EU-Gipfel Ein heikles Thema und wieder eine Blockade
Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs und -chefinnen suchen in Brüssel nach einem gemeinsamen Nenner bei der Migration und sagen Kiew weitere Hilfe zu - gegen den Widerstand Ungarns. Ein Überblick über die wichtigsten Themen.
Praktisch bei jedem Gipfel der vergangenen Monate haben die 27 EU-Staats- und Regierungschefs und -chefinnen darüber diskutiert, Zuwanderung zu begrenzen und abgelehnte Asylbewerber zurückzuschicken. Das wird auch dieses Treffen in Brüssel prägen.
Der vor einem halben Jahr beschlossene EU-Asylpakt hat die Debatte nicht beendet. Vor dem Hintergrund zwischenzeitlich steigender Flüchtlingszahlen und angesichts des Erstarkens rechtspopulistischer Parteien verlangen viele Regierungen, Maßnahmen vorzuziehen oder über die vereinbarten Regelungen hinauszugehen. Einige wollen sie gar nicht anwenden.
Unterschiedliche Ansätze
So möchte Polens Regierung das Asylrecht vorübergehend aussetzen und verweist dabei auf Belarus und Russland, die nach Warschaus Angaben gezielt Migranten ins Land schleusen. Finnland hat im Juli seine Grenzen für Migranten aus Russland geschlossen. Die niederländische Rechtsaußen-Regierung hat beantragt, ganz aus den EU-Asylregeln auszusteigen. Ungarn verlangt in Brüssel ebenfalls ein sogenanntes opt-out.
Die Bundesregierung hat nach dem islamistischen Messer-Anschlag von Solingen vor acht Wochen Kontrollen an den Grenzen zu den EU-Nachbarn eingeführt, was einige von ihnen kritisieren. Berlin macht Druck auf Italien und Griechenland, Menschen zurückzunehmen, die dort erstmals in die EU eingereist, dann aber nach Deutschland weitergezogen sind.
Strengere Abschieberegeln
Es gibt also viel Bewegung in der EU-Migrationspolitik, die aber nicht immer in eine Richtung zielt. Eine gemeinsame Linie zeichnet sich bei der Forderung nach strengeren Abschieberegeln ab. Die meisten Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, verlangen von der EU-Kommission, mehr Druck auf Regierungen auszuüben, die Landsleute nicht zurücknehmen wollen.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat reagiert: In einem Brief an die 27 EU-Staaten spricht sie sich für einen neuen Rechtsrahmen aus, um die Handlungsfähigkeit der EU zu verbessern. Nur etwa ein Fünftel der ausreisepflichtigen Drittstaatsangehörigen sei tatsächlich zurückgekehrt. Von der Leyen plädiert dafür, Verfahren der Mitgliedstaaten anzugleichen, damit Migranten ohne Bleiberecht nicht Lücken im System ausnutzen könnten.
Frühere Versuche, die Rückführungsregeln zu verschärfen, sind im EU-Parlament gescheitert. Aber nach der Europawahl vom Juni sind Fraktionen rechts von der Mitte, die Änderungen aufgeschlossen gegenüberstehen, stärker geworden.
Vorbild Italien?
Nach Ansicht der Kommissionschefin sollte die Gemeinschaft die Einrichtung von Rückführungszentren außerhalb der EU prüfen. Sie verweist dabei auf die Zusammenarbeit zwischen Italien und Albanien. Das Westbalkan-Land bearbeitet in zwei Aufnahmezentren Asylanträge von Migranten, die italienische Behörden im Mittelmeer aufgegriffen haben.
Auch das "Ruanda-Modell" wird diskutiert, also die Auslagerung von Asylverfahren nach Afrika. Wie das praktisch funktionieren könnte und auf welcher rechtlichen Grundlage, ist offen. Partnerstaaten sind bisher nicht in Sicht.
Von der Leyen verweist auf Erfolge der EU-Vereinbarungen mit Tunesien und Libyen: Danach sind im laufenden Jahr zwei Drittel weniger Menschen über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa gelangt. Die EU strebe auch mit Senegal und Mali engere Zusammenarbeit an.
Migration ist beim Gipfel nach den Worten eines EU-Diplomaten "das wohl heikelste Thema". Ob sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu auf einen Text in der Abschlusserklärung verständigen können, ist ungewiss.
Ukraine-Hilfe trotz Ungarns Blockade
Auch dieser EU-Gipfel diskutiert die Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Präsident Wolodymyr Selenskyj soll in Brüssel seinen "Siegesplan" vorstellen. Er kann die Zusage über ein Darlehen von 35 Milliarden Euro mitnehmen, das die EU vergangene Woche beschlossen hat - der europäische Beitrag zum Hilfspaket der wirtschaftsstarken Demokratien, G7, das insgesamt 45 Milliarden Euro umfasst.
Der Kredit soll mit Zinserträgen aus eingefrorenem Vermögen der russischen Zentralbank zurückgezahlt werden. Allerdings sperrt sich Ungarn gegen eine Lösung, die eine längerfristige und sichere Nutzung der Zinsgewinne gewährleisten würde und blockiert so eine Beteiligung der USA.
Denn Washington will sicherstellen, dass die für die Rückzahlung der Darlehen vorgesehenen russischen Gelder auch wirklich eingefroren bleiben und fordert die EU auf, die Russland-Sanktionen nicht mehr alle sechs Monate zu verlängern, sondern diesen Zeitraum auf drei Jahre auszudehnen.
Aber der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban will sich erst nach der US-Präsidentschaftswahl in drei Wochen festlegen. Falls der Orban-Freund Donald Trump die Wahl gewinnt, könnte er die Ukrainehilfe drastisch zusammenstreichen.
Eskalation in Nahost
Gut ein Jahr nach dem Hamas-Überfall auf Israel wird sich der Gipfel auch mit der sich zuspitzenden Lage im Nahen Osten befassen. Dabei tut sich die EU schwer, einen einheitlichen Standpunkt zu finden. Einige Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, stellen Israels Recht auf Selbstverteidigung in den Vordergrund, andere wie Spanien und Irland betonen stärker die humanitären Belange der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen.
Anfang der Woche haben die EU-Staaten israelische Angriffe auf Posten der UN-Beobachtungsmission im Libanon (UNIFIL) verurteilt, bei denen mehrere Blauhelmsoldaten verwundet wurden.