Erste Migranten angekommen Italiens Asyl-Experiment in Albanien beginnt
Im Schnellverfahren außerhalb der EU will Italien in Flüchtlingslagern in Albanien Asylanträge bearbeiten. Nun sind dort die ersten 16 Männer angekommen. Andere EU-Länder schauen interessiert zu.
Der kleine Hafen von Shengjin: Das ist Albanien, nördlich der Hauptstadt Tirana, an der Adriaküste. Das neue Asyl-Aufnahmezentrum, wenige Meter entfernt vom Rand des Hafenbeckens Shengjin: Das ist Italien. Exterritoriales Gebiet auf albanischem Grund. Bewacht von albanischem Personal, betrieben von italienischen Behörden.
So haben es Giorgia Meloni und Edi Rama vereinbart. Meloni, Italiens Ministerpräsidentin, Vorsitzende der rechten postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia und Rama, Albaniens Ministerpräsident und Vorsitzender der linken Sozialistischen Partei Albaniens. In aller Freundschaft, die auch beide Länder verbindet. Der "Apéro-Pakt", wie ihn Kritiker nennen. "Apéro", weil bei einem Besuch Giorgia Melonis in Edi Ramas Sommerresidenz vereinbart, letztes Jahr.
Ausgelagertes Asylverfahren
Das Projekt: Asylverfahren aus Italien in ein sicheres Drittland, Albanien, auszulagern. Und dafür ein Asylzentrum zu bauen, in Nähe der albanischen Küste, für bis zu 3.000 Asylsuchende. Das ist viel kritisiert worden. In letzter Zeit aber wird das, was Italien da in Albanien macht, zunehmend neugierig beobachtet, auch von den Staats- und Regierungschefs der EU-Partnerländer Italiens.
Der Stresstest beginnt gerade rechtzeitig, kurz vor dem EU-Migrationsgipfel in Brüssel. Mit den ersten 16 Asylsuchenden, aufgefischt von der italienischen Küstenwache in internationalen Gewässern, südlich der italienischen Insel Lampedusa. Hätten sie es in italienisches Hoheitsgewässer geschafft, dürften sie nicht nach Albanien gebracht werden. Aber so nahm das italienische Marineschiff "Libra" mit den 16 Migranten Kurs auf den albanischen Hafen Shengjin. Eine 8.000-Einwohner-Stadt, die auch vom Tourismus lebt, den Sandstränden, der Lagune - und dem Naturschutzgebiet im Süden, immer der Adria-Küste entlang.
Willkommen in "Italien"
Aber so weit kommt die kleine Gruppe Männer aus Bangladesch und Ägypten nicht. Ihre Reise, auf den letzten Metern begleitet von italienischen Polizisten, endet im italienischen Aufnahmezentrum, gleich im Hafen von Shengjin, der erste sogenannte Asyl-"Hotspot".
Hier werden die Asylsuchenden identifiziert, registriert, von Ärzten untersucht - und dann geht es weiter, im italienischen Polizeibus, eine halbe Autostunde, nach Gjadër - einem kleinen Dorf vor Karsthügeln, fast verlassen. Vor allem Rentner leben hier. Es gibt ein Café, einen kleinen Laden. Verlassen war lange Zeit auch der kleine albanische Militärflughafen.
Jetzt steht da das neue italienische Asylzentrum. Gjadër ist Station Zwei nach den Aufnahmeformalitäten im "Hotspot" am Hafen von Shengjin. Ein sechs Meter hoher Blechzaun, doppelstöckige Wohncontainer, auf Teilen des Geländes noch Baumaschinen. Platz für 3.000 Asylbewerber kann hier entstehen, zum Start sei das Lager erstmal bereit für 880 Menschen. Colonel Agostino Piccirillo öffnet die Tür eines der neuen Wohncontainer: Buongiorno - in "Italien".
Ein italienisches Experiment
Ein Container für vier Personen. Vier Metallbetten, mit demonstrativ deutlich sichtbaren Aufklebern: "made in Italy". Das ganze Zentrum ist aufgeteilt in drei Bereiche. Den größten für die, die einen Asylantrag gestellt haben und auf Antwort warten. Die soll es nach längstens vier Wochen geben, eine Berufungschance schon eingeschlossen. Etwas kleiner: ein Abschiebezentrum, für die abgelehnten Asylbewerber, die Italien gar nicht erst betreten sollen. Und 20 Gefängnisplätze für mögliche Straftäter. Alles hinter Zäunen, mit vielen Überwachungskameras. Mitarbeitende des UNO-Flüchtlingswerks UNHCR sollen Zugang haben, die Verfahren beobachten dürfen.
Das ganze Zentrum ist ein italienisches Experiment, "ein historisches, innovatives Abkommen" mit Albanien, "über den Umgang mit Migranten", sagt Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Ein Freundschaftsdienst, "payback alter Schulden", als Italien die vielen Flüchtlinge aus Albanien aufnahm, sagt Albaniens Regierungschef Edi Rama, auf Italienisch - das sprechen viele in Albanien. Ein "innovativer Weg zur Bekämpfung illegaler Migration", nennt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das "Modell Italien-Albanien".
Export der Asylverfahren - nach Regeln der EU
Italien spielt durch, was Regierungen anderer EU-Ländern angedacht haben: Export der Asylverfahren in ein Land außerhalb der EU. Aber nach den Regeln der EU, wie Fabrizio Bucci erklärt, der italienische Botschafter in Albanien. Er ist nach Gjadër gekommen, Wochen vor Betriebsbeginn, um für das "Experiment" zu werben, vor allem, um Bedenken zu zerstreuen: "Also innerhalb der Zentren gilt die italienische Gesetzgebung. Es wird italienisches Personal geben: Polizisten, Beamte des Innenministeriums, des Justizministeriums. Hier werden die Regeln angewendet, die auch in Migrantenzentren in Italien angewendet werden."
Das exterritoriale Asylzentrum wird von Italien gebaut, finanziert, organisiert. Geld an Albanien für die Genehmigung, das Asylzentrum bauen zu dürfen, soll nicht geflossen sein, nur eine Aufwandsentschädigung von rund 16 Millionen Euro im Jahr soll fließen, bei geschätzten Gesamtkosten von bis zu 850 Millionen für das ganze Projekt - zu zahlen von Italien.
"Wie Vögel im Käfig"
Im Küsten- und Urlaubsort Shengjin gibt es vereinzelt Protest. Im Dorf Gjadër, in dem man fast nur alte Männer auf der Straße trifft, haben sie kaum ein Problem mit dem neuen Asylzentrum. Der Mann mit dem kleinen Laden freut sich: "Wir profitieren jetzt schon, seit Baubeginn. Wissen Sie, das Dorf hat mit Abwanderung zu kämpfen. Allein schon mit den Bauarbeitern ist es anders geworden und wenn die Migranten kommen, wird noch mehr los sein."
Lebensmittel, versprechen die italienischen Behörden, sollen vor allem in der Gegend eingekauft werden. Ein paar Arbeitsplätze für Nicht-Italiener wird es auch geben. Angst vor den Flüchtlingen, alles eher junge Männer aus als sicher betrachteten Fluchtländern? Haben sie hier auch nicht. Albaner sind nicht ängstlich, sagen sie im Café. Und überhaupt, wie sollen die Flüchtlinge über den Zaun kommen, fragt einer: "Nur wenn sie 6 Meter hoch fliegen, dann ja. Aber die haben keine Chancen rauszukommen. Die sind da drin wie Vögel im Käfig."