EuGH zu Arbeitszeiterfassung Flexibilität adé?
Laut EuGH müssen Unternehmen in der EU die Arbeitszeit ihrer Angestellten komplett erfassen - egal, ob diese im Büro, im Außendienst oder von zu Hause aus arbeiten. Die Reaktionen auf das Urteil fallen unterschiedlich aus.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs muss jeder Arbeitgeber künftig genau protokollieren, wie lange seine Arbeitnehmer arbeiten, das heißt wann sie mit der Arbeit anfangen und aufhören. Der EuGH sagt: Nur so könne man sicherstellen, dass sich ein Arbeitgeber an die Vorschriften hält, die die Arbeitnehmer schützen sollen. Schon heute ist vorgeschrieben, dass ein Arbeitnehmer pro Woche maximal 48 Stunden arbeiten darf, wobei für Führungskräfte Ausnahmen gelten. Außerdem muss ein Arbeitnehmer zwischen zwei Arbeitstagen mindestens elf Stunden Pause machen können.
Folgen für flexibles Arbeitszeitmanagement
In vielen Betrieben, etwa in der Industrie, in denen die Arbeitszeit schon jetzt erfasst wird, wird sich nicht viel ändern. In Branchen, in denen die Arbeitnehmer mit ihrer Arbeitszeit sehr flexibel umgehen, stehen dagegen große Veränderungen an, meint Stefan Greiner, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Bonn: "Es wird eine große Schwierigkeit sein, gerade in kreativen Berufen, in denen bislang mit Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit operiert wird, entsprechende Erfassungs- und Kontrollmechanismen einzuführen."
Laut Greiner besteht die Gefahr, dass dadurch wünschenswerte Flexibilität verloren gehe. "Auf der anderen Seite wird natürlich den Gefahren, die gerade mit dieser Entgrenzung von Arbeitszeit und Freizeit verbunden sind, entgegengewirkt."
Kritik von Arbeitgebern, Lob von den Gewerkschaften
Entsprechend unterschiedlich waren auch die Reaktionen auf das Urteil. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände kritisierte, die Entscheidung des EuGH wirke wie aus der Zeit gefallen. Die Arbeitgeber seien "gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert". Der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßte dagegen das Urteil: Das Gericht schiebe der Flatrate-Arbeit einen Riegel vor, und das sei richtig so.
Mit Blick auf die Praxis wirft das Urteil viele Fragen auf, etwa: Was zählt eigentlich zur Arbeitszeit und was nicht? Wie soll das in Zukunft laufen, wenn ein Arbeitnehmer zu Hause noch ein paar dienstliche Telefonate führt oder seine E-Mails prüft? Greiner: "Auch diese Tätigkeiten wie das Checken der E-Mails am Feierabend zählen zur Arbeitszeit und würden damit eine Dokumentationspflicht auslösen." Möglicherweise könnte die Lösung darin liegen, dass die Arbeitgeber strengere Vorgaben machten und solche Tätigkeiten untersagt würden, so der Experte.
Jetzt ist der Gesetzgeber am Zug
Einzelheiten wird nun der deutsche Gesetzgeber klären müssen. Denn alle EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, das Urteil umzusetzen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil erklärte: "Die Aufzeichnung der Arbeitszeit ist notwendig." Die Bundesregierung werde das Urteil gründlich prüfen. Mit welchen konkreten Vorgaben die deutschen Arbeitgeber nun rechnen müssen, sei noch unklar, so Greiner.
Der Gesetzgeber müsse sich überlegen, für welche Unternehmen er welche Lösungen vorschreibe. "Möglicherweise kann er hier auch unterschiedlich Vorgaben je nach Art des Tätigkeitsbereichs machen. Insoweit ist die Entscheidung relativ offengehalten." Bundearbeitsminister Heil kündigte an, dass er dabei das Gespräch mit den Arbeitgebern und Gewerkschaften suchen werde.
Aktenzeichen: C-55/18