
Mecklenburg-Vorpommern Hamburg Niedersachsen Schleswig-Holstein Verpackungssteuer: Folgen Städte im Norden dem Tübinger Beispiel?
50 Cent auf Pommesschalen und Kaffeebecher, 20 Cent auf Trinkhalme und Besteck. Laut Bundesverfassungsgericht dürfen Kommunen für Speisen und Getränke zum Mitnehmen eine Verpackungssteuer nach Tübinger Vorbild erheben. In Norddeutschland halten sich Städte und Gemeinden bislang eher zurück.
Tübingen und Konstanz haben sie, Bremen plant sie, Hamburg und Rostock wollen sie nicht: Um die Einführung einer Sonderabgabe für Einwegverpackungen ist auch in Städten und Gemeinden im Norden eine Diskussion entbrannt. Die Befürworter erhoffen sich von der Verpackungssteuer weniger Müll im öffentlichen Raum, einen Schub für Mehrweg-Lösungen bei Speisen und Getränken und Zusatz-Einnahmen für klamme Kassen. Die Gegner befürchten einen großen bürokratischen Aufwand für die Gastronomie, Preiserhöhungen für die Konsumenten und einen Flickenteppich an regionalen Regelungen.
BUND: 170.000 Wegwerfbecher in Hamburg pro Tag
Jürgen Mumme sitzt in seinem Büro in Hamburg-St. Georg und trinkt seinen Kaffee demonstrativ aus einer Porzellantasse mit der Aufschrift "Coffee to stay". Dem Leiter des Müllprojekts beim BUND in Hamburg sind Einwegverpackungen ein Graus - zu viele hat er bei Müllsammelaktionen der Umweltschutzorganisation schon aus Parks geräumt und aus Gewässern gefischt.

Jürgen Mumme vom BUND Hamburg sagt: Wer Müll aus Einwegverpackungen verursacht, soll auch dafür zahlen.
"Allein in Hamburg werden 170.000 Wegwerfbecher über den Tresen gereicht - und zwar jeden Tag", sagt er. "Wenn man jeden dieser Becher mit zehn Zentimetern Höhe veranschlagt, haben wir jeden Tag das Doppelte des Mount Everest nur an Wegwerfbechern in Hamburg."
Verpackungssteuer: Hamburg lehnt Antrag der Linksfraktion ab
In Hamburg hat die Bürgerschaft einen Antrag der Linksfraktion zur Einführung einer Verpackungssteuer erst in dieser Woche abgelehnt. Für Mumme und seine Mitstreiter ist das Thema damit aber nicht erledigt. "Die gute Nachricht ist, dass die Menschen in Hamburg jetzt die Chance haben, den Druck auf die politischen Entscheider zu erhöhen, indem sie unsere BUND-Petition mitzeichnen, die wir zur Einführung einer Verpackungssteuer gestartet haben", sagt er. "So können sie deutlich machen, dass es eine echte Lösung für die Müllproblematik und für Kostengerechtigkeit geben soll." Die Umweltschützer argumentieren nach Tübinger Vorbild: Wer den Müll verursacht, soll auch für seine Beseitigung zahlen.
Gefolgt ist Tübingen bisher lediglich Konstanz, Freiburg wird im kommenden Jahr nachziehen. Laut einer Umfrage der Deutschen Umwelthilfe von Ende April zeigten bundesweit bisher 144 Kommunen Interesse an der Möglichkeit einer Einweg-Steuer. Der Deutsche Städtetag hatte sich schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für die Steuer als "wirksames Mittel" ausgesprochen. In Tübingen sei die Mehrweg-Quote seit Einführung der Abgabe auf über 50 Prozent angestiegen, der bundesweite Durchschnitt liege bei fünf Prozent.
Bremen hofft auf Einnahmen von vier Millionen Euro
Als einzige größere Stadt im Norden plant bisher Bremen die Einführung einer Sonderabgabe für Einwegverpackungen. Schon im Herbst 2023 hatte sich die Hansestadt für eine solche Steuer ausgesprochen, wollte das Karlsruher Urteil aber noch abwarten. Bremen erhofft sich Einnahmen von rund vier Millionen Euro jährlich. Momentan prüfen Finanz- und Umweltressort die Gestaltung und Einführung einer solchen Abgabe, heißt es aus dem Senat. Möglicher Starttermin wäre der 1. Januar 2026.
Göttingens Plan scheitert im Finanzausschuss
In Niedersachsen hatten neben Hannover zahlreiche andere Städte angekündigt, über die Take-away-Steuer zu beraten. Göttingen war schon sehr weit in seinen Planungen. In einer Vorlage der Stadtverwaltung heißt es, die Einführung der Verpackungssteuer sei grundsätzlich kostendeckend. In dieser Woche lehnte der Finanzausschuss das Vorhaben aber ab.

