Zusammenleben der Religionen Religiöse Harmonie à la Singapur
Zum Abschluss seiner Asienreise schwärmt der Papst von der religiösen Harmonie in Singapur. Tatsächlich leben im Stadtstaat zahlreiche Religionen weitgehend friedlich nebeneinander. Wie gelingt das?
Eine katholische Kirche, ein buddhistischer Tempel, eine Moschee: Wer durch Singapur spaziert, läuft auf wenigen hundert Metern häufig an mehreren Gotteshäusern vorbei. Diese stehen nicht nur baulich in einer Nachbarschaft, sondern die Gläubigen treffen sich, diskutieren, feiern und essen zusammen.
Für Papst Franziskus ist der südostasiatische Stadtstaat damit ein leuchtendes Beispiel. "Singapur ist ein Mosaik von Ethnien, Kulturen und Religionen, die in Harmonie zusammenleben", sagte der Pontifex am Donnerstag in seiner Ansprache vor Politikern und Vertretern der Zivilgesellschaft im Auditorium der Nationaluniversität von Singapur. Die Regierung führe einen konstruktiven Dialog mit allen und verhindere so, dass Extremismus und Intoleranz wachsen.
"Vielfalt als Bereicherung"
Singapurs Präsident Tharman Shanmugaratnam greift das Thema in seiner Ansprache am Donnerstag ebenfalls auf. Vielfalt werde in Singapur toleriert, aber noch mehr als das. "Sie wird begrüßt und als Bereicherung angesehen. Sie definiert unsere Identität als Nation und macht uns stolz, Singapurer zu sein."
Dieser religiöse Frieden sei nicht von selbst entstanden. Daran habe Singapur über Jahrzehnte hart gearbeitet. In der Vergangenheit sei es auch in Singapur zu Spannungen gekommen. "Für uns sind Solidarität und Harmonie daher von zentraler Bedeutung."
Zusammen leben, zusammen feiern
Wie diese religiöse Harmonie im Alltag aussieht, zeigt sich im Stadtteil Kampong Glam. Ein Viertel, in dem besonders viele muslimische Gläubige mit malaysischen Wurzeln wohnen. Im Mittelpunkt: die imposante Sultan Moschee. Mohamed Qusairy ist hier der Manager. "Zum Ramadan hatten wir gerade eine besondere interreligiöse Veranstaltung. Jeder von uns hat seine nicht-muslimischen Freunde zu einer Moscheebesichtigung eingeladen. Und sie haben auch beim Fastenbrechen mitgemacht."
Pater Holger Adler, Pfarrer für die deutschsprachigen Katholiken in Singapur, lebt erst seit Kurzem im Stadtstaat, in dem es heute 22 katholische Pfarreien auf einer Fläche so groß wie Hamburg gibt. Das Zusammenleben der Religionen erlebt er als friedlich. Aber findet da wirklich ein interreligiöser Dialog statt? "Oder schaut man sich das an und geht wieder nach Hause?", fragt er sich. Das wird sich für ihn noch zeigen müssen.
Gemeinsamkeiten hervorheben, Unterschiede verstehen
Gegenüber der Sultan Moschee betreibt Hazmi Zin ein Restaurant mit traditionellen indonesischen Speisen wie Nasi Padang. Auch Hazmi erlebt das Zusammenleben der Religionen in Singapur als sehr harmonisch. Und er als gebürtiger Singapurer erklärt: "Weil wir zusammen aufgewachsen sind, verstehen wir ihre Kultur. Ich habe zum Beispiel christliche Freunde, aber auch buddhistische."
Singapur ist ein multikulturelles und multireligiöses Land. Die Mehrheit der Bevölkerung - etwa 30 Prozent - sind Buddhisten. Gefolgt von Christen und Muslimen. Es gibt aber auch Daoisten, Hinduisten und Juden.
Ratianah Tahir und ihre Tochter sind Muslime. Sie betreiben einen Shop mit traditioneller Kleidung, dem Kebaya, einer eleganten Bluse, die indonesische, malaiische und singapurische Frauen zu einem Sarong, also einem Rock, tragen.
"Wir feiern unsere Gemeinsamkeiten, statt unsere Unterschiede hervorzuheben. Gleichzeitig wollen wir unsere Unterschiede verstehen", erklärt Tochter Putri. Ihre Mutter nickt: "Ja, wir konzentrieren uns auf das, was uns eint, nicht, was uns trennt."
Normalität statt Zwang
So feiern Singapurer auch landesweit und über Religionsgrenzen hinweg die wichtigsten Feiertage jeder großen Religion. Frei an Weihnachten, aber auch zum hinduistischen Lichterfest oder dem buddhistischen Mondfest - das ist in Singapur ganz normal.
Für den Hindu Sengkuttuvan ist das mit das Geheimnis hinter Singapurs religiösem Frieden. "Religion ist eine sehr persönliche Sache. Aber wenn es um Kultur geht, macht man einfach mit, tanzt, feiert und isst gemeinsam." Man verbinde die andere Religion mit einem freudigen Festtag.
Mit der Moschee nebenan teilen sie bei großen Festen Stühle und Räumlichkeiten und dürfen dort kochen. Wenn es ein hinduistisches Fest sei, stände Hazmi im Mittelpunkt, berichtet er. Wenn es zum Beispiel ein muslimisches Fest sei, feiere er mit, aber seine Freunde seien im Mittelpunkt. Niemand werde dazu gezwungen, das sei einfach normal.
"Gesetz zur Wahrung des religiösen Friedens"
Doch das war nicht immer so. In den 1960er-Jahren gab es massive Zusammenstöße zwischen chinesischen und malaysischen Bevölkerungsgruppen in Singapur. "Darum wurden wir gegründet", erzählt Yusoff Ali, Vertreter eines sogenannten "Harmony Circles". Davon gibt es 93 in ganz Singapur, gefördert von der Regierung. Er und sein Team sollen Gesprächsrunden und Besuche anderer Gotteshäuser organisieren, das Verständnis zwischen den Kulturen und Religionen fördern. "Ich denke, die Regierung spielt hier eine wichtige Rolle. Sie fördert das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien, Regionen und Glaubensrichtungen."
Die Religionsfreiheit ist in der Verfassung verankert. Zudem gibt es seit 1990 das "Gesetz zur Wahrung des religiösen Friedens". Die Regierung toleriert keine Äußerungen oder Handlungen, die ihrer Ansicht nach die Harmonie zwischen den Religionen negativ beeinflussen könnten.
So wurden etwa kürzlich Demonstrationen zum Krieg in Nahost verboten. Gleichzeitig fördert die Regierung, dass Familien mit unterschiedlichen Nationalitäten und Glaubensrichtungen eng zusammenleben. Im öffentlich geförderten Wohnraum, in dem 80 Prozent der Singapurer leben, gibt es feste Quoten für die Nationalitäten.
Wenn ein neues Baugebiet entsteht, wird der Platz für verschiedene Gotteshäuser direkt mit geplant, erklärt das Kulturministerium. So gebe es immer eine Moschee, einen chinesischen Tempel und eine Kirche: geplante religiöse Harmonie à la Singapur.