Situation bei der Bahn Kleine Probleme, große Wirkung
Marode Gleise, fehlendes Personal, Verspätungen: Jeder kennt die großen Probleme der Bahn. Doch teilweise machen banal erscheinende Dinge den Alltag für Reisende und Eisenbahner zur Qual. Und es scheint unmöglich, diese Probleme zu lösen.
Jeder, der regelmäßig in Regionalzügen fährt, stand schon mit dringendem Bedürfnis vor einer defekten Toilette. Fahrgäste des RE1 zwischen Berlin und Frankfurt/Oder berichten, es sei schon eher ein Wunder, wenn die mal funktionieren. Sind die Hersteller der Züge nicht in der Lage, funktionierende Toiletten zu bauen? Sind regelmäßig Vandalen unterwegs?
Die Züge werden im Auftrag von Berlin und Brandenburg durch die Ostdeutsche Eisenbahn GmbH (ODEG) betrieben. Ihr Geschäftsführer zeigt einem Reporter von Plusminus die wahre Ursache der Misere: Den Abstellbahnhof in Brandenburg an der Havel, wo viele der Züge über Nacht stehen und gereinigt werden. Die Wasserleitung dort ist seit über zwei Jahren gebrochen. Nun müssen Lkw Container mit Frischwasser bringen. Wenn die leer sind, kann kein Frischwasser mehr in die Züge gefüllt werden. Die Folge: Die Toiletten fallen aus. Und das seit zwei Jahren.
Der Amtsschimmel tut sein übriges
Die Wasserleitung führt unter den Gleisen gut 50 Meter zur städtischen Hauptleitung an einer Straße. Die Deutsche Bahn (DB) erklärt, es habe zwei Jahre gedauert, bis man eine Genehmigung erhalten habe, auf städtischem Grund zu buddeln. Erst dann konnte man eine Ausschreibung starten - auf diese habe sich aber niemand gemeldet. Nun hoffe man, dass es nächstes Jahr klappt.
Doch die Lage ist noch desolater. Denn die Abwässer der Zugtoiletten mussten hier schon immer per Lkw abtransportiert werden. Man könnte auf die Idee kommen, beim Bau der Frischwasserleitung auch gleich eine Abwasserleitung zu legen. Doch das ist nicht vorgesehen, weil dafür laut DB "eine neue Planung nötig wäre".
"Unvermögen, Unachtsamkeit, Überforderung"
Zwischen Brandenburg und Frankfurt/Oder liegt auch der Bahnhof Berlin-Wannsee. Hier startet und endet eine mit Dieseltriebwagen befahrene Nebenstrecke. Damit abgestellte Triebwagen zur Temperierung und Ladung der Batterie nicht stundenlang im Leerlauf tuckern müssen, braucht man einen Stromanschluss. Als die Länder Berlin und Brandenburg hier vor Jahren zusätzliche Züge bestellten, wurde geplant, den Bahnhof für mehr Verkehr auszubauen. Das ist zum Großteil geschehen. Nur der Stromanschlusskasten steht noch nicht.
Anwohner beschweren sich bei der ODEG über Lärmbelästigung durch abgestellte Dieselzüge. Die ODEG verweist auf den Eigentümer des Bahnhofes, die DB. Die wiederum erklärt, dafür hätten die staatlichen Fördermittel nicht gereicht. Den Verdacht, die DB würde solche Fördermittel lieber dort einsetzen, wo eigene Züge fahren, weist selbst der Sprecher des Verbandes privater Bahnunternehmen zurück. Er wäre vorsichtig, von bewusster Diskriminierung zu sprechen. Es liege eher an Unvermögen, Unachtsamkeit, Überforderung.
Geisterzüge auf deutschen Schienen
Tatsächlich scheint die Deutsche Bahn mit vielem überfordert. Immer mehr Fernverkehrszüge und Güterzüge sind unterwegs. Die Länder bestellen immer mehr Nahverkehr. Aber die Gleisanlagen wurden jahrzehntelang eher zurückgebaut. Auch Abstellgleise fehlen. Rund um Stuttgart betreibt die Arverio GmbH, eine Tochter der österreichischen Bundesbahn, einige Nahverkehrslinien. Auch hier fallen regelmäßig Oberleitungen ab, sind Weichen kaputt, Anlagen zur Ver- und Entsorgung von Zugtoiletten ausgefallen - vor allem aber fehlen Abstellgleise.
Triebwagen, die in Stuttgart enden und starten, müssen teilweise bis zu 70 Kilometer entfernt abgestellt werden. Wenn dann auf der Rückfahrt zum planmäßigen Start des Zuges eine Weiche klemmt, ein Stellwerk nicht besetzt ist oder sonst etwas schiefgeht, fallen Züge aus oder fahren nur in halber Länge. Auch das ist ein bundesweites Problem. Unzählige leere Züge fahren täglich durch das Land, nur um irgendwo abgestellt werden zu können.
Hohe Kosten entstehen
Als der zuständige Verkehrsverbund im Auftrag der Länder einen Betreiber für die RE1 zwischen Brandenburg/Havel und Frankfurt/Oder suchte, enthielt die Ausschreibung die Information, dafür würden neue Abstellgleise in Frankfurt/Oder gebaut. Das war 2018. Die ODEG fährt hier seit 2022, muss ihre Züge nach Dienstschluss aber immer noch 25 Kilometer weit bis Eisenhüttenstadt fahren. Nicht nur die Arbeitszeit der Lokführer muss bezahlt werden, auch der Strom für den Antrieb, sogar Streckengebühr für jeden Kilometer.
Die ODEG sieht die Ursache der Misere aber nicht primär bei der DB, welche die Abstellgleise hätte bauen sollen. Zwischen Bundesländern, die den Verkehr wünschen und bestellen, den Verkehrsverbünden, die ihn organisieren, den Eisenbahnunternehmen, welche die Züge betreiben und der DB, die dafür nötige Infrastruktur schaffen und bereithalten muss, gebe es keinen, der entscheidet: "Dies ist der Plan - so wird es gemacht". Zwar gebe es immer neue Powerpoint-Präsentationen mit einem neuen "Zeitstrahl", und alle würden hoffen, dass der Zeitplan irgendwie von irgendwem eingehalten werde - nur das geschieht meist nicht.