Göttingens CDU-Stadtrat sieht in einer Verpackungssteuer vor allem eins: Bürokratie.
CDU-Stadtrat Christian Zigenhorn begründet das mit unzumutbaren Preissteigerungen für Konsumenten und Betriebe und einem hohen Verwaltungsaufwand: "Gerade für kleinere Imbissbetriebe, kleine Mittelständler oder teilweise Einzelunternehmen ist das eine unnötige Belastung. Und eigentlich wollen wir ja in der Politik die Unternehmen von weiteren Belastungen entlasten und nicht noch mit zusätzlichen bürokratischen Aufwänden überhäufen", sagt er. Zudem sei der ökologische Nutzen nicht belegt.
Michael Höfer von der antragstellenden Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zeigte sich überrascht von der Entscheidung: "Letztendlich ist ja schon klar, dass das natürlich einen Verwaltungsaufwand erfordert seitens der Stadt, aber letztendlich, wenn man den abzieht, ungefähr eine Dreiviertelmillion Euro überbleibt. Und das ist, denke ich mir, gerade in einer finanziell schwierigen Situation, in der sich die Stadt befindet, nicht von der Hand zu weisen. Und deswegen ist es mir unbegreiflich, dass dieses Argument von Seiten der CDU ins Spiel gebracht wurde." Am 13. Juni soll der Göttinger Stadtrat nun noch einmal abschließend über die Verpackungssteuer beraten.

Grünen-Politiker Michael Höfer ist enttäuscht vom Nein im Göttinger Finanzausschuss.
Lüneburg, Emden, Rostock winken ab - Verbot in Bayern
In Niedersachsen sind auch andere Städte bereits wieder abgerückt von der Idee: Lüneburg, Gifhorn, Winsen, Emden. Auch die Verwaltung im schleswig-holsteinischen Wedel und der Rostocker Stadtrat haben dagegen votiert. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es laut Landesregierung derzeit keine Kommune, die eine Einführung der Verpackungssteuer erwägt. Trotz des allgemeinen Unwillens kommt eine "bayerische Lösung" aber wohl in keinem norddeutschen Bundesland infrage: Der Freistaat hat seinen Kommunen die neue Bagatellsteuer Mitte Mai kurzerhand verboten.
Verpackungssteuer: Tübingen nimmt pro Jahr eine Million Euro ein
Dass die öffentliche Müllmenge seit Einführung der Verpackungssteuer in der Stadt im Jahr 2022 messbar zurückgegangen ist, dafür fand eine Studie der Universität Tübingen keine Anhaltspunkte. Jedoch nimmt Tübingen nach eigenen Angaben über die Verpackungssteuer etwa eine Million Euro pro Jahr ein. Das ist mehr als der Aufwand für die Stadtreinigung in Höhe von 700.000 Euro. Mit dem übrigen Geld werden unter anderem Spülmaschinen für Gastronomiebetriebe bezuschusst, um Mehrwegbehälter zu reinigen. Erwiesen ist auch, dass in Tübingen inzwischen deutlich mehr Restaurants und Imbisse Mehrweg-Alternativen anbieten.
Bundesweit sind Gastro-Betriebe bereits seit Anfang 2023 verpflichtet, auch Mehrwegbehälter vorzuhalten. Jedoch verpuffte die Wirkung. Der Marktanteil wiederverwendbarer Verpackungen stieg laut einer WWF-Studie im ersten Jahr nur minimal an - auf magere 1,6 Prozent.
IHK Niedersachsen: Mehrweg statt mehr Kosten
Mehrweg statt mehr Kosten - das ist auch das Motto, das die IHK Niedersachsen ausgibt. Die Interessenvertretung hat eine Umfrage unter 250 regionalen Unternehmen zur Verpackungssteuer durchgeführt. Das Resultat: Mehr als 90 Prozent der Betriebe befürchten einen hohen Dokumentationsaufwand und Umsatzeinbußen. Fast zwei Drittel kündigten an, die Preise zu erhöhen und damit die Steuer an die Kunden weiterzugeben.

