 20 Jahren arbeitet El Moussaoui als Mechaniker in der berühmten Glasfabrik. Duralex ist eine Institution in Frankreich. Die Gläser findet man in Schulkantinen oder Bistros. Die Mitarbeiter sind eine eingeschworene Gemeinschaft. Wie eine Familie sei das, das sagen alle hier. Doch das wäre fast vorbei gewesen.

Mehrere Übernahmen und Insolvenzverfahren

Duralex hat Jahre der Krise hinter sich. Es gab mehrere Übernahmen und Insolvenzverfahren. Wirtschaftlich sah es düster aus. Die Firma schrieb über Jahre massive Verluste. Als die Energiepreise stiegen, wurde die Produktion sogar eingestellt.

Aber dann passierte eine kleine Revolution: "Es gibt keine Aktionäre oder Investoren mehr. Wir Mitarbeiter sind jetzt die Eigentümer. Für uns ist es eine große Freude sagen zu können, dass wir selbst unsere Fabrik gerettet haben", erklärt El Moussaoui mit Stolz in der Stimme.

Ein Angestellter von Duralex überprüft in La Chapelle-Saint-Mesmin (Frankreich) die Qualität eines Glases.

Ein prüfender Blick: Mechaniker El Moussaoui kontrolliert die Qualität eines Bistro-Glases.

Zukunft ohne Personalabbau

Zwei Unternehmen wollten Duralex übernehmen. Sie legten Pläne zur Sanierung vor, mit deutlichen Personaleinsparungen. Ein Gericht in Orléans entschied im Juli aber anders und nahm den Plan der Mitarbeiter an, eine Art Genossenschaft zu gründen - ganz ohne Personalabbau.

Mechaniker El Moussaoui hat die Übernahme mit initiiert. Der Gewerkschafter und seine Mitstreiter konnten rund 60 Prozent der 226 Kollegen überzeugen, dabei zu sein und in die eigene Firma zu investieren: "Es waren intensive Monate, mit viel Unsicherheit, ob es klappt. Dann waren alle Mitarbeiter total erleichtert", so El Moussaoui.

Mehr Arbeit, mehr Motivation

Für viele war es eine Herzensentscheidung, dabei zu sein. Verpackungs-Mitarbeiterin Pâquerette Saugrin macht an einem Tisch die Ware für den Versand bereit. In der Verpackungs-Abteilung hätten viele ihren Job verloren, wenn einer der anderen Investoren zum Zuge gekommen wäre.

Auch Saugrin hätte ihre Arbeit verlieren können. Daher hat sie die 500 Euro eingezahlt, um Teilhaberin der Genossenschaft zu werden: "Wir arbeiten jetzt für uns, das ist schon etwas anderes. Natürlich haben wir auch vorher gearbeitet. Aber jetzt gehört es uns - und wir geben einfach noch ein bisschen mehr."

Die Mitarbeiter erzählen, dass jetzt alle regelmäßig das Licht ausmachen, viel bewusster mit den Ressourcen umgehen - und man viel lieber Überstunden mache.   

Sie sind nun in einem Verwaltungsrat bei allen Entscheidungen eingebunden. Keine leichte Aufgabe. Es sind dringend Investitionen nötig, jahrelang wurde in der Fabrik nichts modernisiert. Und die Defizite sind enorm. Im vergangenen Jahr hat die Firma bei einem Umsatz von rund 24 Millionen Euro zehn Millionen Euro Verlust gemacht.

Saugrin glaubt, dass sich jetzt vieles ändern wird: "Es gibt ja keine Aktionäre mehr. Das Geld geht jetzt direkt an uns Mitarbeiter. Das ist schön. Es gibt Hoffnung, wir sind motiviert. Und wollen das alle möglich machen."

In dem Duralex-Werk in in La Chapelle-Saint-Mesmin  (Frankreich) bereiten Packerinnen Gläser für den Versand vor.

Auch ihre Jobs waren gefährdet: Packerinnen in dem Duralex-Werk bei Orléans.

Einstellungen statt Kündigungen

Die Mitarbeiter haben den früheren Werksleiter François Marciano zum Direktor gewählt. Der kernige, energiereiche Mann soll die Produktionskosten senken, zum Beispiel durch die Nutzung erneuerbarer Energien, und neue Produkte entwickeln, um den Absatz zu steigern.

Doch da Duralex vorher zu einem anderen Konzern gehörte, gibt es zum Beispiel gar keine Abteilungen für Vertrieb und Vermarktung. Jetzt sucht er Personal: "Durch die Öffentlichkeit, die wir bekommen haben, steigen die Bestellungen. Aber wir müssen überhaupt erst mal Leute einstellen, die sich darum kümmern. Erst wenn es die gibt, können wir mehr verkaufen", erklärt Marciano.

Die Genossenschaft hat zu Beginn Unterstützung von Politik und Behörden bekommen, um die Arbeitsplätze in der Fabrik und bei den Zulieferfirmen zu retten - insgesamt rund zehn Millionen Euro für den Kauf der Anlagen, Gebäude und für Kredite. "Weil uns die Stadt und die Region den Rücken gestärkt hat, und ein bisschen auch die Regierung in Paris, sind wir heute überhaupt noch da. Sonst hätte unser Modell überhaupt nicht funktioniert", erklärt Marciano. 

In der Duralex-Fabrik in in La Chapelle-Saint-Mesmin (Frankreich) fahren Bistro-Gläser an einer Flamme vorbei.

Die Herstellung von Gläsern ist energieintensiv. Auch das hat die Produktionskosten bei Duralex nach oben getrieben.

Kritiker noch überzeugen

Doch noch nicht alle Mitarbeiter sind überzeugt. Eine der beiden Gewerkschaften im Unternehmen sprach sich sogar dagegen aus, weil sie nicht glauben, dass die Genossenschaft die enormen Investitionen schultern kann. Auch Glas-Schmelzer Wilfried Lacube unterstützt das Projekt, ist aber noch etwas vorsichtig: "Ich habe bisher nichts in die Firma investiert. Ich möchte erst mal schauen, wie es läuft. Aber ich glaube, bald wird es so weit sein."

Mit-Initiator El Moussaoui ist überzeugt, dass sie auch die Kritiker auf ihre Seite holen können, wenn der Laden wieder besser läuft: "Es ist Team-Arbeit. Wir können es nur gemeinsam schaffen."

In fünf Jahren will Duralex wieder rentabel sein. Die Mitarbeiter sind auf jeden Fall schon jetzt richtig motiviert.

Diese und weitere Reportagen sehen Sie im Europamagazin - am Sonntag um 12. 45 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 13. Oktober 2024 um 12:45 Uhr in der Sendung "Europamagazin".