
Logik der US-Zollpolitik "Es geht um das Gefühl der Rache und des Betrogenseins"
Wie ist die US-Zollpolitik zu verstehen? Historiker Buggeln beschreibt den Widerspruch zwischen Präsident Trumps neoliberaler Innenpolitik und seinem Wunsch, die Globalisierung in ihrer derzeitigen Form zu beenden.
ARD: Wenn US-Präsident Donald Trump bei der Einführung von seinen Zöllen auf Güter von Handelspartnern von einem "Liberation Day" spricht - wovon will er sich befreien?
Marc Buggeln: Er will sich von der Globalisierung befreien. Trumps Administration und auch Teile von Trumps Wählerschaft halten die Globalisierung für die USA für nachteilig und wollen sie vielleicht nicht beenden, aber zumindest erheblich zugunsten der USA verändern.
Das ist aber, wenn man sich die Fakten anschaut, eigentlich kaum zu glauben. Die USA haben von den großen Industrienationen pro Kopf das höchste Durchschnittseinkommen. Auch die Wirtschaftsentwicklung war in den vergangenen Jahren besser, und von den zehn reichsten Männern der Welt sind sieben US-Amerikaner. Das ist nicht unwichtig, denn Trump redet ja dauernd davon, dass er wieder zu der Zeit der großen Vermögen Ende des 19. Jahrhunderts zurück will.

Nachteilig war die Globalisierung höchstens für bestimmte Teile der US-Arbeiterschaft, aber dies in Teilen auch nur, weil die USA so eine geringe Umverteilung haben und die soziale Ungleichheit so hoch ist. Aber an das Thema will man nicht heran, und deswegen gibt man anderen Nationen die Schuld, die die USA angeblich mit unfairen Handelsmethoden betrügen.
Aber dieses Gefühl, betrogen zu werden, ist ein sehr gefährliches Gefühl. Dann ist man rationalen Argumenten eigentlich nur noch bedingt zugänglich und will sich rächen. Und man hat das Gefühl, dass Trump derzeit mit der Schrotflinte auf die Welt schießt, aber sich dabei doch selbst ins Knie trifft.
"Er zerstört das internationale System des Neoliberalismus"
ARD: Wie passt die neue Zollpolitik denn in die politische Logik der Trump-Regierung?
Buggeln: Das ist tatsächlich eine sehr schwierige Frage. Es geht um dieses Gefühl der Rache und des Betrogenseins. Aber natürlich ist Trump in ganz vielen Punkten ein Neoliberaler: Er will weiter die Steuern senken, er will den Wohlfahrtsstaat abbauen, er glaubt an die Konkurrenz.
Aber er hat irgendwie den Glauben, dass der Freihandel ihn betrügt. Es ist das Gefühl, dass der Neoliberalismus zwar in den USA, aber nicht als internationales System funktioniert. Und dagegen geht er vor, indem er versucht, diese Zollpläne durchzusetzen und international eine Art Handelskrieg auszulösen, wo er dann die volle Macht der USA ausspielen kann.
Er will sich international nicht an Regeln halten, sondern will die USA und ihre Position als mächtigste Nation nutzen, um den Anderen zu schaden und sich selbst Dinge gut zu tun. Aber damit zerstört er das internationale System des Neoliberalismus.
"Autoritär-nationaler Neoliberalismus" innerhalb der USA
ARD: Ist das das Ende des neoliberalen Wirtschaftsmodells oder ist das ein neuer Neoliberalismus in noch radikalerer Form, den Trump zu etablieren versucht?
Buggeln: Das ist auch eine sehr schwierige Frage. Ich würde sagen, es ist innerhalb der USA ein sehr autoritär-nationaler Neoliberalismus, der da betrieben wird. Es wird ja nicht umverteilt, sondern der Staat wird abgebaut, es sollen weitere Steuerkürzungen kommen.
Aber das neoliberale internationale System wird halt zerstört. Anfangs sagten auch Ökonomen noch: Ja, man muss etwas tun, China ist unfair uns gegenüber. Aber inzwischen ist es so, dass auch die neoliberalen Ökonomen Trumps Politik für völligen Irrsinn halten, weil er das internationale Handelssystem zerstört und dadurch viele Probleme schafft.
Weltwirtschaftskrise? "Hängt von der Reaktion anderer Nationen ab"
ARD: Manche sehen aktuell schon Parallelen zur Zeit der 1930er-Jahre, wo Zölle als Auslöser der Großen Depression betrachtet wurden. Sehen Sie als Historiker da auch Parallelen?
Buggeln: Zölle waren nicht der Auslöser der Weltwirtschaftskrise, sondern das waren industrielle Überkapazitäten und dann der Börsenzusammenbruch in den USA. Erst als die Krise sich vertiefte, griffen die Nationen zu Währungsabwertung und Zöllen, um sich Vorteile gegenüber anderen zu verschaffen. Und Historiker sind sich relativ einig, dass die Zölle dabei in der Tendenz die Krise verschärft haben.
Der Unterschied ist erstmal: Damals wurde zu Zöllen gegriffen, als die Weltwirtschaftskrise am tiefsten war. Derzeit aber waren die Indikatoren eigentlich besser: Nach der Pandemie und dem Ukraine-Krieg begannen viele Nationen, sich wirtschaftlich zu erholen.
Und auch die wirtschaftliche Situation in den USA unter dem vorherigen US-Präsidenten Joe Biden war eigentlich durchaus gut. Viele Indikatoren hatten sich verbessert. Von daher trifft diese Zolloffensive jetzt erst mal eine Weltwirtschaft, die noch nicht im Krisenmodus ist.
Ob die dann in eine Krise rutscht, die mit den 1930er-Jahren vergleichbar ist - da wird viel davon abhängen, ob jetzt andere Nationen mit einem ähnlichen Protektionismus reagieren. Sicherlich, gegen Trump wird man das vielleicht machen.
Aber wenn man mit anderen Nationen eher die Zölle senkt, dann wird es natürlich nicht zu so einer Situation kommen. Das geschieht nur, wenn andere Staaten jetzt alle ähnlich wie Trump reagieren: Dann könnte es tatsächlich zu einer Situation wie in den 1930er-Jahren kommen.
Das Gespräch führte Liane Koßmann, NDR Info. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht überarbeitet.