Der Umweltsprecher der niedersächsischen IHK, Björn Schaeper, plädiert für mehr Dialog zu Mehrweglösungen.
Jedes fünfte Unternehmen gab laut IHKN an, sein Angebot an Speisen und Getränken einzuschränken, fast ebenso viele Anbieter würden ihr Take-away-Geschäft ganz aufgeben. "Wir appellieren deutlich an die Kommunen: Setzt nicht überstürzt einfach eine neue Steuer ein, sondern setzt euch mit allen Akteuren an einen Tisch und besprecht, welche Maßnahmen sinnvoll sind", sagt Björn Schaeper, Sprecher Umwelt der niedersächsischen IHK.
Zero Waste City Kiel - Politik und Unternehmen am Runden Tisch
In Schleswig-Holstein hatte sich vor allem Kiel aufgeschlossen gezeigt. Und dort passiert genau das, was die IHK Niedersachsen fordert: Die Akteure sprechen miteinander. Als erste zertifizierte Zero Waste City in Deutschland will die Landeshauptstadt bis 2035 ihren Restmüll halbieren und die Gesamtabfallmenge um 15 Prozent senken.
Da liegt der Fokus auch auf Einwegverpackungen, sagt Umweltdezernentin Alke Voß. "Die Stadt Kiel hat darüber nachgedacht, das genauso einzuführen wie in Tübingen", sagt die Grünen-Politikerin. "Wir sind jetzt allerdings tatsächlich auf einem anderen Weg und sprechen erst mal mit der Gastronomie und Unternehmen im Rahmen eines Runden Tisches darüber, was wir denn eigentlich brauchen, um die Mehrwegquote zu erhöhen."
Mit an diesem Tisch sitzt Florian Buchebner. Der Vizepräsident des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga in Schleswig-Holstein bestätigt, dass die Betriebe in Kiel früh informiert wurden und der Dialog mit den Entscheidern bei der Stadt funktioniere. "Grundsätzlich stehen wir neuen Steuern und dem damit einhergehenden bürokratischen Mehraufwand schon kritisch gegenüber. Neue Steuerbelastungen sind ja nicht wirklich wirtschaftsfreundlich. Den eigentlichen Zweck, weniger Verpackungsmüll zu produzieren, das begrüßen wir natürlich", so der Kieler Hotelier.

Der Kieler Hotelier Florian Buchebner sagt, Mehrweg müsse einfacher werden, damit Kunden das Angebot nutzen.
Mehrwegsysteme: Kiel will sich an Aarhus orientieren
Kiel will sich am dänischen Aarhus orientieren, das mit einer Automaten-Struktur in der ganzen Stadt für die Rückgabe der Behälter eine Mehrwegquote von über 50 Prozent erreicht hat. Das ist auch die Zielmarke von Umweltdezernentin Voß - aber es ist ein sehr weiter Weg von derzeit gerade einmal zwei Prozent.
Die Stadt an der Förde hat mit Mehrweg bereits gute Erfahrungen bei der Kieler Woche gemacht, das Segelevent startet in zwei Wochen wieder. "Auf der Kieler Woche haben wir ein Mehrwegbechersystem und auch ein Zero-Waste-Konzept, das bedeutet, dass wir Nahrungsmittel nur rausgeben in wiederverwertbaren Tellern oder auf Servietten und essbaren Schalen", berichtet Voß. "Das ist gewöhnungsbedürftig, aber es wird sehr gut angenommen." Noch in diesem Jahr will die Stadt ein Gutachten für das bestmögliche Mehrwegsystem in Auftrag geben.

Kiels Umweltdezernentin Alke Voß von den Grünen zeigt Verständnis für Kritik von Gastronomen.
Voß: "Nicht die Zeit für eine solche Zusatzbelastung"
Voß setzt bei der Finanzierung auf eine freiwillige Abgabe der Gastronomen, schließlich koste auch ein Einwegbecher in der Anschaffung zehn bis zwölf Cent. Sie habe Verständnis, dass die mögliche Einführung einer Verpackungssteuer bei der angespannten wirtschaftlichen Lage in der Gastronomie zu Irritationen führt. Ein ortsansässiger Franchisenehmer von McDonald's habe ihr erklärt, dass er seinen Laden dichtmachen könne, wenn die Sonderabgabe komme. "Es ist einfach nicht die Zeit, eine solche Zusatzbelastung einzuführen", sagt die Dezernentin, fügt aber auch hinzu: Sollten alle Anstrengungen pro Mehrweg verpuffen, käme die Einwegabgabe in Kiel wieder auf den (Runden) Tisch.
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NDR Info | Aktuell | 07.06.2025 | 08:15 Uhr