Michel Barnier
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Schreckgespenst Staatspleite Ringen um Frankreichs Staatsfinanzen

Stand: 10.10.2024 10:08 Uhr

Die französische Regierung von Premier Barnier will heute den Staatshaushalt für das kommende Jahr vorstellen. Weil die Finanzen zunehmend aus dem Ruder laufen, will er der Nation einen massiven Sparkurs verordnen.

Eine Analyse von Holger Beckmann, ARD-Studio Paris

Es geht um nicht weniger als um Frankreichs finanzielle Stabilität - darüber sind sich viele Ökonomen einig, auch viele französische. Einer von ihnen ist Mathieu Plane vom Pariser Institut für Konjunktur und Wirtschaft, einem der einflussreichen ökonomischen Think-Tanks in Frankreich.

Für Mathieu Plane ist die Sache klar: Frankreich hat in den vergangenen Jahren zu viel Geld ausgegeben, Staatsdefizit und die Staatsverschuldung in immer neue Höhen getrieben - und jetzt, auf einmal merkt man: Das kann auf Dauer nicht funktionieren.

Nur Italien und Griechenland stehen noch schlechter da

Frankreichs Schuldenstand hat inzwischen die 110 Prozent der Wirtschaftsleistung überschritten, in Europa stehen nur Italien und Griechenland noch schlechter da. Das sei beunruhigend, nicht nur für Frankreich. An einem Sparkurs gehe kein Weg vorbei, andernfalls könne das Land zu einem finanziell unberechenbaren Faktor in Europa werden, zum Sorgenfall.

So sieht es offenbar auch Michel Barnier. Frankreichs neuer Regierungschef ist zwar erst seit gut zwei Wochen im Amt, hat aber klar gestellt: Er will das Land wieder auf einen finanziell stabilen Kurs bringen.

Angst vor der Staatspleite

Was ihn und seine Regierung treibt, könnte blanke Angst sein. Etwa davor, dass die Grande Nation ihren in Geld-Dingen bisher weitgehend untadeligen internationalen Ruf verliert, dass internationale Rating-Agenturen Frankreich herab stufen, dass Zweifel an der Kreditwürdigkeit aufkommen, am Ende vielleicht sogar eine Staatspleite droht.

Da werden bei manchen Erinnerungen wach an die Griechenland-Krise. Es gibt heute allerdings einen entscheidenden Unterschied: Frankreich ist die zweitstärkste Wirtschaftskraft in Europa, das europäische Land mit der zweitgrößten Bevölkerung, mit viel Industrie, hochmodernen Dienstleistungs-Unternehmen, Wissenschaft, Forschung und Entwicklung - und eben nicht ein vergleichsweise kleiner Staat wie Griechenland, den man vor vielen Jahren auch nur mit massiven Finanzhilfen und Krediten retten konnte.

Damals schon, es waren die Jahre zwischen 2010 und 2015, kam die Europäische Währungsunion einige Male gefährlich ins Wanken. Nicht auszudenken, wie es wäre, wenn Frankreich in so eine Lage geriete.

Großer Schuldenberg

Doch noch ist davon nicht wirklich die Rede. Das Land sei auch noch lange nicht in der Situation wie Griechenland damals, heißt es beispielsweise von der internationalen französischen Unternehmens-Organisation Business-France. Was den öffentlichen Schuldenberg angeht, sei es aber durchaus vergleichbar mit Italien, weshalb es jetzt als erstes darum gehen müsse, das Land finanziell wieder auf einen finanziell soliden Kurs zu bringen.

Nichts anderes dürfte Barnier im Sinn haben, wenn er heute im Kabinett seine Haushaltspläne vorstellt. Er weiß, dass nicht nur Frankreichs internationales Ansehen auf dem Spiel steht, sondern auch die Stabilität der gesamten Gesellschaft im Land.

Einige Hindernisse

Das eine ist allerdings ist das politische Ziel, das andere Frage, wie man es erreichen kann. Dabei steht Frankreichs Premier unter erheblichem Druck. Die US-Investmentbank Goldman-Sachs beispielsweise weist, schon im Ton vorsichtig, in der Sache unmissverständlich, darauf hin, dass ein zu langsames Tempo bei der finanziellen Stabilisierung Frankreichs die Märkte beunruhigen könnte.

Auf der anderen Seite ist da die starke Opposition in der französischen Nationalversammlung - einerseits von Rechtsaußen mit Marine Le Pen und andererseits von der Neuen Volksfront (NFP) ganz links, mit dabei die Sozialisten und die Grünen. Weder ganz rechts noch im linken Lager will man vom Sparkurs etwas wissen.

Das Problem für Barnier: Seine Regierung hat im Parlament allein keine Mehrheit. Er braucht also die Unterstützung von rechts oder von links, was es ihm schwer machen dürfte, sein Vorhaben ohne Abstriche durchzusetzen.

Ran an die Renten?

Dabei ist es von den reinen Zahlen her durchaus ambitioniert. Barnier will im nächsten französischen Haushalt 40 Milliarden Euro bei den Ausgaben einsparen. Zugleich sollen 20 Milliarden zusätzliche Einnahmen ins Staatssäckel fließen, was die Neuverschuldung insgesamt um 60 Milliarden reduzieren könnte. Klingt nach viel. Allerdings bezahlt Frankreich jährlich knapp 60 Milliarden Euro allein für die Zinsen des öffentlichen Schuldenberges, dann klingt es schon wieder nach nicht mehr so viel.

Bei den Einnahmen will Barnier Steuern für Gutverdiener und große Unternehmen mit hohen Profiten erhöhen, Sozialabgaben steigen lassen und die Steuer auf elektrische Energie verdoppeln. Bei den Ausgaben sollen unter anderem die Rentenerhöhungen zumindest für eine Weile wegfallen, man spricht vom "Einfrieren" der Renten.

Gerade gegen letzteres laufen große Teile der Gesellschaft regelrecht Sturm, Marine Le Pen mit ihrem Rassemblement National von rechts ohnehin, die Neue Volksfront kaum anders und sogar der frühere französische Premier Attal - Mitglied der liberalen Partei von Präsident Emanuel Macron verlangt, dass die Renten nicht angetastet werden.

In Frankreich ist die Altersversorgung, der immer noch vergleichsweise frühe Renteneintritt und das relativ hohe Rentenniveau ein politisch hochsensibles Thema. Vor gut anderthalb Jahren hatte Präsident Macron mit seiner Reform des Systems große Teile der Gesellschaft gegen sich aufgebracht.

Holger Beckmann, ARD Brüssel, zzt. Paris, tagesschau, 09.10.2024 19:33 Uhr