Energiekrise Gasmangel wird zum Stromproblem
Rund 13 Prozent des Gases wird zu Erzeugung von Strom verwendet. Nach der Abschaltung der Atomkraftwerke Ende des Jahres könnte das zu Engpässen bei der Stromversorgung führen - bis hin zu Blackouts.
Beim Energieversorger N-ERGIE in Nürnberg schaut Rainer Kleedörfer sorgenvoll auf den kommenden Winter. Seit immer weniger Gas aus Russland zu uns nach Deutschland kommt, sieht der Leiter der Unternehmensentwicklung die Versorgungssicherheit seiner rund zwei Millionen Kunden in Gefahr: "Wir rechnen damit, dass wir einzelnen Bezirken stundenweise den Strom abstellen müssen."
Ein düsteres Szenario, das man bei vielen Energieversorgern und Stadtwerken Deutschlands befürchtet. Denn bei fehlendem Gas könnte es demnächst nicht nur ein Wärmeproblem, sondern auch ein Stromproblem geben. Grund ist der Strommix in Deutschland. Zwar wird immerhin schon fast die Hälfte des Stroms aus Erneuerbaren Energien gewonnen. Doch der Rest wird aus anderen Quellen erzeugt. Ein Drittel stammt aus Kohle, sechs Prozent aus Atomkraftwerken und immerhin noch 13 Prozent aus Gas.
Im Winter wird viel Strom durch Gas erzeugt
In den Wintermonaten kann der Anteil des Gases im Strommix aber erheblich steigen, denn in dieser Jahreszeit gibt es viele sogenannte Dunkelflauten. Dann ist die Produktion von Strom aus Erneuerbaren Energien wie Windkraft oder Solarenergie außerordentlich schwach. Am 10. Januar dieses Jahres etwa gab es wenig Wind und Sonne. Obwohl an diesem Tag alle Gaskraftwerke am Netz waren, mussten trotzdem noch zehn Gigawatt aus dem Ausland bezogen werden.
Doch ob dieser Strom vor allem aus Frankreich auch im kommenden Winter zur Verfügung steht, ist fraglich. Denn dort sind gerade viele Atomkraftwerke wegen technischer Mängel abgeschaltet. Gehen dann Ende des Jahres auch noch die letzten Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz, fehlen vier Gigawatt elektrischer Leistung. Durch das Hochfahren von Kohlekraftwerken will die Regierung dem Mangel entgegensteuern.
Ineffiziente Kraftwerke als Preis-Taktgeber?
Doch Experten wie Jürgen Karl von der Universität Erlangen-Nürnberg fürchten, dass mit der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke Ende des Jahres auch der Strompreis massiv ansteigen wird: "Wir gehen von einer Preissteigerung von acht Cent in der Beschaffung aus. Das entspricht bei den momentanen Strompreisen einer Erhöhung um ein Viertel bis einem Drittel."
Grund ist der sogenannte Merit-Order-Effekt. Der besagt, dass sich der Preis des Stroms immer nach dem Erzeuger richtet, der zuletzt eingesetzt wurde. Zunächst wird Strom immer aus günstigen erneuerbaren Energien erzeugt. Reicht das nicht aus, kommt die Atomkraft hinzu, die ebenfalls noch billig produziert werden kann. Etwas teurer ist dann der Kohlestrom. Am teuersten ist die Erzeugung aus Gas, die erst zum Zuge kommt, wenn die anderen Stromquellen ausgeschöpft sind. "Wenn die Atomkraft wegfällt, kommen dann auch besonders ineffiziente Gaskraftwerke zum Einsatz. Und die setzen dann den Preis für den gesamten Strom", erklärt Karl. "Bei den momentan explodierenden Gaspreisen wird der Strompreis durch die Decke gehen."
Steht wegen der Reduzierung der Gaslieferungen aus Russland kein Gas mehr für die Stromerzeugung zur Verfügung, drohen neben kontrollierten Abschaltungen im schlimmsten Fall auch Blackouts. "Die entstehen durch eine Kettenreaktion, bei der dann das Netz zusammenbricht", so Karl. "Und es dauert dann in der Regel mehrere Tage, bis die einzelnen Kraftwerke nacheinander wieder hochgefahren und synchronisiert werden."
Industrie-Kunden könnten klagen
Auch bei N-ERGIE in Nürnberg hat man diese Szenarien vorbereitet. Würde es zu Abschaltungen kommen, rechnet man hier mit einer Klagewelle von Kunden, besonders aus der Industrie. Denn dort ist der wirtschaftliche Schaden besonders hoch, wenn kein Strom mehr fließt und nichts mehr produziert werden kann.
Eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke würde die Stromversorgung im Winter entspannen, meint Rainer Kleedörfer von N-ERGIE: "Wir sind in einer Situation, wo man ideologiefrei jede Option ziehen muss, um über den Winter zu kommen und die Versorgungssicherheit halbwegs zu erreichen. Und dazu gehören auch die Atomkraftwerke."