Sorgen wegen großer Abhängigkeit Das China-Dilemma der Wirtschaft
Die wirtschaftlichen Schockwellen des Krieges gegen die Ukraine haben Europa noch einmal die Abhängigkeit von China vor Augen geführt. Wie reagieren Firmen angesichts wachsender Sorgen wegen des Machtstrebens in Peking?
"Wenn wir China nicht mehr haben, wird der Wohlstand in Deutschland sinken." Mit dieser Aussage fasst Holger Engelmann große Befürchtungen in einem Satz zusammen. Engelmann ist Vorstandsvorsitzender des Autozulieferers Webasto - einem Familienunternehmen, das starke Verknüpfungen mit China hat. So wie viele andere Unternehmen in Deutschland und der Europäischen Union. Ein Bruch mit China wäre für sie existenzgefährdend.
Doch im Laufe der Regierungszeit von Präsident Xi Jinping ist die Gefahr gewachsen, dass China politisches Machtstreben über wirtschaftliche Interessen stellt. Ein Dilemma für Firmen wie Webasto, die mehr als ein Drittel der Umsätze dort erwirtschaftet und elf Produktionsstätten in China hat. Hier weiß man: einfach raus aus der Verbindung geht nicht. Auch wenn Webasto gerade im Batteriebereich der E-Mobilität ein neues Produktionsfeld erschließt: China ist führend im Geschäft mit Lithium-Ionen-Batterien und zudem ein wichtiger Wachstumsmarkt für die E-Mobilität.
EU versucht gegenzusteuern
Knapp 80 Prozent der weltweiten Produktion von Lithium-Ionen-Batterien findet derzeit in China statt. Die EU-Politik hält mittlerweile dagegen - mit der "European Battery Innovation". 2021 wurden dafür rund drei Milliarden Euro Förderung beschlossen. Mit Erfolg: Viele neue Batteriewerke entstehen derzeit in Europa. "Doch an das Kernstück - die Batteriezelle - trauen sich nur wenige heran. Und selbst wenn die Zellen hier produziert würden: Die dafür notwendigen Rohstoffe kommen überwiegend aus China."
Was kann Europa also noch dagegensetzen? Ein Instrument ist Innovation. In Frankreich entwickelt beispielsweise das Startup "Tiamat" Batteriezellen aus heimischen Natrium, um von den Seltenen Erden unabhängig zu werden. Doch auch hier kommt man von chinesischen Zulieferprodukten nicht los: Das Natrium stammt aus Frankreich - viele andere Bauteile dieser Innovation kommen nach wie vor aus riesigen Fabriken in Asien. So kann Europa den Kampf um Schlüsseltechnologien nicht gewinnen.
Eine europäische Antwort auf Chinas Strategien?
Die Führung in Peking hat klare Pläne. Mit der "Made in China 2025"-Strategie hat sie zehn Branchen definiert, in denen China zunächst zum führenden Produzenten im heimischen Markt werden will. Bis Mitte des Jahrtausends will man weltweit dominant sein.
China nutzt dabei laut dem Vorsitzenden des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange, keine westlichen Technologien, weil es selbständig und unabhängig sein wolle. So eine industriepolitische Strategie suchte man hierzulande lange vergebens. Immerhin: Mitte März hat die EU-Kommission reagiert und ein Industrie-Gesetz zum Beschluss vorgelegt.
Bundesregierung will Verhältnis neu definieren
"Wandel durch Handel" hieß zuvor lange die Devise - auch mit China. Die Hoffnung war, dass der wirtschaftliche Austausch zu einer Annäherung führen würde. Bei Menschenrechten, Kinderarbeit oder politischer Verfolgung schaute man nicht so genau hin.
Die Ampel-Regierung will das ändern: Im Koalitionsvertrag hat sie vereinbart, das Verhältnis Deutschlands zu China neu auszurichten. Dort ist die Rede von einer "systemischen Rivalität", von weniger Abhängigkeit und einer umfassenden Strategie. Doch passiert ist seither wenig. Noch werden in den Ministerien Papiere geschrieben. Im Bundeswirtschaftsministerium denkt man über neue Regeln für in China tätige Unternehmen nach.
Investitionshilfen als Lösung?
In der EU diskutiert man gerade, ob künftig Milliarden an Steuergeldern als Investitionshilfen in private Unternehmen fließen sollen. Doch ist Chinas Expansionsdrang so zu stoppen? Mikko Huotari, Direktor des "Mercator Institute for China Studies" in Berlin, glaubt nicht daran. China könne sich derzeit vor allem selbst stoppen, ist sich der Forscher hingegen sicher. Und Huotari setzt auf die "Kapazität, Innovationskraft und fantastischen Unternehmen" hierzulande.
Mittlerweile gebe es auch ein Bewusstsein der Bevölkerung und der Politiker, "was auf dem Spiel steht". In einer Grundsatzrede hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor kurzem eine härtere Gangart gegenüber China angekündigt. Doch konkrete Maßnahmen kann die EU-Politik bislang kaum vorweisen.
Es geht um viel mehr als Handel
Längst geht es der Weltmacht nicht mehr nur um Handel und Produktion: China strebt nach einer neuen Weltordnung. Und Chinas Tonlage wird immer selbstbewusster und aggressiver. Was, wenn Xi Jinping Taiwan angreifen lässt?
Dann wird es Sanktionen geben, die wirtschaftlichen Beziehungen würden rapide abgebrochen, ist sich Lange sicher. Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament warnt deshalb deutlich vor einer möglichen Zuspitzung im Taiwan-Konflikt. "Das ist für die Europäische Union aber ein deutlich schlimmeres Momentum, als das, was wir mit Russland erlebt haben", sagt er. Der Taiwan-Konflikt hängt wie ein Damoklesschwert über der Weltwirtschaft.