Nach dem EuGH-Urteil Arbeitszeit klar erfassen - aber wie?
Nach dem EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung wird darüber diskutiert, was das Urteil mit sich bringt. Dabei ist die technische Umsetzung nach Ansicht vieler Experten nicht das eigentliche Problem.
Das war zu erwarten: Die Gewerkschaften frohlocken nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) schon mal, dass nun der "Flatrate-Arbeit" ein Riegel vorgeschoben würde.
Überraschender ist es dann aber schon, dass auch viele Ökonomen mit diesem Urteil sehr gut leben können: "Jetzt muss endlich das Arbeitsministerium aktiv werden", freut sich der Bonner Arbeitsexperte Alexander Spermann.
Der Gesetzgeber ist gefragt
Jahrelang habe die Politik das Thema schleifen lassen. Die Arbeitsschutzgesetze stammen aus dem Industriezeitalter und müssten dringend in das Dienstleistungszeitalter weiter entwickelt werden. Dafür sei mehr Vertrauen und mehr Disziplin bei Arbeitgeber und Arbeitnehmer nötig, aber eben auch möglich.
Geht das "Hand in Hand" verloren?
Andere sind skeptischer. Denn genau bei den zu erwartenden neuen deutschen Gesetzen fängt für den Vorsitzenden des Bundesverbandes Deutscher Startups die Sorge an. Florian Nöll befürchtet, dass die notwendige gedankliche Flexibilität, das "Hand in Hand" verloren gehe. Und das benötigen gerade die kleinen Unternehmensgründungen, so Nöll.
Technische Umsetzung wohl nicht das Problem
Die technische Umsetzung, das sagen die meisten Experten, sei nicht das eigentliche Problem. Die Erfassung am klassischen Arbeitsplatz beim Arbeitgeber schon gar nicht. Ähnlich wie bei einer Liftkarte im Skigebiet könne so Kommen und Gehen mühelos erfasst werden. Arbeiten von zu Hause könne über den ins Firmennetzwerk eingeloggten PC erfasst, das Mails-checken abends über die App des Arbeitgebers wahrgenommen werden.
Gelassen sieht das Urteil auch Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Denn Überstunden müsste der Arbeitgeber jetzt schon erfassen und dafür sei es schließlich notwendig, auch die reguläre Arbeitszeit mit zu loggen.
Laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz haben 47 Prozent der Arbeitnehmer eine betriebliche Zeiterfassung, 32 Prozent schreiben ihre Zeiten selbst auf. Lediglich 21 Prozent sind ohne Zeiterfassung.
Flexibilität doch möglich?
Viele wollen heute flexibel arbeiten, früher aus dem Büro gehen können, die Kinder von der Kita abholen und sich dann abends noch einmal von zu Hause in das Firmennetz einloggen - eben alles unter einen Hut bekommen. Das ist mit den neuen Vorgaben des Urteils und einer darauf folgenden nationalen Gesetzgebung auch möglich, meinen viele Experten. Das Gericht fordere eben nicht eine allgemeine Zeiterfassung.
Es gibt Beispiele die an "Big Brother is watching you" erinnern. Die US Firma Upwork ist eine Dienstleister, der hilft, Freiberufler zu finden, die von zu Hause arbeiten. Mittels einer App auf ihrem PC wird die Zeit erfasst, die sie arbeiten und mit Screenshots des Monitors der Fortlauf der Arbeit kontrolliert. Das will in Deutschland zur Zeit niemand und das sei auch gar nicht nötig, so der Ökonom Alexander Spermann.
Die Vertrauensarbeitszeit sei der Kern einer modernen Arbeitswelt und auch grundsätzlich mit dem Richterspruch vereinbar. Sie geht Hand in Hand mit dem Vertrauensarbeitsort und wichtig sei auch die Vertrauensruhezeit.
"Vertrauen" als Schlüsselwort
"Vertrauen" ist auch bei Florian Nöll vom Bundesverband Deutscher Startups das Schlüsselwort. Arbeitszeiten und Orte würden sich stark verändern. Als Beispiel nennt er die amerikanische Firma Stripe, die in einem ersten Schritt 100 IT-Experten einstellt, die alle nicht am Firmenort arbeiten werden, sondern wo immer sie wollen.
Ein zentraler Punkt: Ruhezeit
Dass die Ruhezeit auch zentral ist, betont Spermann immer wieder. Burnout durch Arbeitsverdichtung und -entgrenzung sei ein großes Problem in Deutschland. Und Ruhezeiten müssen mit großer Disziplin von Arbeitgeber und Arbeitnehmer behandelt werden. Nur eben nicht starr elf Stunden zwischen zwei Schichten, sondern vielleicht flexibler in der Wochenruhezeit.