Schokopralinen von Food Brewer.

Ernährung der Zukunft Wenn die Schokolade aus dem Bioreaktor kommt  

Stand: 25.12.2024 15:49 Uhr

Zu Weihnachten gehört Schokolade für viele Menschen dazu. Doch der Anbau der klassischen Kakaobohne hat auch bittere Seiten. Ein Schweizer Start-up arbeitet an einer Alternative: Kakaopulver aus dem Bioreaktor.

Es ist ein chirurgischer Eingriff der etwas anderen Art: Hochkonzentriert schneidet Adriana Gallego im Labor der Firma Food Brewer mit einem Skalpell winzige Teilchen aus einer Kakaobohne aus Costa Rica. Die promovierte Biotechnologin entnimmt diejenigen Zellen, die für das Wachstum der Bohne zuständig sind. Anschließend gibt sie die Stückchen mithilfe einer Pinzette in einen Plastikkolben mit spezieller Nährlösung. Mit kreisenden Bewegungen schüttelt sie den Kolben ein paar Mal sanft von Hand. Bewegt sich die Flüssigkeit, sinken die Zellen nicht ab und bekommen Sauerstoff. 

Später übernimmt eine Maschine für mehrere Wochen diese Aufgabe. Während dieser Zeit wachsen die kleinen Kakaobohnenstücken zu Zellklumpen heran. Alles, was sie dazu brauchen, holen sie sich aus der Nährlösung. Deren Zusammensetzung - ein Betriebsgeheimnis der Firma Food Brewer.

Bioreaktor bei Food Brewer.

Im Bioreaktor sollen Zellklumpen in der Nährlösung wachsen - bis sie erntereif sind.

Von der Zelle zum Kakaopulver

Nach einigen Wochen geht die Reise dann weiter: Raus aus dem Plastikkolben, rein in einen Bioreaktor aus Stahl. Dort wachsen die Kakaobohnen-Zellklumpen in noch mehr Nährlösung weiter. Herzstück des Stahltanks ist eine Umwälzeinheit, welche beim Brauen von Bier schon lange im Einsatz ist.

Nach einigen Tagen im Bioreaktor sind die Zellklumpen abermals gewachsen und erntereif. Das Ganze sieht aus wie eine braune Paste - nicht wie Kakaobohnen. Diese baut das Unternehmen nicht nach, sondern Kakaopulver. Nach dem Abschöpfen wird die Paste getrocknet, das so gewonnene Kakaopulver kann zu Schokolade oder einem Aufstrich weiterverarbeitet werden.

Industrielle Produktion als Ziel

Zurückzuführen ist das Verfahren auf die Forschung des Hochschulprofessors Tilo Hühn, der seit mehr als 20 Jahren an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften im Bereich Novell-Food, also neuartiger Lebensmittel forscht. Food Brewer will damit in die industrielle Produktion einsteigen.

Prinzipiell könne man mit diesem Verfahren aus dem Bruchteil einer Kakaobohne unendlich viel Schokolade herstellen, erklärt Christian Schaub. Der Ingenieur hat die Firma vor zweieinhalb Jahren mitgegründet. Aktuell arbeiten bei dem Start-up in Horgen am Zürichsee neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch eine Bierbrauerin und ein Bierbrauer. Diese hätten das von der Pike auf gelernt, was Food Brewer letztlich mache, betont Christian Schaub: Lebensmittel zu brauen. Statt Bier eben Kakaopulver oder auch Kaffee. In absehbarer Zeit will sich das Start-up an Getreide wagen.

"Kein wissenschaftlicher Spleen"

Die Arbeit im Labor ist laut "Food Brewer" der erste Schritt, um den Vermehrungsprozess der Kakaozellen in Gang zu setzen. Außerdem testen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aktuell dort noch, welche Kakaobohnensorten und welche Nährstofflösungen sich für das Produktionsverfahren besonders eignen. Irgendwann, so Christian Schaub, werde sich auch das erledigt haben. Dann kann der Herstellungsprozess in industriellen Produktionshallen stattfinden.

Food Brewer ist nicht das einzige Unternehmen, das an der "in vitro"-Züchtung von Kakaopulver arbeitet. Christian Schaub kennt nach eigenen Angaben mindestens noch vier weitere. Der Food-Brewer-Gründer glaubt jedoch, dass sein Unternehmen stärker als die anderen darauf achte, dass das Produkt industriell und kostendeckend im großen Stil hergestellt werden könne.

"Das, was wir hier machen, ist kein wissenschaftlicher Spleen aus dem akademischen Elfenbeinturm, sondern eine Möglichkeit, Schokolade nachhaltig zu produzieren", so Schaub. Wobei schon jetzt klar ist, dass das Start-up nur den Grundstoff dafür liefert, nicht aber selbst in die Schokoladen-Produktion einsteigen wird.

Markteinführung noch offen

Marktreif ist das Produkt aus Horgen am Zürichsee noch nicht. Aktuell testen nach Angaben von Food Brewer etwa 20 Schokoladen- und Lebensmittelhersteller aus der Schweiz, Europa und vor allem den USA das Kakaopulver. Sie versuchen ihm durch die Zugabe von Zucker und anderen Substanzen ihre eigene Geschmacksrichtung, Handschrift und Form zu geben.

Das Start-up wiederum verpflichtet sich, Kakaopulver im großen Stil nach den Geschmackswünschen der Konzerne zu liefern - zum Beispiel ihm eine bittere Note oder einen malzigeren Geschmack zu geben. Steuern lässt sich das über die Wahl der Ursprungsbohne und die Zusammensetzung der Nährstofflösung. Christian Schaub geht davon aus, dass die ersten so hergestellten Produkte in den USA auf den Markt kommen werden. Wann, ist noch unklar.  

Keine Konkurrenz zu Kakaobauern?

Auf die Frage, ob Food Brewer mit seiner Herstellungsmethode Kakaobauern in Afrika, Asien oder Lateinamerika nicht die Existenzgrundlage entziehe, reagiert das Unternehmen gelassen. Christian Schaub versichert, er und sein Team hätten sich mit dieser Thematik bereits intensiv beschäftigt. Und die Antwort laute: Mitnichten.

Kakaofarmen hätten schon heute Probleme, genügend Personal zu finden. Außerdem wachse die Nachfrage nach Kakao genauso wie nach Kaffee ständig: "Food Brewer hat lediglich den Anspruch, die immer größer werdende Lücke zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen, wir nehmen niemandem was weg."

Und wie schmeckt die "In-vitro"-Schokolade? Vom Schmelz her kommt sie schon sehr stark an herkömmliche Schokolade ran. Und der Geschmack geht je nach Sorte und Zuckerbeigabe eher in Richtung malzig oder fruchtig.

Sandra Biegger, ARD Genf, tagesschau, 23.12.2024 13:54 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 24. Dezember 2024 um 09:00 Uhr.