WDR Europaforum Ein Einblick in Scholz' Europapolitik
Beim WDR Europaforum in Berlin hat sich der Kanzler nicht aus der Reserve locken lassen. Schlechte Umfragewerte zu seiner EU-Politik schienen Scholz wenig zu beeindrucken. Doch es war nur eine Momentaufnahme.
Olaf Scholz wird Umfrageergebnisse zu seiner Person an sich abprallen lassen. Er wird seinen gedämpften Optimismus zum Gelingen einer Reform der EU-Asylpolitik zu Protokoll geben. Und der Bundeskanzler wird auch davor warnen, erneut das Spitzenkandidaten-Prinzip zu verletzen.
Doch bevor all das passiert, drängen sich die aktuellen Meldungen aus der Ukraine auf die Agenda des WDR Europaforums in Berlin. Im Süden des Landes ist der Kachowka-Staudamm teilweise zerstört worden. Russland und die Ukraine machen sich gegenseitig dafür verantwortlich. Scholz sagt am Morgen, die Sprengung reihe sich ein in "viele, viele Verbrechen, die von russischen Soldaten ausgegangen sind". Er spricht von einer "neuen Dimension" des Krieges.
Unangenehme Zahlen für den Kanzler
Soweit die Aktualität des Tages. Eigentlich aber sitzt der Bundeskanzler auf der Bühne, um seine Vorstellung von EU-Politik zu erklären. Er wird dabei mit einer für ihn unangenehmen Zahl konfrontiert. Der WDR hat für das Europaforum eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben.
Bringt Scholz den Zusammenhalt in der EU voran? 23 Prozent der befragten Deutschen stimmen zu, 60 Prozent dagegen nicht. Ob ihm dieser Blick der Deutschen nicht zu denken geben müsse, wird Scholz gefragt. Die Antwort fällt minimal kurz aus: "Nein". Punkt. Eine Teflon-Parade.
Scholz äußert sich eher gegen EU-Armee
In anderen Fragen hinterlässt Scholz durchaus Positionsbestimmungen zu seiner EU-Politik. So wird deutlich, was er aktuell von der Idee einer Armee der Europäischen Union hält. Eher wenig: "Wir sollten erstmal das tun, was jetzt ansteht." Die EU-Staaten müssten beispielsweise ihre Zusammenarbeit bei der Rüstungsproduktion stärken.
Scholz gilt als jemand, der sich sehr stark in Richtung USA orientiert. Und so betont er auch: "Ich bin fest davon überzeugt, dass es darum geht, die transatlantische Zusammenarbeit und die NATO zu stärken." Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte vorher beim WDR Europaforum die Idee einer "Armee der Europäer" unterstützt. Die NATO sei nicht überall: "Es gibt durchaus Szenarien, wo die Europäische Union gefragt ist."
Die Spitzenkandidaten-Frage
Bei Szenarien in eigener Sache will sich von der Leyen nicht in die Karten schauen lassen: ein klares Nein zu einem Spitzenjob bei der NATO. Ob sie aber nach der Europawahl Kommissionspräsidentin bleiben will, soll jetzt nicht Thema sein. Immerhin deutet sie an, dass sie - im Falle eines Falles - Sympathien für das sogenannte Spitzenkandidaten-Modell hat. Dessen Befürworter wollen, dass nur Kommissionspräsident werden kann, wer vorher als Spitzenkandidat bei der Europawahl angetreten ist.
2019 wurde dieses Prinzip nicht eingehalten. Von der Leyen war eben keine Spitzenkandidatin. Scholz warnt vor einem Vertrauensverlust: "Wenn es dann wieder so läuft: 'Hinterher gilt nichts', dann haben wir ein Problem, das dann länger wirkt."
Scholz muss sich im kommenden Jahr möglicherweise entscheiden: Unterstützt er die Amtsinhaberin aus Deutschland oder doch einen Personalvorschlag der europäischen Sozialdemokratie. Auf jeden Fall haben EU-Parlament und Mitgliedsstaaten ein paar Monate Zeit, sich zu verständigen, wie sie die Spitzenkandidaten-Frage handhaben wollen. Vielleicht sogar schon vor der Wahl?
Streitthema Asylreform
Kurzfristig steuert die Europäische Union auf eine sehr wichtige Entscheidung zu. Am Donnerstag wird in Luxemburg über eine Reform der gemeinsamen Asylpolitik verhandelt. Es ist eine seit vielen Jahren ungelöste Frage, vor allem weil eine solidarische Verteilung von Geflüchteten nicht gelingen will.
Olaf Scholz sieht die Verhandlungen so weit wie noch nie, und doch scheint sein Optimismus eher auf einer unteren Stufe angesiedelt. Dass die grüne Basis ihre Regierungsmitglieder auffordert, nicht jeden Kompromiss zu tragen, ist dabei nur ein Aspekt.
Der Weg zum Kompromiss ist schwierig. Allerdings könnten die Konsequenzen eines Scheiterns massiv sein: Neue Grenzkontrollen innerhalb der EU wären ein schwerer Schlag gegen das Prinzip der Freizügigkeit. Scholz: "Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir uns darum bemühen, dass es ein gemeinsames Vorgehen gibt. Damit nicht jeder auf seine Weise zu handeln versucht."
Nach gut 30 Minuten verlässt der Bundeskanzler das WDR Europaforum wieder. Eine halbe Stunde Einblick in seine Europapolitik. Eine Momentaufnahme - nicht mehr und nicht weniger.