Innenministerin Faeser und Außenministerin Baerbock besuchen das türkische Erdbebengebiet.
Reportage

Baerbock und Faeser in der Türkei Zwischen Schutt und Visa-Frust

Stand: 22.02.2023 02:18 Uhr

Außenministerin Baerbock und Innenministerin Faeser haben im türkischen Erdbebengebiet weitere Hilfe versprochen. Gleichzeitig wurde deutlich, wie kompliziert die Unterstützung mit Visa ist.

Von Uli Hauck und Kerstin Palzer, ARD-Hauptstadtstudio

Diesmal also eine Reise ohne protokollarische Hürden, ohne die sonst üblichen Treffen mit den türkischen Außen- und Innenministern. Selbst den türkischen Präsidenten Erdogan, der ebenfalls in der Erdbebenregion Gaziantep war, verpassen die Ministerinnen - ob gewollt oder nicht - beim Abflug am Flughafen um Haaresbreite.

Das sei abgesprochen, dass die Reise kein regulärer Staatsbesuch sein sollte, heißt es von deutscher Seite. Die türkischen Politiker hätten zwei Wochen nach dem Jahrhundertbeben wichtigere Dinge zu regeln. Und um nicht im Weg zu stehen, habe man den Besuch eben auch erst jetzt und ohne Politbegleitung gemacht. 

Und so fällt der Empfang der Ministerinnen diesmal eine Nummer kleiner aus. Statt rotem Teppich ging es in Jeans, Turnschuhen und Stiefeln ins Erdbebengebiet.  

Dass Außen- und Innenministerin gemeinsam reisen, ist, wenn nicht ein Novum, dann zumindest eine Seltenheit. Es soll zeigen, dass beide Ministerien zusammenarbeiten, um die Not zu lindern.  

Baerbock und Faeser sagen bei Besuch in türkischem Erdbebengebiet zusätzliche Hilfen zu

Katharina Willinger, ARD Istanbul, tagesschau, tagesschau, 21.02.2023 20:00 Uhr

Tonnenweise Hilfsgüter

Der erste Termin findet direkt auf dem Rollfeld statt. In Laufweite der Regierungsmaschine wird passenderweise gerade eine A400M der Luftwaffe ausgeladen. Die Ministerinnen sind froh, dass anders als bei früheren Naturkatastrophen keine Frachtflugzeuge gechartert werden mussten. Baerbock und Faeser lassen den deutsch-türkischen Pressetross hinter sich und verschwinden in der riesigen, grauen Heckklappe. Sie wollen sich über die Verteilung der Hilfsgüter informieren.   

Nach zwei Wochen hat das technische Hilfswerk alle Zelte, die in Deutschland eingelagert waren, in die Türkei gebracht. Denn insbesondere die Unterbringung der Menschen bei Nachttemperaturen von bis zu minus acht Grad ist weiterhin das größte Problem - auch in Nordsyrien.

Doch das THW liefert die Hilfsgüter nur bis zur türkisch-syrischen Grenze. Was wirklich bei den Bedürftigen ankommt, weiß man nicht so genau. Die Bundesregierung stellt trotzdem weitere 17 Millionen Euro für Hilfe zur Verfügung. Sie vertraut darauf, dass UN und Nichtregierungsorganisationen die Hilfsgüter verteilen. Direkte Überweisungen an das Assad-Regime gibt es nicht. 

Bund will bei der Traumabewältigung helfen

Nach 20 Minuten auf dem Rollfeld geht es dann doch in die Staatskarosse, und im Konvoi geht es ins am schwersten vom Beben getroffenen Gebiet. Dort ist das Gedränge bei der Ankunft groß, als die beiden deutschen Ministerinnen das Camp der Erdbebenopfer erreichen. Nach Angaben des türkischen Katastrophenschutzes leben hier 1700 Menschen, darunter 250 Kinder. Es ist eine von mehreren Zeltstädten in der Region, angelegt in einen Park.

Annalena Baerbock geht in die Hocke, stellt sich und Innenministerin Faeser einem kleinen Jungen und einem kleinen Mädchen vor. Doch die Kinder sind angesichts des Trubels und der Erfahrungen sehr schüchtern. Später, bei ihrem offiziellen Statement, erzählt sie von zwei Brüdern, die Barfuß und im Schlafanzug aus ihrem verschütteten Haus fliehen mussten. Baerbock will die große Katastrophe runterbrechen, so erfahrbar machen. 

