Geldscheine liegen auf einem Stapel.
analyse

Die Lage der Staatsfinanzen Kurzfristig schwierig, mittelfristig noch schwieriger

Stand: 24.10.2023 02:18 Uhr

Am Donnerstag wird die neue Steuerschätzung vorgestellt. Die öffentlichen Haushalte müssen wegen der schwächelnden Wirtschaft wohl mit weniger Steuereinnahmen auskommen als prognostiziert. Und die Lage droht sich weiter zu verschärfen.

Von Hans-Joachim Vieweger, ARD-Hauptstadtstudio

Schon die Vorlage des Haushaltsentwurfs für das Jahr 2024 war ein Kraftakt. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sprach von "intensiven Beratungen innerhalb der Bundesregierung". Das lag einerseits an den Ausgabewünschen der verschiedenen Ministerien, andererseits daran, dass die Zeit der Corona-bedingten Ausnahmen von der Schuldenbremse vorbei ist.

Der Streit um Kürzungen beim Elterngeld sowie um die Ausgestaltung der Kindergrundsicherung dürfte allerdings nur ein Vorgeschmack auf die Verteilungskämpfe der kommenden Jahre sein. Lindner hat bereits angekündigt, dass noch eine "qualitative Konsolidierung" des Haushalts anstehe: "Zu hohe Zinsausgaben, steigende Sozialausgaben" - mit dieser Kombination sei Deutschland nicht zukunftsfähig.

Haushalt 2024: Noch nicht alle geplanten Ausgaben sind finanziert

Dabei ist auch der Bundeshaushalt für das kommende Jahr noch nicht unter Dach und Fach. Die Steuerschätzung, auf die manche Koalitionspolitiker gehofft hatten, dürfte am Ende nicht mehr, sondern weniger Einnahmen prognostizieren. Und - darauf weist der CDU-Haushaltspolitiker Christian Haase hin: Für einige der von der Ampel-Koalition geplanten Maßnahmen gibt es nach wie vor keine Finanzierung.

So fehlt im Unterschied zum Haushalt für das laufende Jahr ein Ansatz für die Aktienrente. Außerdem muss das höhere Bürgergeld finanziert werden. Erwartet wird schließlich, dass der Bund in den anstehenden Gesprächen mit den Ländern bei den Kosten für die Migration noch etwas drauflegt.

Sondervermögen erlauben jetzt höhere Schulden

Zum Haushalt mit seinen Ausgaben von (bislang) knapp 450 Milliarden Euro kommen ohnehin noch viele weitere Milliarden, die über die so genannten Sondervermögen fließen.

Faktisch würden so 2024 mehr als 100 Milliarden Euro Schulden aufgenommen und nicht nur die rund 17 Milliarden, die in Lindners Entwurf stehen, kritisiert der haushaltspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Peter Boehringer. Dagegen verweist Grünen-Fraktions-Vize Andreas Audretsch auf die aktuellen Krisen - von der Energie- bis zur Klimakrise, die ohne die Sondervermögen nicht zu bewältigen wären.

Die Schulden müssen schon bald getilgt werden

Die Sondervermögen, die aktuell zusätzliche Investitionen ermöglichen, werden aber schon in wenigen Jahren den Spielraum der Politik schmälern. Denn ab 2028 müssen die entsprechenden Schulden nach und nach zurückgezahlt werden.

Von einer drohenden Eiswand, auf die der Bund zusteuere, spricht Professor Jörg Rocholl, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium. Auch deshalb, weil das Sondervermögen für die Bundeswehr etwa zum gleichen Zeitpunkt aufgebraucht sein dürfte. Die Zusage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), jährlich zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu stecken, muss dann vollständig aus dem Haushalt finanziert werden.

Haushalts-Risiko Sozialversicherungen

Eine Vorstellung, wie diese Herausforderungen gelöst werden können, habe derzeit wohl noch keiner, gibt der FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke zu.

Fricke verweist im Übrigen auf einen weiteren Faktor, der die Haushaltsplanung der kommenden Jahre beeinflussen dürfte, den anstehenden Renteneintritt der so genannten Babyboomer: "Das betrifft die Rentenversicherung, aber auch die Kranken- und Pflegeversicherung und bedeutet im Endeffekt für den Bund, dass er im Zweifel zusätzliche Zuschüsse aus dem Haushalt liefern müsste."

Höhere Zinsen engen Haushaltsspielraum ein

Zu den Risiken für die künftigen Haushalte gehört schließlich die Zinsentwicklung. Die Kombination aus höheren Schulden und steigenden Zinsen führt dazu, dass bald jeder zehnte Euro aus dem Haushalt in die Schuldenfinanzierung fließt. Dabei zahlt der Bund dank einer guten Bonitätseinstufung im Vergleich zu anderen Ländern nach wie vor relativ niedrige Zinsen.

Doch Helge Braun, der Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Bundestags, warnt: Wenn die Verschuldung immer weiter ansteigt, könnte Deutschland die gute Bewertung verlieren: "Und das würde bedeuten, dass die Zinsausgaben noch einmal deutlich steigen würden", so der CDU-Politiker und frühere Kanzleramtschef von Angela Merkel.

Vor diesem Hintergrund plädiert Braun - ähnlich wie Finanzminister Lindner - für eine klare Prioritätensetzung im Haushalt: Es brauche "Vorfahrt für Investitionen und für innere und äußere Sicherheit". Ausgaben, die "eher konsumptiv sind und zusätzliche Bürokratie auslösen", müssten zurückgestellt werden.

Wie können Aufgaben "gerecht und fair" finanziert werden?

Grünen-Fraktions-Vize Audretsch wiederum legt den Fokus auf Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Sicherheit und neue Klimatechnologien und warnt davor, hier allein kurzfristig auf den Haushalt zu schauen und an falscher Stelle zu sparen: "Das würde letztlich noch viel mehr kosten."

Aus Sicht von Audretsch kommt auf die Gesellschaft daher die Debatte zu, "wie diese Aufgaben gerecht und fair finanziert werden können." Denn es ist ziemlich sicher: Die Herausforderungen für den Staatshaushalt werden in den kommenden Jahren noch größer als sie es bereits jetzt schon sind.

Hans-Joachim Vieweger, ARD Berlin, tagesschau, 24.10.2023 06:34 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 24. Oktober 2023 um 07:50 Uhr.