Baerbock in China Antrittsbesuch ohne Lautsprecher
Es ist der erste Besuch von Außenministerin Baerbock in China - und es dürfte eine der heikelsten Reisen ihrer bisherigen Amtszeit sein. Denn schwierige Themen gibt es zuhauf.
In einem kann sich Annalena Baerbock sicher sein: Bei ihrer ersten Chinareise als Außenministerin wird jeder Schritt, vor allem aber jedes Wort, genau verfolgt - nicht nur im Gastland. Der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul, der in der Delegation mitreist, fordert deutliche Worte, aber auch Geschlossenheit innerhalb der Bundesregierung. Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio kritisiert er, Auswärtiges Amt und Kanzler sängen nicht von einem Blatt.
"Der Bundeskanzler und die Außenministerin haben zum jetzigen Zeitpunkt verschiedene Notenblätter, das ist schlecht für Deutschland und auch schlecht für Europa", so Wadephul. Immer wieder war in den vergangenen Monaten der Eindruck entstanden, Baerbock und Scholz würden beim Umgang mit China für unterschiedliche Schärfegrade stehen.
Auch die europäische Geschlossenheit steht auf dem Prüfstand. Die Reise der Außenministerin kommt nur eine Woche, nachdem der französische Präsident Macron nach seinem Pekingbesuch mit Äußerungen zu Taiwan für Irritation in der Europäischen Union gesorgt hatte. Nicht wenige verstanden Macron so, dass sich die EU im Fall eines militärischen Konflikts zwischen China und Taiwan heraushalten und Taiwan nicht unterstützen sollte.
"Risiken systematisch in den Blick nehmen"
Erst am Montag hatte die chinesische Armee ein dreitägiges Großmanöver in der Nähe der demokratischen Inselrepublik Taiwan offiziell beendet. Baerbocks Gastgeber dürften genau hinhören, wie geschlossen Europa sich gegenüber China präsentiert und Streit womöglich als Schwäche interpretieren. "Alles, was es da an Spaltpilzen gibt, wird von China ausgenutzt werden", sagt CDU-Politiker Wadephul.
Zwei Tage ist Baerbock im Land. China habe sich verändert, so Baerbock vor dem Abflug: "Nach dem Ende der Corona-Restriktionen will ich mir ein genaueres Bild davon machen, welchen Kurs die neue Führung einschlägt, auch mit Blick auf das Spannungsfeld zwischen politischer Kontrolle und wirtschaftlicher Offenheit."
Eine wirtschaftliche Entkopplung sieht Baerbock nicht im deutschen Interesse. Aber man müsse "die Risiken einseitiger Abhängigkeiten systematischer in den Blick nehmen und abbauen". Also: weniger Abhängigkeit, zum Beispiel bei wichtigen Schlüsseltechnologien. Das gelte gerade mit Blick auf das Szenario einer militärischen Eskalation in der Taiwanstraße.
Bedrohte Demokratie
Ohne Frage: Das Verhältnis zu China ist komplex. In Strategiepapieren ist immer von einem Dreiklang die Rede: Partner, zum Beispiel beim Klimaschutz, Wettbewerber und systemischer Rivale. Scheinbar gleichberechtigt stehen diese drei Beschreibungen nebeneinander. Doch immer wieder ließ Baerbock durchblicken, dass sie "in zunehmendem Maße" die Rivalität zwischen den Systemen als Gefahr sieht. Setzen sich Demokratie, Freiheit und Menschenrechte durch? Oder der Autoritarismus? Zählt am Ende international das Recht des Stärkeren oder doch die Stärke des Rechts?
Sichtbar wurde Baerbocks Skepsis auch im Herbst 2022: Als sie sich - zusammen mit anderen Kabinettsmitgliedern - offen gegen das Kanzleramt positionierte. Es ging um den geplanten Einstieg des chinesischen Konzerns Cosco bei einem Hamburger Hafen-Terminal. Aus Baerbocks Sicht wäre das ein falsches Signal. Das Geschäft scheint inzwischen fraglich, denn nach Recherchen von NDR, WDR und SZ wird das Terminal inzwischen als "kritische Infrastruktur" und damit als besonders schützenswert eingestuft.
Für noch mehr Unmut sorgte Baerbock dann, als sie Kanzler Scholz vor dessen Pekingreise von Usbekistan aus daran erinnerte, dass er in China die im Koalitionsvertrag verabredeten Botschaften deutlich machen müsse. Diese öffentliche Ermahnung durch die Außenministerin kam im Kanzleramt nicht gut an.
Kritik aus der SPD
Baerbocks öffentliche Vorwürfe an China werden auch in der Kanzlerpartei SPD kritisiert. Am selben Tag als die Außenministerin nach Asien aufbrach, sagte Fraktionschef Rolf Mützenich im ARD-Morgenmagazin, dass er ihr keine öffentlichen Ratschläge geben wolle, nur um anschließend darauf hinzuweisen, dass Baerbock als Person in Peking "mit einer gewissen Skepsis" empfangen werde: "Sie hat sich ja sehr - zumindest aus Sicht Chinas - undifferenziert in dieser Situation eingelassen."
Es ist Baerbocks Ministerium, das federführend für die Bundesregierung eine China-Strategie erarbeitet. Ein Entwurf, der im November öffentlich geworden war, hatte scharfe Kritik in China ausgelöst. Unterschiedliche Vorstellungen gab es offensichtlich auch zwischen Außenministerium und Kanzleramt. Eine geeinte Fassung liegt noch nicht vor. Es ist jedoch zu hören, dass die aktuelle Version weniger scharf formuliert ist.
Wie offen wird Baerbock Kritik an der chinesischen Führung üben, wenn sie nun selbst im Land ist? Lässt sich daraus zumindest ein kleiner Schwenk in die eine oder andere Richtung ablesen?
Mikko Huotari, Direktor des Mercator Institute for China Studies, geht davon aus, dass Baerbock in China auch bekannte Positionen von EU und G7 wiederholt, die von der chinesischen Regierung als unfreundlich wahrgenommen werden könnten. Das sei jedoch keine wirkliche Überraschung. Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio betonte Huotari, dass es sich um einen Antrittsbesuch handele: "Da geht es auch erst mal darum zuzuhören, Dinge klar anzusprechen, aber nicht unbedingt gleich mit dem Lautsprecher zu kommunizieren."