Lage Frankreichs "gefährlich" Droht eine neue Euro-Schuldenkrise?
Die finanzielle Lage Frankreichs wird die Finanzmärkte noch lange beschäftigen. Eine neue Eurokrise scheint aber fern - wenn Frankreich sein Budgetproblem bald in den Griff bekommt.
Wie ernst die Finanzmärkte das politische Chaos in Frankreich einschätzen, zeigt sich am Anleihenmarkt. Zehnjährige französische Staatsanleihen warfen zuletzt mehr Rendite ab als griechische Papiere. Während die Aktienmärkte die Haushaltskrise in Paris erfolgreich ignorierten, schlug sich diese auch am Devisenmarkt spürbar nieder. Mit einem Kursrutsch von 0,7 Prozent auf zuletzt 1,0474 Dollar näherte sich der Euro wieder seinem Jahrestief bei 1,0335 Dollar.
Regierung Barnier wackelt
Im Vorfeld der wichtigen Haushaltssitzung am Nachmittag hatten auch Äußerungen des Leiters des französischen Rechnungshofs, Pierre Moscovici, die Märkte beunruhigt. "Unsere finanzielle Situation ist heute gefährlich", sagte Moscovici dem Fernsehsender France 2. In der vergangenen Woche hatte Regierungschef Michel Barnier gewarnt, es werde "einen großen Sturm und sehr schwere Turbulenzen auf den Finanzmärkten geben".
Auf der Sitzung drückte Barnier ein Gesetz zum Sozialhaushalt ohne finale Abstimmung durchs Parlament und muss nun mit einem Sturz durch die Opposition rechnen. Er wandte einen Sonderartikel der Verfassung an, der dies bei Haushaltstexten erlaubt. Sowohl die Parteien aus dem linken Lager als auch die rechtsnationale Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen hatten für diesen Fall mit einem Misstrauensvotum gedroht. Die Opposition hat nun 24 Stunden Zeit, um den Antrag einzureichen.
Unklar bleibt derzeit, ob der RN das Misstrauensvotum nun mitträgt. Vor der Sitzung hatte Barniers Büro mitgeteilt, man sei den haushaltspolitischen Forderungen des RN weiter entgegen gekommen. So gebe die Regierung Pläne für Kürzungen bei der Erstattung von Medikamentenkosten im kommenden Jahr auf. Erst vor wenigen Tagen war Barnier schon auf RN-Chefin Marine Le Pen zugegangen, indem er auf eine Erhöhung der Stromsteuern verzichtete.
Schuldenquote dürfte weiter steigen
Solche Zugeständnisse machen es aber noch unwahrscheinlicher, dass die aktuelle Haushaltslücke in Höhe von 60 Milliarden Euro geschlossen werden kann. Auch wenn sich die Regierung Barnier halten sollte, tut sie dies um den Preis eines höheren Defizits, womit sich die prekäre wirtschaftliche Lage weiter verschärft. Mit einer Schuldenstandsquote von 112,2 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt Frankreich bereits deutlich über dem Durchschnitt der Eurozone. Nur Griechenland und Italien stehen noch schlechter da.
Die EU-Kommission prognostiziert eine weiter steigende Quote, und zwar auf mehr als 115 Prozent im kommenden Jahr und gut 117 Prozent 2026. Die europäischen Regeln sehen hier eigentlich eine Obergrenze von 60 Prozent vor.
Auch bei der Neuverschuldung reißt Frankreich die von der EU vorgegebene Obergrenze, die bei drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt. Im laufenden Jahr dürfte sie laut EU-Kommission bei 6,2 Prozent liegen, in den beiden kommenden Jahren dann jeweils bei mehr als fünf Prozent.
Verfahrene politische Lage
Und noch bleibt ungewiss, wann und wie das Land seine aktuellen Budgetprobleme in den Griff bekommt. Sollte die Regierung Barnier nach drei Monaten im Amt stürzen, könnten Neuwahlen erst im Juli 2025 angesetzt werden. Auch wenn sich die Regierung hält, dürfte sich der Streit bei den nächsten Haushaltssitzungen fortsetzen, von denen in diesem Jahr noch zwei anstehen.
An den Finanzmärkten wird die verfahrene Lage weiter für Unruhe sorgen. "Es fällt schwer, hinsichtlich der Entwicklung in Frankreich allzu optimistisch zu sein", kommentierte Anleihenexperte Mark Dowding von RBC BlueBay Asset Management. "Ausländische Anleger, beispielsweise aus Japan, sind stark in dem Land engagiert. Daher besteht das Risiko, dass französische Staatsanleihen unter weiteren Verkaufsdruck geraten, wenn sich die politische Lage verschlechtert."
Neue Vertrauenskrise in Sicht?
Eine wichtige Rolle kommt in dieser Lage den großen Ratingagenturen zu. S&P und Moody's beurteilen die Kreditwürdigkeit Frankreichs weiterhin mit guten bis sehr guten Noten, und zwar mit "AA-" beziehungsweise "Aa2" - was überhaupt nicht nach Schuldenkrise klingt. Beide großen Agenturen drohten aber bereits, ihre Bonitätsbewertung herabzustufen. "Wir könnten die Ratings für Frankreich herabsetzen, wenn die Regierung nicht in der Lage ist, ihre hohen Haushaltsdefizite zu reduzieren oder das Wirtschaftswachstum über einen längeren Zeitraum unter unsere Prognosen fällt", hieß es etwa von S&P.
In diesem Fall besteht durchaus die Gefahr, dass die Finanzmärkte auch wieder genauer auf die Lage in den anderen hoch verschuldeten Euro-Staaten in der Peripherie blicken. Nach der Corona-Krise und den Belastungen des Ukraine-Kriegs ist es um deren Finanzen kaum besser bestellt als zur letzten Euro-Schuldenkrise vor zwölf Jahren.
Griechenlands Schutzschirme halten noch immer
Was das Sorgenkind Griechenland betrifft, haben die Euro-Staaten im Zuge der vergangenen Krise die direkten Risiken eingedämmt. Die griechischen Schulden liegen vor allem bei den europäischen Rettungsfonds EFSF und ESM beziehungsweise bei den anderen Eurostaaten - und das mit vorwiegend sehr langen Laufzeiten. "Nur ein kleiner Teil ist über die Kapitalmärkte direkt aufgenommen", sagte Elmar Völker, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).
Eine Vertrauenskrise wie zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts erscheint also angesichts der Solidarität der Euro-Staaten derzeit unwahrscheinlich. Es wäre allerdings kein günstiger Zeitpunkt, diese Solidarität auf eine erneute Probe zu stellen.