Die beiden Ministerinnen sind extra nicht zu früh ins Erdbebengebiet gereist, wollten den Ersthelfern nicht im Weg stehen. Aber sie wissen, der Wiederaufbau wird Jahre dauern, auch der psychologische. Denn viele Menschen sind schwer traumatisiert. Die Bundesregierung will ihnen eine vorübergehende Erholungsmöglichkeit geben, bei nächsten Verwandten in Deutschland. Doch die nötigen Visa zu beantragen ist schwierig, wenn die Reisepässe im meterhohen Schutt verloren gegangen sind. 

Kerstin Palzer, ARD Berlin, zzt. Gaziantep, zur Lage im Katastrophengebiet

tagesschau24 18:00 Uhr

Die Visa-Problematik

Die Stadt Gaziantep mit gut zwei Millionen Einwohnern ist ebenfalls vom Erdbeben betroffen. In den letzten Tagen hat man erst mal prüfen müssen, ob das Visa-Zentrum in einem modernen Geschäftshaus keine Schäden abbekommen hat. Jetzt wird hier wieder gearbeitet. Und die beiden Ministerinnen verkünden stolz, dass man in den letzten Tagen immerhin etwa 120 Visa erteilt hat.

Damit sollen Erdbeben-Opfer zu ihren Familien nach Deutschland reisen dürfen. In Deutschland leben rund drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Einer davon ist Sadam Köskeroglu. Er steht mit seinem Vater auf der Straße vor dem Visa-Zentrum von Gaziantep. Seine Familie stammt aus einem kleinen Dorf bei Antakia. Der Vater ist herzkrank und hat sich nach dem Erdbeben an Hand und Arm verletzt. Überall waren ja Scherben und es gab keinen Strom, um Licht machen zu können.

Sadam Köskeroglu ist 28 Stunden mit seinem Auto von Ulm bis ins Erdbebengebiet gefahren. Doch jetzt stellt sich heraus, dass mit den Unterlagen, die seine Eltern noch haben, sie nur ein Not-Visum für Deutschland bekommen können. Das dreimonatige Visum für den gesamten Schengen-Raum kann man ihnen hier heute nicht ausstellen.

Eine Fahrt mit dem Auto ihres Sohnes durch andere EU-Länder bis nach Ulm wäre ihnen also nicht erlaubt. Nun überlegt die Familie, ob sie das zusätzliche Geld für einen Flug nach Deutschland aufbringt oder versucht, weitere Unterlagen zusammenzusuchen. "Ich verstehe nicht, warum man es uns so schwer macht", sagt Sadam Köskeroglu. "Meine Eltern wollen nur etwas ausruhen und Abstand von der Zerstörung bekommen. Deutschland ist toll und sozial, aber dort bleiben, das wollen mein Vater und meine Mutter gar nicht. Ihre Heimat ist ja hier in der Türkei."

Notwendige Dokumente fehlen oft

Die beiden deutschen Ministerinnen dagegen wollen Optimismus verbreiten. Die deutschen Behörden sollen die türkischen Visumsanträge jetzt vordringlich behandeln. Bleiben soll allerdings die Pflicht, einen gültigen Reisepass und ein biometrisches Foto vorzeigen zu müssen, wenn man ein Visum beantragen will.

Doch das ist bereits ein Problem, denn die meisten Menschen in der Türkei verfügen über gar keinen Reisepass, und die Erdbebenopfer haben oft alle ihre Unterlagen in den zerstörten Häusern verloren. Gefragt, warum sie als deutsche Innenministerin an der Reisepass-Pflicht festhält, sagt Faeser: "Ich bin für die Sicherheit in Deutschland verantwortlich. Ich muss auch die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen treffen, damit die Überprüfungen auch erfolgen können."

Viele türkische Menschen kommen daher lieber bei Verwandten oder Freunden in der Türkei unter. Für Sedam Köskeroglu ist das Verfahren frustrierend kompliziert. Und noch ist völlig unklar, ob der Kurzbesuch der beiden Ministerinnen im Erdbebengebiet daran etwas ändern wird. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 21. Februar 2023 um 20:00 Uhr.