Ein Gardist schließt die Tür des Eingangs des Hotel De Matignon, der offiziellen Residenz des französischen Premierministers in Paris.

Neue französische Regierung Frankreichs fragile Mitte-Rechts-Allianz

Stand: 22.09.2024 02:35 Uhr

Nach einer wochenlangen Hängepartie hat Frankreich eine neue Regierung: ein Mitte-Rechts-Bündnis. Die Verhandlungen über den Haushalt für das kommende Jahr werden ab Oktober das erste Großprojekt des neuen Premiers Barnier

Die neue Regierung hat knapp 40 Mitglieder, 19 von ihnen sind vollberechtigte Minister. Das heißt, sie sind keinem anderen Ministerium unterstellt. Der Löwenanteil dieser Schlüsselposten geht an das Präsidentenlager. Präsident Emmanuel Macron kann damit den Verlust an Einfluss nach den Parlamentswahlen durch die Anzahl der Minister zumindest teilweise auffangen. 

Trotzdem ist der Einfluss der Konservativen Les Républicains (LR) beträchtlich. Sie besetzen unter anderem die Ressorts Innen, Landwirtschaft sowie Höhere Bildung und Forschung. Damit sind sie im Verhältnis zur Anzahl ihrer Sitze in der Nationalversammlung überrepräsentiert.

Politische Ausrichtung: deutlich rechts-konservativ

Das neue Exekutiv-Team ist der endgültige Beleg dafür, dass sich die zweite Amtszeit von Präsident Emmanuel Macron politisch deutlich nach rechts orientiert. Das hatte sich auch vorher schon an politischen Projekten wie etwa dem neuen Einwanderungsgesetz gezeigt - nun spiegelt sich diese politische Evolution auch in der Zusammensetzung des Kabinetts.

Dafür steht besonders der neue Innenminister Bruno Retailleau. Retailleau war vorher Chef der Konservativen Républicains im Senat, dem Oberhaus des Parlaments. Er gilt in der Sicherheits- und Einwanderungspolitik als Hardliner, zudem als entschieden wertkonservativ. Seine Beteiligung an der Regierung habe Retailleau an eine Bedingung geknüpft, schreibt die Nachrichtenagentur AFP. Nämlich, dass deren Zusammensetzung eher einer "cohabitation" als einer Koalition entspricht, also eine gewisse Opposition zum Präsidenten darstellt.

Insofern dürfte die neue Regierung auch das definitive Ende von Emmanuel Macrons "en même temps" bedeuten - dem selbstgewählten Leitmotiv seiner Politik, mit dem der Präsident seit 2017 versucht, konträre politische Ziele gleichzeitig zu verfolgen und umzusetzen.  

Fragile Allianz und Krise des politischen Systems

Das Präsidentenlager und die Konservativen Républicains haben zusammen 213 der insgesamt 577 Sitze in der Nationalversammlung - alles andere als eine komfortable Mehrheit. Noch dazu sind mit dieser Allianz nun zwei Kräfte in Regierungsverantwortung, die bei den Wahlen viele Mandate verloren hatten. Das Linksbündnis Nouveau Front Populaire dagegen war als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgegangen, was sich in weiten Teilen aus den Eigenheiten des Wahlrechts erklärt.

Schaut man sich dagegen die reinen Stimmenanteile an, die die unterschiedlichen politischen Kräfte in der zweiten Runde der Parlamentswahlen geholt hatten, dann hat eine große Mehrheit der Menschen in Frankreich Parteien der Mitte oder rechts, beziehungsweise weit rechts davon gewählt. Das wirft grundsätzliche Fragen auf: darüber nämlich, inwieweit sich Wahlergebnisse in der Zusammensetzung von Parlament und Regierung widerspiegeln. Und ob Frankreichs politisches System noch für Repräsentativität sorgt.

Fakt ist: Die Zusammensetzung der Regierung spiegelt nicht die Kräfteverhältnisse im Parlament wieder. Das wirft die Frage auf, wie stabil die Regierung Barnier sein kann. Zumal auch in Macrons eigenen Reihen längst nicht alle glücklich über die starke Rolle der Républicains sind. Die Zusammensetzung der Regierung verstärkt also auch die Fliehkräfte innerhalb des Präsidentenlagers - was für zusätzliche Instabilität sorgen könnte. 

Eine Regierung "unter Beobachtung"?

Bleibt die Frage nach der Rolle des rechtsnationalen Rassemblement National, der - betrachtet man die Parteien einzeln – die größte Fraktion in der Nationalversammlung stellt. Der RN hatte die Ernennung von Michel Barnier zum Premierminister überhaupt möglich gemacht. Nämlich indem die Partei um Marine Le Pen vorerst kein Misstrauensvotum gegen Barnier anstrengen oder unterstützen will.

Der RN sieht Barnier als politischen Gegner, will ihm aber "eine Chance geben", vor allem bei den Themen Sicherheit und Immigration für eine politische Trendwende zu sorgen. Solange Barniers Politik im Sinne des RN ist, bleiben Misstrauensvoten also unwahrscheinlich. Damit entscheidet aber auch der RN über den Zeitpunkt, an dem es für Barnier und seine Regierung eng werden könnte. 

Allerdings kann der Rassemblement National allein die Regierung nicht zu Fall bringen. Dazu wäre die Unterstützung zumindest eines Teils des Linksbündnisses nötig. Und: Der RN hat kein allzu großes Interesse daran, für noch mehr Unruhe und Chaos zu sorgen - versucht die Partei doch, sich weiterhin als konstruktive Opposition zu präsentieren.

Feuertaufe Budget-Debatte

Ab Oktober steht im Parlament die Debatte über den Haushalt für 2025 an. Es ist Barniers erstes Großprojekt - und angesichts der finanziellen Lage Frankreichs kommt es einer Herkulesaufgabe gleich, für die hauptsächlich das neue Minister-Duo Antoine Armand (Wirtschaft und Finanzen) und Laurent Saint-Martin (Budget) verantwortlich ist. 

Die Staatsverschuldung liegt aktuell bei rund 110 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Das Haushaltsdefizit für das laufende Jahr könnte 6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreichen, schreibt die Zeitung Les Echos - Ziel der Regierung waren 5,1 Prozent. Um diese Quote im kommenden Jahr wieder zu erreichen, müsste die neue Regierung laut Les Echos zwischen 40 und 50 Milliarden Euro an Einnahmen generieren oder diesen Betrag sparen. 

Die finanzielle Situation dürfte den Handlungsspielraum der neuen Regierung bedeutend einengen und für zusätzliche politische Spannungen sorgen.